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Ballett - mit und ohne Strauß

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Was in Wien seit Jahren im Gespräch, steht, aber immer wieder an kleinlichen Überlegungen scheitert, erweist sich in Paris seit Jahren als entscheidender Faktor im Ballettleben: die „Groupe de recherches de l'Opera“, ein Tanzstudio der Pariser Oper, das den Ballettnachwuchs des traditionsreichen Ensembles heranbildet, ist die erfolgreiche junge Kompanie, ohne die die Zukunft des Pariser Opernballetts wohl kaum so gesichert wäre, wie sie es heute tatsächlich ist. Carolyn Carlson, eine Zeitlang Mitarbeiterin des berühmten amerikanischen Choreographen Alwin Nikolais, leitet dieses Studio. Ihren Stil hat sie vor allem bei Nikolais herausgebildet; Grundlegendes in ihrer Arbeit stammt aus dem German Dance Martha Grahams, von Rudolf von Laban und Mary Wig-man, aus deren Arbeiten sie die Verbindung von Bewegung und Ausdruck, das Schaffen von Atmosphäre gelernt hat. Ja, man kann sagen, daß sie eigentlich mit einer gerade für die Amerikaner charakteristischen Unbekümmertheit Stilelemente verbindet, die in den Arbeiten europäischer Choreographen etwa streng geteilt bleiben.

In der Arena in Sankt Marx präsentierte sie nun ihre Truppe mit zwei ausladenden Kreationen, die gewissermaßen ein Ganzes ergeben sollen: Das eine Ballett „L'or des fous“, eine Art Goldwäscherdrama, erfährt im zweiten, „Les fous d'or“,

einem allzu intellektuellem Ballett über Bewußtseinsschichten und deren Freilegung sozusagen eine Spiegelung. Bewundernswert dabei die Exaktheit, mit der die Mitglieder der Truppe akrobatische Nummern, komplizierte Bewegungsabläufe vorzeigen. Bewundernswert auch die Stilisierung zu fast schon ritualhaften Zeremonien, die mehr Bedeutungstiefe zeigen wollen als tatsächlich wohl dahintersteht. Aber als Ganzes entbehrte dieser Carlson-Abend doch nicht der Langeweile. Zu sehr ist der Perfektionismus spürbar, der alles bestimmt, hinter dem aber vom geistigen Konzept her nur wenig Überzeugendes geboten wird. R. W.

Nein, das durfte einfach nicht wahr sein, was an diesem Abend im Theater an der Wien geschah. Unter dem Titel „Ballettabend — Johann Strauß gewidmet“ hörten wir alle Musik von Tonbändern, und zwar von schlechten aus Lautsprechern. Zunächst den „Kaiserwalzer“ in der uncharmanten Bearbeitung für Kammerorchester durch Arnold Schönberg, wo doch die Musik von Strauß so sehr auf den philharmonischen Wohlklang eines großen Streichercorps gestellt ist. Eine einfallslose Choreographie von Herbert Nitsch, die Damen mit morgenkleidähnlichen Gewändern von Maa:i Tschunko versehen, vor einer farblosen Photographie Franz Josephs, ohne besondere Grazie und Einfälle, getanzt von den sonst vorzüglichen Staatsopern-Ballett-Solisten Lilly Scheuermann, Inge Kozna, Ludwig Musil und Franz Wilhelm. — Hierauf, wesentlich einfallsreicher, der „Ägyptische Marsch“ op. 325, dreisätzig: „Speed“, „Original“ und „Synthetik“ choreographiert von Carolyn Carl-son, eine interessante Arbeit, in der sie auch als Solistin glänzte. Dann kam, als erster tänzerischer Höhepunkt, aber musikalisch verstümmelt, der große Pas de deux aus dem 2. Akt von Adams „Giselle“, mit der in jeder Hinsicht hervorragenden Mailänderin Carla Fracci, die in ihrer Heimat als Nachfolgerin der Taglioni bezeichnet wird,.mit Paolo Bortöluzzi als, Partner, der weder dem Wiener noch einem internationalen Ballettpublikum vorgestellt zu werden braucht. „Laminare“ von Pink Floyd paßte überhaupt nicht in diesen Rahmen, und zum Abschluß gab es einen achtteiligen, etwa 40 Minuten dauernden „Bilderbogen“ nach einem Libretto von Hans Rochelt mit dem Titel „Vom Ring zur Rotunde“, vor wechselnden Alt-Wiener Veduten vom „Jeunesses-BalletV ausgeführt. Das konnte (und sollte wohl auch) vom Choreographischen her, keine experimentell

— avantgardistische Darbietung werden. Aber man muß ihr bestätigen, daß nichts daran kitschig war, sondern eben „konventionell“, wie es das Sujet und der Hintergrund — der historische, realistisch gemalte

— verlangt. Wiener Typen stellten sich selbst dar: der Hausmeister und der Offizier, Lavendelfrau und Gouvernante, Schusterbuben und Wäschermädchen, angeschlagene Heurigenheimkehrer und Werkelmänner.

— In fünf von den acht Bildern brillierte Lilly Scheuermann als Baronesse. Und wie formschön waren doch viele dieser alten Kostüme! Daran kann sich die Nostalgiemode für weitere zehn Jahre inspirieren...

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