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Ballettvariationen

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finde der zwanziger Jahre gründete Ninette de Valois in London ein eigenes Ballett, das sich später „Sadler’s Wells“ nannte und 1956 durch ein Sonderdekret der Königin Elizabeth zum „Royal Ballet“ avancierte. Sein Stammhaus ist die Covent-Garden-Oper. 1963 zog sich Ninette dė Valois zurück, und der seit 1935 als Chefchoreograph, seit 1952 auch als stellvertretender Direktor tätige Frederick Ashton wurde zum Leiter der berühmten Truppe ernannt. Man sagt, daß dieses 140 Mitglieder zählende Ensemble nicht nur geographisch zwischen New York und Leningrad liegt. Mit Nicolas Sergejew, dem ehemaligen Regisseur des Maryinski-Theaters von St. Petersburg, zog die Tradition des klassischen russischen Balletts hier ein. Sie wurde gewissermaßen auf den eigenen Stamm aufgepfropft und trieb bald neue Blüten. Mit der Makarowa, Anton Dolin und anderen Stars wurden die berühmten klassisch-romantischen Ballette wie „Coppelia“ und „Giselle“, „Nußknacker“ und „Schwanensee“ zu neuem Leben erweckt. Zusammen mit ihrem Reiseensemble absolviert diese Truppe im Jahr 180 bis 200 Abende. Der Standard, den sie aufzuweisen hat, ist dementsprechend.

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finde der zwanziger Jahre gründete Ninette de Valois in London ein eigenes Ballett, das sich später „Sadler’s Wells“ nannte und 1956 durch ein Sonderdekret der Königin Elizabeth zum „Royal Ballet“ avancierte. Sein Stammhaus ist die Covent-Garden-Oper. 1963 zog sich Ninette dė Valois zurück, und der seit 1935 als Chefchoreograph, seit 1952 auch als stellvertretender Direktor tätige Frederick Ashton wurde zum Leiter der berühmten Truppe ernannt. Man sagt, daß dieses 140 Mitglieder zählende Ensemble nicht nur geographisch zwischen New York und Leningrad liegt. Mit Nicolas Sergejew, dem ehemaligen Regisseur des Maryinski-Theaters von St. Petersburg, zog die Tradition des klassischen russischen Balletts hier ein. Sie wurde gewissermaßen auf den eigenen Stamm aufgepfropft und trieb bald neue Blüten. Mit der Makarowa, Anton Dolin und anderen Stars wurden die berühmten klassisch-romantischen Ballette wie „Coppelia“ und „Giselle“, „Nußknacker“ und „Schwanensee“ zu neuem Leben erweckt. Zusammen mit ihrem Reiseensemble absolviert diese Truppe im Jahr 180 bis 200 Abende. Der Standard, den sie aufzuweisen hat, ist dementsprechend.

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Wie man hörte, hätten die Engländer gerne mehrere ihrer abendsfüllenden Kreationen präsentiert. Da die Staatsoper nur für drei Tage zur Verfügung stand, versuchten die Gäste einen kleinen Querschnitt durch ihr Repertoire zu geben. So wurden an jedem der drei Abende der 4. Akt aus „Die Bajadere“, die Variationen nach Musik von Cäsar Franck und die Enigma-Variationen von Elgar gezeigt. — Das 1877 uraufgeführte Ballett von Minkus wurde in der revidierten Fassung Nurejews aufgeführt. Seine streng geometrische Choreographie ins Lyrische aufgelockert, bietet Gelegenheit zu einer wirkungsvollen Präsentation des Damenkorps, zweier Stars und dreier Solistinnen (als „Schatten“). Von großer Anmut und ungewöhnlicher Homogenität erwies sich das Ensemble der 28 Tänzerinnen — bei denen die kleinste von der größten um kaum mehr als drei bis fünf Zentimeter differieren mag. Die graziöse und federleichte Vyvyanne Lorrayne (Rilke hätte sie schon wegen ihres Namens mit den drei y vergöttert) hatte Keith Rosson CPminz), einen virtuosen Springer, zum Partner. Die Schatten wurden durch die Damen Mason, Parkinson und Derman „verkörpert“. — Dieser Bajadere-Akt hatte keinen rechten Schluß, und die banale Gebrauchsmusik von Minkus ist kaum mehr erträglich.

