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„Mauerblümchen-Ballett“ und „Die ungeliebte siebente Muse“ — das waren die Titel, unter die wir die an dieser Stelle erschienenen Artikel stellen mußten, die sich während der vergangenen fünf mageren Jahre mit dem Ballett der Wiener Staatsoper beschäftigten. Einer jener Artikel, knapp nach Bekanntgabe der Demission des damaligen Ballettdirektors und Chef Choreographen, Aurel von Milloss, geschrieben, schloß mit den Worten: „Man wird in Wien vielleicht erst in zwei, drei Jahren bemerken, was der Verlust einer so bedeutenden kreativen Künstlerpersönlichkeit für Folgen hat.“ Nun, wir bekamen diese noch früher zu spüren, und das Ansehen des Ensembles leidet auch heute noch darunter...

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„Mauerblümchen-Ballett“ und „Die ungeliebte siebente Muse“ — das waren die Titel, unter die wir die an dieser Stelle erschienenen Artikel stellen mußten, die sich während der vergangenen fünf mageren Jahre mit dem Ballett der Wiener Staatsoper beschäftigten. Einer jener Artikel, knapp nach Bekanntgabe der Demission des damaligen Ballettdirektors und Chef Choreographen, Aurel von Milloss, geschrieben, schloß mit den Worten: „Man wird in Wien vielleicht erst in zwei, drei Jahren bemerken, was der Verlust einer so bedeutenden kreativen Künstlerpersönlichkeit für Folgen hat.“ Nun, wir bekamen diese noch früher zu spüren, und das Ansehen des Ensembles leidet auch heute noch darunter...

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Jetzt, da eine Ära abgeschlossen ist und eine neue beginnt, wollen wir uns nicht lange mit der Bilanz des Vergangenen aufhalten, es käme nicht viel Erfreuliches dabei heraus. Die begangenen Fehler, das Unge-nügen, der gegenwärtige Zustand des Balletts, das man nicht anders als „frustriert“ bezeichnen kann, sind nicht nur dem ehemaligen Leiter anzulasten. (Denn man kann von einem Zwetschkenbaum keine Paradiesäpfel erwarten.) Entscheidend war, wie wenig man das Ballett im Rahmen des Komplexes „Staatsoper“ geschätzt hat, welche geringe Aufmerksamkeit ihm geschenkt wurde, wie selten man ihm Gelegenheit gegeben hat, sich der Öffentlichkeit zu zeigen. Jedoch: das eine bedingte das andere, es war ein richtiger Teufelskreis, den es nun zu durchbrechen gilt.

Bevor man jedoch über organisatorische Details und den Spielplan der nächsten Jahre entscheidet, ist es wichtig, sich einiges Grundsätzliche klarzumachen:

Das Ballett ist kein (lästiges) Anhängsel des Opernbetriebes, sondern ein wichtiger, integrierender Bestandteil des Spielplans. Ballettabende mit Niveau können zu festlichen Veranstaltungen werden, die den Opernalltag ergänzen und dem konservativen Repertoire, für das Richard Strauss die — von ihm positiv gemeinte — Bezeichnung „Opernmuseum“ geprägt hat, Glanzlichter aufsetzen, sowohl durch in unserer Zeit entstandene Partituren wie durch die Art der Darbietung. (Das gleiche kann natürlich auch von einer modernen Opernregie geleistet werden, doch akzeptiert erfahrungsgemäß das Publikum Neues und Neuestes getanzt viel leichter als gesungen.)

Ebenso notwendig ist die Erkenntnis, daß Ballett ein Gesamtkunstwerk ist. Zwar soll der Primat des Tänzerischen stets gewahrt sein, aber die musikalische Betreuung eines Ballettabends darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Und die Ausstattung ist ebenfalls sehr wichtig. Wir haben daher nicht ohne Absicht an dieser Stelle und auf unseren Kulturseiten wiederholt an eine glorreiche Epoche des Balletts erinnert, an die Jahre 1909 bis 1929, als es in Paris Serge de Diaghilew gelungen war, um seine „Ballets russes“ alles zu versammeln, was von Komponisten und zeitgenössischen Malern in der Seine-Metropole, die damals auch die unumstrittene Ballettmetropole war, Rang und Namen hatte. Um nur einige „Ausstatter“ zu nennen: Bakst, Larionow, Braque, Picasso, Derain, Juan Gris, Leger und Rouault.

