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Ohne Fleiß kein Preis

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Wie sich in Wiener Ballettschulen künftige Berufstänzer und eifrige Amateure mühen.

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Wie sich in Wiener Ballettschulen künftige Berufstänzer und eifrige Amateure mühen.

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Alle Jahre'wieder verzückt der Opernball das Publikum. Der Linkswalzer der Debütanten zur Eröffnung, aber auch die kleinen Schüler der Ballettschule der Bundestheater bezaubern immer wieder. Tanzen ist mehr als nur der Walzer, und die Hohe Schule des Ballett verlangt Einsatz der ganzen Person.

„Zum Tanzen muß man geboren sein." Michael Birkmeyer, Direktor der Ballettschule der Bundestheater, muß es wissen. Selbst jahrelang Vortänzer, ist er nun für den Nachwuchs zuständig. Zwischen 300 und 400 Kinder kommen jährlich zu den Aufnahmegesprächen, doch nur jedes zehnte hält den wissenden Augen des Prüfers stand. Ab der zweiten Volksschule beginnt die Körperarbeit: zuerst nur einmal wöchentlich für eineinhalb Stun den, im Jahr darauf dreimal wöchentlich, dann fünfmal. Nur etwa 30 bis 40 bleiben zur weiteren Ausbildung.

Der Wunsch zum Tanz muß vom Kind kommen. „Wir sind kein Hort, um auf Kosten der Kinder Elternträume zu verwirklichen." Bei den Knaben ist Michael Birkmeyer vorsichtiger. „Die wissen nicht wirklich, was sie wollen." Er selbst hätte als Bub kaum verstanden, warum er vor einer alten Frau mit Staberl herumhopsen sollte, während die anderen Fußball spielten. Dabei war er zum Ballett geboren. Tanzen ist alles andere als Gehopse, eher ein Hochleistungssport voll Berufung, Begabung und viel Disziplin. Ein leptosomer Körperbau ist dabei genauso wichtig wie Musikalität, Schauspieltalent, Ausdruckskraft, Dehnbarkeit, Grazie und eine Auswärtsdrehung der Hüfte.

Diese Voraussetzungen machen aber erst zu zehn Prozent einen guten Tänzer aus; die restlichen 90 Prozent sind Training. Ballettänzer sind fast so etwas wie menschliche Lippizaner: Die Kunst besteht darin, die aller-schwierigsten Bewegungsabläufe ganz natürlich aussehen zu lassen. Der Weg dahin ist mehr als dornig, nur die Härtesten kommen durch. Signalisiert der Körper dem Tänzer „ich kann nicht mehr", befiehlt der Geist beinhart „du mußt". Der Wille zur Überwindung, das ewige Erforschen der eigenen Grenze ist das Wesen des Ballett. Dabei sind Kinder leicht zu motivieren: Wer den Drang zum Tanz spürt, tut es auch.

Problematisch für die Mädchen wird die Pubertät. Volle Brüste und

ein weiblicher Popo sind beim Ballett nicht gefragt. Für manche bedeutet diese Phase das Ende einer 'Tanzkarriere. „Damit hat die Uni eine Schülerin gewonnen", sieht Michael Birkmeyer dem Lauf des Lebens gelassen zu. Die Schule wird mit Maturaabschluß geführt, ein Unikum, um das Österreich andere Länder beneiden. „Die besten Schüler sind die besten Tänzer." Intelligenz und Ausdruck gehören zusammen. Wer einmal die harte Schule des Ballett hinter sich hat, setzt sich auch bei Jazz, modern dance oder sonstwo durch.

Eigenverantwortung steht bei dieser Scfnjjform an erster Stelle. Von

acht Uhr fünfzehn bis zwölf Uhr dreißig Ballettrainig, am Nachmittag folgen die restlichen Fächer. Selbst der Samstag steht zum Trainieren frei. Die meisten leben im Internat, wer zu viel wiegt, wird vom Trainer liebevoll darauf hingewiesen. Die Kinder wissen genau, worum es geht, Druck muß die Schule keinen erzeugen. Auch die Kreativität wird gefördert: Choreografien können von Kindern erprobt und entwickelt werden, sind sie gut, werden sie einstudiert und aufgeführt. Trotzdem ist die heu rige Opernballeinlage von einem professionellen Choreografen (Zanella) gestaltet: ein entmilitarisierter Schubertmarsch im Schubertjahr. Ballett istein Gesamtkunstwerk: Musik, Körperbeherrschung und der Charakter des Tänzers tragen die Kunst.

Etwa 200 Schüler hat die Schule momentan, zehn Absolventen bringt sie im Jahr hervor. Nicht jeder von ihnen kommt an die Staatsoper, aber-Sorgen machen muß man sich auch in Zeiten der Wirtschaftskrise um keinen: Wer diese Ausbildung bestanden hat, setzt sich durch.

Viel schwerer fällt es den privaten Ballettschulen, sich zu erhalten. Sie haben keinen Abschluß zu bieten, wer bei ihnen Unterricht nimmt, dem geht es um die reine Freude an der Bewegung. Frau Nera Nicol mit ihrer Ballettschule kennt man von Plakaten und deswegen, weil der Name bereits von Legenden umrankt ist. Von der Krankenschwester bis zur Juristin reicht das Spektrum ihrer Schüler, denen sie aber so viel Begeisterung vermitteln kann, daß auch nach drei Nachtdiensten in Serie bei der Aufführung getanzt wird. Dabei hat ihre Schule schon bessere Zeiten gesehen. Sie leidet unter der Konkurrenz von Fitnesscentern und Kraftkammern. Doch ist auch hier, in den Kellerräumen der Josefstädter Straße, etwas vom Flair des Ballett zu spüren: Aufführungen, 'Tanzstücke, Musical und den unausrottbaren Walzer gibt es genauso wie bei den Professionellen.

Frau Nicol kann es sich nicht leisten, auszusuchen, doch ihre Begeisterung für die Kunst und die Motivation ihrer Schüler ist ungebrochen. Von Montag bis Samstag bemüht sie sich, Kindern und Erwachsenen jeder Statur und jeden Alters die Grundbegriffe des Ballett beizubringen. Die meisten belegen einen Kurs von zwei Stunden pro Woche. „Ich kann doch nicht zaubern", ist Nera Nicol von Eltern, die sich nach jedem Mal auch für Laien ersichtliche Fortschritte erwarten, überfordert. Klassisches Ballett, Akrobatik, Ausdruckstanz, Musical und Show Dance sind bei ihr genauso zu erlernen wie rhythmische Jazzgymnastik. Ihre Ballettschule ist ein Einfraubetrieb, vom Kulissenbau der Aufführungen über Kostüme, Choreografien und Stücke liegt alles in ihrer Hand.

Fast therapeutisch ist ihre Arbeit. Die Menschen müssen erst einmal die Angst vor der Bewegung verlieren und den eigenen Körper kennenlernen. Den hohen Anspruch des Ballett kennt sie, die professionelle 'Tänzerin war, genau. Nur ist das in zwei Stunden pro W'oche unerreichbar. Sich richtig in einer Choreografie bewegen, singen oder ein paar Sätze in einer Aufführung sagen, schon das sind Erfolge.

Frau Nicol geht auf jeden ihrer Schüler individuell ein und bemüht sich um das Aufbessern musikalischer Allgemeinbildung. Wer figur -und altersunabhängig ein bißchen Ballettgefühl erwerben will, ist bei Nera Nicol sicher gut aufgehoben.

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