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Die Musik un amen der Oesellsdiaft

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„Pelleas, ach, was für ein Meisterwerk: ich bin hingerissen!“ — rief Madame de Cambremer. (Marcel Proust)

Nach einer Reihe von ziemlich verdrießlichen Betrachtungen scheint es mir doch angebracht, zu zeigen, daß es im Dasein eines Komponisten auch ein paar angenehme Augenblicke gibt. Sie sind von entzückenden Wesen bevölkert. In den ersten Rang möchte ich jene Damen stellen, die sich glühend für die schönen Künste begeistern und im besonderen für die Musik.

Fern sei mir die lächerliche • Anmaßung, das Buch schreiben zu wollen, das geschrieben werden müßte: Die Dame und die Musik. Es erfordert eine Bildung, die mir vollkommen fehlt, und ein Gedächtnis, das sich auf historische Kenntnisse stützt, deren offensichtliches Nichtvorhandensein ich beklage. Was ich aufschreiben könnte, beschränkt sich auf wenige Tatsachen: Marie Antoinette war die Beschützerin Glucks, Madame d'Epinay fand, daß der junge Mozart nicht ohne Talent sei, die Prinzessin von Metternich zwang die Große Oper, „Tannhäuser“ zu inszenieren, Madame Verdurin ließ in ihren Salons die Sonate von Vinteuil spielen. Im Grunde genügt dies, um die äußerst lobenswerte Tätigkeit des schönen Geschlechts ins Licht zu heben.

Ich möchte nicht näher auf den Kult eingehen, den gewisse glühende Verehrerinnen dem berühmten Dirigenten wie dem Meisterpianisten weihen, oder — als es ihn noch gab — dem mächtigen Tenor, dessen Kehle die Frauen in edelster Weise entzückte. Dieser Gattung gibt es zu viele!

Diejenigen, deren Lob ich singen möchte, sind jene erlesenen Freundinnen, die mit Ausdauer die Uraufführungen und die Konzerte im intimen Kreis besuchen, die nur eben dank ihrer getreuen Anwesenheit zustande kommen können.

Ach! Wenn wir nur auf die Männer zählen müßten, die von der Last ihrer täglichen Arbeit und ihrer wirtschaftlichen Sorgen erdrückt' werden, dann sähen wir unsere Konzertsäle bald leer oder in wenig komfortable Schlafräume verwandelt!

Die Frauen, im Gegenteil, begreifen, daß sie eine Mission zu erfüllen haben. Sie kaufen Eintrittskarten, sie setzen sie in ihrem Kreise ab, und sie sparen weder Zeit noch Mühe. Sie tun noch ein übriges: sie verzichten auf ein gewisses reizvolles Spiel verführerischer Dämmerstunden, zu dem — wenn es noch ihres Alters ist — schöne Jünglinge sie auffordern, die keine absolute Abneigung für das Geschlecht empfinden, dem sie ihre Entstehung verdanken, und leider aber immer seltener zu finden sind. Und wozu verzichten sie? Um in einem kleinen, im Sommer drückend heißen, im Winter eiskalten Saal der meist entsetzlichen Aufführung schauerlicher Klanggebilde beizuwohnen, von denen sie dann noch den Mut haben werden, zu sagen: „Wie interessant!“

Diese hochgeschätzten Zuhörerinnen kann man in zwei Gattungen einteilen: Die einen bilden jene Gruppe, die es zur Meisterschaft gebracht hat: man findet sie in jeder größeren Stadt, wo ihre Autorität die öffentliche Meinung lenkt. Sie sind die Präsidentinnen jener Komitees für die Musik in Zehntcltönen oder der Vereinigungen zu Ehren eines vergessenen Vorkämpfers dieser Richtung. Sie bewirten die Kritiker mit Whisky, um ihr Ohr zu schärfen. Sie verschwenden ihr bezauberndstes Lächeln an die Prominenten der Industrie, Freunde ihrer Gatten, um die nötigen Mittel zu einem Galaabend der „antithematischen Quindezimalisten“ zusammenzubringen. Zu diesem schleppen sie dann, kraft ihres überzeugenden Charmes, den alten, müden Academicien oder den Weltmeister im Schwergewicht. Nach zwei Stunden der Langeweile, die diese Geladenen höflich zu verbergen trachten, werden sie gezwungen, ihre Begeisterung für die abstrakte Kunst ■ zu bezeugen.

