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MIT HUTTER, FUCHS UND ARATYM

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Im Theater an der Wien wurden vorige Woche drei neue Ballette aufgeführt, deren Ausstattung man drei Vertretern der Wiener Schule des Phantastischen Realismus anvertraut hat: den Malern Wolf gang Hutter, Emst Fuchs und Hubert Aratym. — Was hier geschah, ist nicht ohne Vorbild in der Geschichte des Musiktheaters. Als nämlich während der ersten beiden Jahrzehnte unseres Jahrhunderts Diaghi- lew in Paris mit seinem „Ballet Russe“ einen sensationellen künstlerischen Erfolg nach dem anderen hatte, waren daran die Ausstatter maßgeblich beteiligt. Fast alle kamen aus der weltberühmten £cole de Paris und waren ausgeprägte Persönlichkeiten: Bakst, Picasso, Derain, Braque, Utrillo, Marie Laurencin, Rouault und andere. — Zwar hat sich inzwischen die Kunst des Balletts weiter entwickelt, speziell an den Choreographen und das Corps werden höhere und andersartige Ansprüche gestellt und das Ausstattungsballett ist gegenüber dem Ballett blanc und gewissen abstrakten Tanzschöpfungen mit nur angedeuteten Dekorationen (oder ganz ohne) zurückgetreten. Doch soll man, wenn das Genre es erlaubt und die Gelegenheit sich bietet, vom malerischen Element entschiedener Gebrauch machen. Die drei im Theater an der Wien gezeigten Beispiele sind sehr instruktiv und ermutigend.

Es schadet auch nichts, wenn einmal an einem Ballettabend die Maler und Kostümbildner den Tänzern ein wenig die Show stehlen, zumal — das sei vorweggenommen — hier nicht sehr viel zu überglänzen war. — Gleich das erste Ballett, „Des Kaisers neue Kleider“ nach einem Märchen von Andersen (Libretto von Serge Lifar) und von Jean Frangaix (Jahrgang 1912) mit einer routiniert-gefälligen Musik ausgestattet, war von Eva Bernhofer ebenso gefällig, aber ohne bemerkenswerte Pointen choreographiert und brachte mehr als zwei Dutzend Tänzer des hauseigenen Balletts auf die Bühne. Den eitlen Kaiser tanzte Rudolf Brom, die Kaiserin Eva Dvorska und die beiden Betrüger (bei Lifar sind es drei Schneider) Mikulas Sivy und Hans Holyst. Mehr als ihre tänzerischen Exhibitionen beeindruckten ihre Kostüme, die Birgit Hutter, die Frau des Malers, geschaffen hatte: das prächtige mit silbernen Knöpfen reich verzierte in Blau des Kaisers, das elegante in verschiedenerlei Grün der Kaiserin, vor allem aber die Roben der auf Andersen zurückgehenden kaiserlichen Vorführdamen, die so prunkvoll und originell waren, daß Serge de Diaghilew die Schöpferin dieser Kreationen wahrscheinlich vom Fleck weg engagiert hätte. Wolf- gang Hutters Dekorationen sahen genauso aus wie seine Bilder: preziös, dekorativ und verspielt. Mehrere praktikable Paravents mit sich öffnenden Türen, die den Blick in kleine Kammern gestatten, waren in verschiedenartigstem Rot angemalt, wodurch eine sehr einheitliche Wirkung erzielt wurde.

In eine ganz andere, unheimlich fremdartige Welt reißt uns „Der Golem“ (Libretto von Erika Hanka und Yvonne Georgi) zu einer sehr modernen, expressiven, stets gestischen, zuweilen auch tänzerischen Musik des in Wien lebenden Engländers Francis Burt. Den Golem hat, nach einer jüdischen Legende, ein weiser und mächtiger Rabbiner in einer Zeit der Verfolgung seines Volkes geschaffen, indem er einer Lehmfigur durch das heilige Zeichen „Sehern“ Leben und unüberwindliche Kraft verlieh. Hier holt er die geraubte Rachel zurück. Aber diese ist von dem Golem so fasziniert,

daß sie nicht mehr von ihm lassen will. Als der Golem dem Rabbiner den Gehorsam verweigert, reißt die glaubensstrenge Deborah ihm das schützende „Schem“-Zeichen von der Brust, worauf der Golem zusammenbricht, nachdem er Rachel in seiner Umarmung erdrückt hat. Auch der junge Channoch, der Rachel liebt, konnte diese nicht schützen. Der Nachwuchschoreograph Alois Mitterhuber hat die fünf Protagonisten (Mi'lan Hatala, Eva Dvorska, Mikulas Sivy, Nadja Drazdilowa und Rudolf Brom) ebenso effektvoll und sicher geführt wie die Masse der jüdischen Gemeinde und die „fremden Eindringlinge“. — Es war eine ausgezeichnete Idee, gerade dieses Ballett von Ernst Fuchs ausstatten zu lassen, der zur Welt der Kabbala ein auf genauer Sachkenntnis beruhendes, persönliches Verhältnis hat. Die aufregende Handlung vollzieht sich unter einem tiefblauen,

sternflammenden Himmel (der an Rollers „Zauberflöte“- Dekoration erinnert) mit einem riesigen, glotzäugigen, goldenen Mond. Dieser wiederum ähnelt dem goldstrotzenden, muskelgepanzerten Golem — einem wahren Schreckbild der Fuohsschen Phantasie.

Für Abwechslung war gesorgt an diesem Abend: Den Beschluß bildete ein heiter-verspieltes Ballett nach George Gershwins bekannter Musik „Ein Amerikaner in Paris“, von Lola Braxton choreographiert und mit Mikulas Sivy und Nadja Drazdilowa in den Hauptrollen. Neben ihnen bewegten sich munter und von der Musik animiert zehn weitere Mitglieder des Corps als „junge Leute von Paris“.

Hubert Aratym hatte die hübsche Idee, sie alle in Kostüme aus jener Zeit zu stecken, als Gershwin in Paris war und seine Musik konzipierte (1928). Aus den zwanziger Jahren stammen auch die riesigen bunten Ansichtskarten von Paris, die von oben herabschweben, und im gleichen Stil sind Aratyms eigene Zeichnungen gehalten, die den optischen Rahmen ergänzen.

Wir haben von diesem jungen Künstler schon Stärkeres gesehen, etwa die Ausstattung des „Balkon“1 von Genėt im Volkstheater. Doch sollten nun auch unsere anderen großen Bühnen, vor allem die Staatstheater, Mut fassen und unsere Wiener Maler mit geeigneten Aufgaben betrauen. Unter der Leitung von Rudolf Bibi spielte das Orchester des Theaters an der Wien die Ballettmusik von Jean Frangaix ein wenig schwerfällig, die von Burt mit dramatischem Ausdruck und die Gershwin-Suite mit schönem Schwung. — Das Publikum erkannte das Golem-Ballett als den in jeder Hinsicht gewichtigsten Beitrag des Abends und applaudierte noch lang vor dem eisernen Vorhang.

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