6624695-1956_01_05.jpg
Digital In Arbeit

Liete zu Momart

Werbung
Werbung
Werbung

Der kleine Mozart, den man von seinem sechsten Jahr an durch Europa schleppte, wie einen dressierten Hund an den Fürstenhöfen vorführte, beweihräucherte, mit Geschenken und Liebkosungen verwöhnte, soll sehr oft — so heißt es — Personen, die sich anscheinend für ihn interessierten, eine kindliche Frage gestellt haben: „Magst du mich gern? Magst du mich wirklich gern?“

Dies war das tiefste Bedürfnis seines Herzens.

Nicht selbst zu lieben - von Natur schon war er von überquellender Zärtlichkeit —, sondern geliebt zu werden, geliebt, wie er es verdiente, um jener unschätzbaren himmlischen Begabung willen, wie sie keinem anderen Künstler je so vorzeitig und so rein geschenkt ward.

Der verkörperten Liebe gebührt alle Liebe: Ist nicht unsere Abkehr von der Liebe der tiefste Schmerz auf Golgotha, unsere ärgste Missetat an Ihm, der dort um unseretwillen litt? Dieser Vergleich sei keine Vermessenheit. Wenn das Wunderkind von Salzburg in seiner Brust etwas von göttlicher Glut lebendig fühlte, durfte es mit gutem Recht den gleichen Anspruch erheben.

“ Ganz unbewußt freilich. In aller Unschuld. Später, viel später, im klaren Bewußtsein seines Verdienstes oder richtiger: seines Reichtums, wird er ohne falsche Scham, ohne Stolz darauf pochen. Es ist nicht sein Fehler, wenn er begabt ist! Auch nicht seine Schuld, wenn er liebenswert ist!

„Magst du mich gern? Magst du mich wirklich gern?“

Nicht gewohnheitsmäßig fragt er uns so, nicht aus Laune oder Mutwillen; nicht als Snob oder aus Zudringlichkeit, sondern aus dem Herzen heraus.

Wie viele von denen, die ihn kannten, mögen den Sinn dieses kindlichen Werbens verstanden haben? Wie haben zu seinen Lebzeiten Menschen, denen er Freude schenkte, darauf erwidert?

Kaum gereift — den Jahren nach und noch mehr als Genie —, warf man ihn beiseite wie ein Spielzeug, das keine Freude mehr macht. Auf jeder Station seines Lebens hatte er sich von neuem durchzusetzen, nach jeder Bewährung wurde eine neuerliche verlangt. Kein Erfolg sollte Dauer haben, keine Neigung, keine Freundschaft Bestand. Vielleicht begegnete er nicht eben Unverständnis, wohl aber Unterschätzung, was schlimmer ist. Durch den Vater, sogar durch seine Frau. Er versagt sich den Schlaf; dies und die Schulden zermürben ihn. Sein Ende: Tod in den Sielen, Massengrab, Vergessen.

Doch gleich nach dem Tode steigt sein Ruhm auf. Einzig auf ihn schwört man selbst in Frankreich. Man lese nur Stendhal und Ingres, Balzac und Delacroix! Wenn das sogenannte romantische Jahrhundert die Vollendung preisen will, weiß es bekanntlich nur den einen Vers: „Raffael und Mozart!“ Bis dann zuletzt der Schöpfer des „Figaro“ und der c-moll-Messe, verdunkelt durch andere Genies von lauterem Schall oder tieferem Grübeln, zum beliebtesten Lieferanten von „Uebungen für Anfänger“ herabsank. Da strahlt Beethovens Leuchtfeuer, da dröhnt die Schmiede Wagners! Wie fern rückte uns da der liebliche, schimmernde Stern! Wird seine Zeit wiederkommen? Kann sie es? L i e-ben wir ihn?