Die zweite Gattung zeichnet sich durch Zurückhaltung aus. Feurige Anhängerinnen harren bescheiden, aber nicht minder ungeduldig darauf, ihren Platz unter den Erwählten einnehmen zu dürfen, deren Wort oder deren Lächeln einen Namen ins Licht hebt oder vernichtet. Sie sind es, die dann die wachsamen Beschützerinnen der „Jungen“ werden (und jeder weiß, daß im Reiche der Musik man sehr lange „ein Junger“ bleibt). Durch feinsinniges Lob werden sie jedem die Ueberzeugung beibringen, daß er schon „jemand“ ist und gerade durch das Unverstandensein, das er erduldet, an die Seite der ganz Großen gestellt wird. Unermüdlich werden sie ihn allen denen vorstellen, die ihm nützlich sein könnten, vom Orchesterdiener bis zum Mitglied der Akademie Ja, sie werden ihre Entsagung so weit treiben, der reichen alten Dame sein Lob zu singen, weil sie im Rufe steht, Aufführungsdefizite zu decken. Kurz, sie werden, mit einer Aufopferung, die über alles Lob erhaben ist, geistig und materiell den jungen Künstler ernähren.

Zu behaupten, daß alle diese Damen mit ihrem guten Willen auch Urteilsfähigkeit verbinden, wäre wohl übertrieben: wir verlangen das gar nicht. Ihre Ueberzeugung ist im allgemeinen ehrlich, zumindest in dem Augenblick, da sie geäußert wird.

Um ihre unerschöpfliche Güte zu preisen, möchte ich ein paar kleine persönliche Erlebnisse erzählen. Ich hoffe, es werde niemand aus ihnen eine Ironie herauszulesen versuchen, deren ich ganz unfähig bin und die übrigens gar nicht am Platze wäre.

Als junger Anfänger wurde ich in einen dieser Salons geladen, in denen schon so mancher Ruf geschaffen wurde, und von der Herrin des Hauses liebenswürdig aufgefordert, eine jener Sonaten für Klavier und Geige vorzutragen, deren Verfasser ich war. Leises Erstaunen in der Runde, als ich verkündete, daß ich den Geigenpart spielen und eine meiner Freundinnen mich am Klavier begleiten werde. Unser Vortrag wurde begeistert aufgenommen, und die Gastgeberin fragte mich in der natürlichsten Weise der Welt: „Aber, wer hat denn den Klavierpart komponiert?“ Schüchtern gestand ich, daß auch dieser mein Werk sei. Ihre Begeisterung stieg um mehrere Grade: „Haben Sie gehört, Adhemar, er hat auch den Klavierpart geschrieben und kann doch nicht Klavier spielen, das ist einfach fabelhaft!“ — „Aber, liebe Freundin“, erwiderte der Gatte, „das ist immer so.“ Doch blieb ein gewisses Mißtrauen zurück, das mich in die Reihen der zwar langweiligen, aber immerhin ernsthaften Musiker verwies, deren Können außer Zweifel stand.

Ein anderes Mal hatte eine Tänzerin (der Großen Oper, wohlverstanden!) ihre Mitwirkung an einer Matinee zugesagt, die der Salon d'Automne veranstaltete. Sie tanzte ein kleines Ballett, das Andre Helle und ich komponiert hatten. Aber natürlich kann ein Bühnenstern der modernen Musik zuliebe nicht auf seinen persönlichen Erfolg verzichten. Es folgten also drei Mazurken von Chopin. Nach Schluß der Aufführung kam eine Dame, die ich schon gesehen hatte, auf mich zu, drückte mir die Hände und rief, tief bewegt: „Wie entzückend jst Ihr Ballett! Doch — doch, ich versichere Sie! Vom Anfang war ich nicht übermäßig begeistert, aber die drei Stücke am Schluß ...“ — „Wie sehr bin ich Ihrer Meinung, Madame, und wie untrüglich sicher erweist sich Ihr Geschmack: es sind drei Mazurken von Chopin.“ Sie quittierte, dies mit einem gerührten Lächeln: „Ach, hier erkenne ich Sie ... Sie sagen das nur aus Bescheidenheit!“

Lange Zeit nachher kam ich eines Abends zu einer vornehmen Dame zum Nachtessen, die sofort ausrief: „Sie Lieber! Ich habe neulich am Radio Ihren Nabuchodonosor gehört, Gott, wie schön, das ist ein großartiges Meisterwerk, das ist ...“ Erkennend, daß wir im Begriffe waren, auf die schiefe Ebene eines verhängnisvollen Mißverständnisses zu gleiten, versuchte ich zu bremsen und rief rasch: „Sie wollten sagen, daß Sie Nabuchodonosor von Tarticol und Frise-nouille oder von Frisenouille und Tarticol gehört haben!“

Nach einem kurzen Schweigen hörte ich eine plötzlich sehr ruhige Stimme sagen: „Ach! Es war von Frisenouille und Tarticol ... Gott, wie unerträglich war das doch ,,. was für eine entsetzliche Kakophonie!“

So spricht man in der guten Gesellschaft. Diese Dame kannte die Künstler, und im besonderen die Musiker. Sie wußte, daß nichts ihnen mehr wohl tut als das Heruntermachen eines Kollegen und daß dies für ihr Ohr die allerlieblichste Musik ist. Wir mögen es anstellen wie wir wollen, diese edlen Damen werden immer klüger sein als wir, obwohl der Turm der Königin Margot verschwunden ist!

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