Gewiß, die Zeiten haben sich geändert, die großen Alten leben nicht mehr, aber es gibt Junge und Aller-jüngste. Man sollte trachten, sie heranzuziehen, und Prof. Milloss ist der Mann, der eine solche Synthese der Künste realisieren könnte. Er, der klassisch geschulte Tänzer, hat den Expressionismus der Laban-Schule tätig erlebt und ist imprägniert von romanischem Geist und mediterranem Kulturbewußtsein. Und Milloss gehört zu jenen wenigen, die schon während der dreißiger Jahre mit Erfolg versucht haben, das Ballett aus seiner Isoliertheit herauszulösen und dem modernen Musiktheater zu integrieren.

Dabei ist der neue Ballettdirektor das genaue Gegenteil eines Show-man, eines modischen Effekthaschers, eines wendigen „Hans Dampf in allen Gassen“. Er wünscht sich für seine Truppe „eine gewisse Treibhausatmosphäre“: intensive Arbeit jedes einzelnen an sich und am Werk. Und damit sind wir beim Wichtigsten angelangt, bei der „Prämisse“, an der Basis: bei der Ballettschule, die dringend einer Reform, auch neuer Räume bedarf. Doch hierüber wird bereits verhandelt.

Alle übrigen Desiderata sollen nur noch punkteweise aufgezählt werden (von einigen glauben wir zu wissen, daß sie auch zum Programm des neuen Ballettdirektors gehören):

• Eine genügende Anzahl von Proben und Trainingsstunden

• Sechs bis sieben Wiederholungen des gleichen (oder variierten) Programms

• Gute Termine für die Premieren; es darf nicht, wie in vergangenen Jahren, vorkommen, daß der einzige Ballettpremierenabend am Ende der Saison und am vorletzten Tag der Wiener Festwochen stattfindet

• Der „Jour fixe“ für das Ballett, wegen des derzeitigen Abonnementsystems und der Sängertermine schwer zu realisieren, ist trotzdem anzustreben (die Pariser Oper hat den „Mercredi de danse“)

• Erarbeitung eines weitgefächerten Repertoires, einschließlich klassischer Werke des „Ballet blanc“, aber auch leichtere, wie Massines „Gaitee Parisienne“ nach Offenbachs Musik; für die Jugend „Nußknak-ker“, für eine andere Gruppe von Jugendlichen ein Pop-Ballett mit Beat und elektronischer Musik oder Musique concrete; auch ein Stra-winsky-Abend wäre fällig; vielleicht auch einer nach Partituren zeitgenössischer österreichischer Kompositen.

(Als Lehrer wurden bereits zwei in Rußland ausgebildete Künstler gewonnen, und die bekannte Tanz-pädagogin Olga Lepeschinskaja soll 1973 einen dreimonatigen, für alle Mitglieder des Corps obligaten Kurs abhalten.)

• Einladung von Gastchoreographen, Gastspiele einzelner berühmter Solisten und ganzer Truppen, um sowohl dem Pbulikum wie den Mitgliedern des Wiener Balletts eine allgemeine Orientierung zu ermöglichen

• Tourneen des Wiener Staatsopernballetts, um es International bekannt zu machen und sein Selbstbewußtsein zu stärken. Auf diesem Gebiet wird bereits ein Anfang gemacht: die Proben laufen für ein Gastspiel beim Maggio Musicale Fiorentino, wo an sechs Abenden zwei verschiedene Programme mit insgesamt acht Balletten gezeigt werden, darunter zwei Uraufführungen von Milloss-Balletten (deren es übrigens etwa 160 gibt), die später auch in Wien gezeigt werden

(Fortsetzung auf Seite 2,

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