Danach klangen die „Symphonischen Variationen“ für Klavier und Orchester von Cesar Franck wie ein exquisites Kunstwerk. Wir sahen dieses Ballett in der Choreographie Frederick Ashtons mit Margot Fonteyn zum ersten Mal vor mehr als 20 Jahren in Wien. Es hat an Reiz und Gültigkeit nicht verloren. Choreographie und Ausführung sind von kaum überbietbarer Musikalität. Die melodiöse, rhythmisch prägnante Musik Francks wird sowohl gemäß ihrer wechselnden Klangfarbe wie auch durch Hervorhebung von Haupt- und Nebenstimmen sehr sensibel interpretiert und ins Optische übertragen. Die Prinzipien, nach denen der Choreograph arbeitet und die Tänzer agieren, scheinen Feinfühligkeit und Sparsamkeit der angewendeten Mittel zu sein. Die Akteure dieses „Ballet blanc“ waren die Damen Sibley, Jenner und Penny sowie die Herren Dowell, Coleman und Mead. Der Eleganz der Tänzer entsprach die Ausstattung von Sophie Fedorowitsch: vor einem hellgrünen Hintergrund mit sparsamem schwarzem Lineament bewegten sich alle Tänzer in weißen Kostümen, die Herren mit aparten schwarzen Gürteln und Armbinden.

Nicht ohne Sorge sah man den Enigma-Variationen von Edward Elgar entgegen, einem etwas langatmigen, 1898 geschriebenen Variationswerk, dessen einzelne Teile, nur durch die Anfangsbuchstaben der Namen gekennzeichnet, Elgars Freunde musikalisch charakterisieren sollen. Was Ashton daraus gemacht hat, war reine Poesie: Vor einem Landhaus, unter herbstlich braungoldenen Bäumen, sind wir beim Künstler zu Gast — bei Edward Elgar, 1898 in Worcestershire. Die Rahmenhandlung ist nur angedeutet: Der damals noch kaum bekannte Komponist hat eine Partitur an den berühmten Dirigenten Hans Richter geschickt — und wartet auf Nachricht. Am Ende erhält er sie: ein Telegramm mit der Botschaft, daß sein Werk zur Aufführung angenommen ist. Dazwischen stehen einige knapp charakterisierende Porträts und kleine Szenen zwischen dem Künstler und seiner Frau, seinen Freunden und Vertrauten. Es sind intime Genreszenen voller Stimmung, Lyrismus und Humor. Das Zeitkolorit wird in erster Linie durch die gemessenen Gesten, den wohltemperierten Ausdruck und die Kostüme, aber auch durch technische Accessoires (wie ein Dreirad und eine Hängematte mit fahrbarem Gestell) unterstrichen. Julia Trevelyan Oman hat sie geschaffen und William Bundyhat die Bühne mit einem zauberhaften herbstgoldenen Licht erfüllt. — Die Freundinnen und

Freunde — ein rundes Dutzend — müßte man alle nennen, obwohl die Damen durch ihre langen Röcke zum eigentlichen Tanzen kaum kamen. Zu ihnen gehörte auch Svetlana Beriosova(The Lady) als Elgars Frau, den Hausherrn und Meister tanzte Derek Rencher. Die Musik unter John Lanchberys Leitung klang so, wie ein echter Engländer angezogen sein soll: elegant und unauffällig.

Dem Publikum haben alle drei Ballette, die am ersten Abend in Anwesenheit der Herzogin Alexandra von Kent und des österreichischen Bundespräsidenten aufgeführt wurden, sehr gut gefallen — und dem Kritiker auch.

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