Nicht so, wie er wollte. Nicht so, wie er es verdiente. Selbst seine Bewunderer, selbst diejenigen, die ihn unvergleichlich finden, tun dies meist nur, um seinem Vorwurf zu begegnen, seine Lehre zu übersehen und das Geheimnis, das um sein Geschick waltet. Sie sprechen von ihm ohne Ergriffenheit. „Ein Wunderkind? Ja. ein Kind überhaupt! Wir aber sind erwachsen und ernst. Kinder gehören ins Bett!“

Natürlich gibt es auch Ausnahmen, heimliche Winkel, wo die Flamme unterhalten wird. In einem überreichlichen Schrifttum über Mozart in deutscher und französischer Sprache ist alles bereits gesagt, was man denken und fühlen soll. Unser Land hat einen nicht unwichtigen Beitrag geliefert: Neben das imposante Werk von Wyzewa und Saint-Foix, das in der ganzen Welt maßgebend ist, neben das geraffte Meisterwerk von Camille Ballaigne, das sogar die Klangwirkung des „Maskentrios“ oder des „Agnus Dei“ der Krönungsmesse zu vermitteln weiß, möchte ich die höchst beachtenswerten Arbeiten von Henri de Curzon, J. G. Prodhomme, Adolphe Boschot und Emanuel Buenzod stellen.

Wir wollen solchen wahren Freunden Dank wissen. Allein, wo ist die Möglichkeit, ihre Würdigungen nachzuprüfen, an ihrer Begeisterung die eigene zu entzünden? Zwei oder drei Opern (von zehn), vier, fünf, allenfalls noch ein paar Symphonien (von über vierzig), hier und da ein Quintett (von den neun), eine Messe (von neunundzwanzig), ein Quartett (von einunddreißig) — das ist alles, was wir hören dürfen. Kaum, daß man uns in Salzburg etwas mehr auftischt.

Immerhin gab's vor ein paar Jahren größere Rührigkeit. Zu allererst in Paris: da gründete man eine „Societe d'Etudes Mozartiennes“, die vier Konzerte jährlich veranstaltet, den unbekannten Mozart pflegt. Hierauf Reims: das Jahresprogramm der Societe Philharmonique dieser Stadt lebt- von Mozart. Außerdem dürfte es wohl bekannt sein, daß junge Musiker, die es satt haben, niemals oder höchst selten M e 1 o-dien.zu hören, allmählich wieder einen Sinn dafür bekommen. Neuester Snobismus oder Zeichen der Zeit?

In dem Wirrsal, in dem heute alle Künste ringen, hat — meine ich — das Kind mitzusprechen, seinen Rat zu geben, zumindest seinen Trost. Im Gefolge Berufenerer erhebe ich meine schwächere Stimme, um die Llnaufmerk-samen zum Aufhorchen zu zwingen, zum Lauschen auf den ursprünglichsten und gleichwohl meisterlichsten Sang, den reichsten, wie manche sagen, sicher aber den lautersten, der je auf Erden erscholl, seit das Paradies verloren ist.

Nur dies ist meine Absicht. Folge mir, wer mag! Ich wandere dahin, zu meinem Vergnügen, zu meiner Entspannung; wandere durch eine Zauberwelt. Der Meister der Töne führt mich, erklärt mir seine Weisen, seine Heimat, sein Los. Ich sehe ihn, höre ihn sprechen und sammle seine Aussprüche... Sollte es Wahn eines verliebten Gemütes sein? Sei's drum, wenn er mich nur glücklich macht, Freude atmet und sie anderen mitzuteilen vermag!

„Magst du mich gern! Magst du mich wirklich gern?“

Ja, lieber Wolfgang Amadeus! Wenigstens soweit es in meinen Kräften liegt. Ich liebe dich mehr als irgendeinen Meister voll Zartheit und Kraft in irgendeiner Kunst — das sei betont. Liebe dich mehr als Vermeer van Delft, mehr als Racine, mehr als Shakespeare, mehr als Fra Angelico. Mehr als jegliches menschliches Genie, mehr als jegliche menschliche Vollendetheit. Ich muß es gestehen: ich bekenne hier eine Leidenschaft. Was ich über dich schreibe, hat keine Rechtfertigung außer der einen: die Liebe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung