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Französische Bühnenkunst in Wien

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Die Fähigkeit, das Unbedeutend-Naive, ja das Unsinnige in anmutiger und geistvoller Art zu bringen, ist ein Vorzug der romanischen Meister. Hiefür gibt es kaum ein schlagenderes Beispiel als A u b e r s „Fra D i a v o 1 o” nach dem Text von Eugene Scribe. Voraussetzung dazu ist die gründliche, mühelos scheinende Beherrschung des Handwerklichen, der Kunstmittel. Selbst Wagner — durch Temperament und Kunstwollen weltenweit von dem französischen Meister entfernt — rühmt an Auber „die ungewohnte Konzision und die drastische Gedrängtheit der Form”. — Die Neuinszenierung der Staatsoper (Osoar Fritz Schuh, Josef Krips und Robert Kautsky) gibt der Oper, was der Oper ist. Wir kennen kaum ein Opernwerk, das für ein künstlerisches Training von Solisten, Chor und Ensemble so geeignet wäre wie „Fra Diavolo”, zumal der Komponist alle Möglichkeiten der menschlichen Stimme virtuos zu benützen versteht. Mit den zur Verfügung stehenden Kräften ist eine bessere Leistung kaum möglich.

Trotz dem strengen Festhalten an der geschlossenen Nummer wirkt daneben Bizets „Car- m e n” schon als Musikdrama. In der Neuinszenierung der Staatsoper wird der realistische Charakter des Werkes durch Wiederaufnahme der Urfassung mit gesprochenem Dialog kräftig unterstrichen. Diese Fassung verdient ohne Zweifel den Vorzug vor der seit Mahler bei uns üblichen, wenn es gelingt, das gesprochene Wort in Tempo, Rhythmus und Sprachmelos der Partitur organisch einzugliedern. In dieser Hinsicht läßt die Aufführung der Staatsoper zu wünschen übrig. Auch bei der Gestaltung des Bühnenbildes und der Kostüme ging Caspar Neher von einer richtigen Überlegung aus, wenn er den südländischen Charakter des Werkes hervorheben wollte. Denn nach Herkunft, Temperament und dem Großteil seiner Stoffe gehört Bizet zum mediterranen Raum. Doch geriet sowohl im Bühnenbild als auch in der Regie (O. F. Schuh) manches zu steif und zu statisch. Die Choreographie Erika Hankas lag auf der richtigen Linie und fiel daher etwas aus dem Rahmen. Dem Ballett, den Chören und Solisten kam als Entschädigung für eine gewisse Dürftigkeit die Geräumigkeit des Spielplatzes sehr zustatten. Orchester, Chor und Ensembles unter Josef Krips waren einwandfrei, zum Teil sehr präzise und klangschön. Die dar- eHerische und musikalische Leistung von Elisabeth Höngen, die zur Rolle der Carmen wahrlich nicht prädisponiert ist, verdient uneingeschränkte Anerkennung. Das gleiche kann von dem Don Josė Helge Roswaenges leider nicht gesagt werden. (Esoamillo: Marjan Rus, Micaela: Esther Rėthy.)

Das „Ballet de Paris” gab ein viertägiges Gastspiel in der Volksoper mit einem jedesmal variierten Programm, welches insgesamt acht Ballette umfaßte. Neben Tschaikowsky, Chopin und Johann Strauß wurde auch nach neuen choreographischen Partituren von Jean Franęais, Darius Milhaud und Manuel Rosenthal getanzt. Das von Roland Petit geleitete Ensemble besteht aus 15 solisisch ausgebildeten Mitgliedern, die zum Teil dem Pariser Opernballett angehörten, zum Teil von anderen Bühnen Frankreichs, Italiens und Englands gewonnen wurden. Das Schwergewicht liegt auf den Darbietungen im Stil des „klassischen Balletts”, das für uns mit dem Namen Diaghilews verbunden ist. Die „Neoklassik”, zu der sich Roland Petit bekennt, macht — wenigstens vorläufig noch — aus der Not eine Tugend. Eine Reihe glänzender Einzelleistungen kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Ensemble erst auf dem Weg zur Vollendung ist.’ Bedenkt4 man, daß die „Ballets des Paris” im Mai dieses Jahres’zum erstenmal irrt Pariser Theater Marigny auftraten und vergleicht man damit die jahrzehntelange strenge Schule etwa des Diaghilew-Balletts, so wird man die Gesamtleistung positiver werten müssen. — Von besonderem Interesse waren für uns die neuen Ballette; aus welchen man schließen kann, daß Fran k reich gegenwärtig eine Blütezeit der choreographischen Musik erlebt, welche der großen französischen Tradition auf diesem Gebiet seit Debussy, Ravel und Strawinsky würdig ist.

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