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Französische Musik auf Schallplatten

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Zum Abschluß und gewissermaßen als Clou des heurigen Internationalen Musikfestes im Juni wird im Großen Konzerthaussaal Claude Debussys einzige Oper aufgeführt. Aus diesem Anlaß verweisen wir auf eine bei Philips erschienene vollständige Aufnahme dieses Werkes auf drei Langspielplatten (A 00192—94), die zu den besten gehören, die uns auf diesem Gebiet bekannt sind. — Nunmehr kann man das selten aufgeführte und vor allem von den deutschen Opernhäusern sträflich vernachlässigte Werk näher kennenlernen und zugleich eine Hohe Schule des guten Geschmacks besuchen. Diese Oper mit den lose aneinandergefügten 16 Bildern und die diskrete, immer weich und transparent klingende Musik ist das Ergebnis härtester Arbeit — und keineswegs „geniale Improvisation“. Von 1893—1895 entstand die erste Fassung der Partitur, bis 1897 die zweite, und die dritte wurde abgeschlossen, als sich bei der Generalprobe am 27. April 1902 in der Opera Comique zu Paris der Vorhang hob: Debussy besserte buchstäblich bis zum letzten Augenblick an der Partitur und den Stimmen. Daß Debussy auf das geheimnisvoll-andeutungsreiche, in einem mythisch-magischen Nirgendwo und Langeher spielende Stück Maurice Maeterlincks stieß, war einer jener in der Operngeschichte leider so seltenen Glücksfälle. Immer schon hatte er sich einen Dichter gewünscht, der nur mit halber Stimme und in Andeutungen spricht, der nicht schwerwuchtende Akte, sondern bewegliche lyrische Szenen schreibt, der Weitschweifigkeit und Phrasen meidet. Der Diktion Maeterlincks, dieser Paraphrasierung des Fragezeichens und des Gedankenstrichs, wie einmal gesagt wurde, entspricht Debussys Musik auf das genaueste. Ihre schwebende und fließende Bewegung duldet keine starren Vokalformen wie Arie und virtuosen Ensemblesatz. Vor einer genau abgestimmten Klangkulisse folgt die Gesangstimme genau dem französischen Sprachmelos (daher wirkt jede Uebertragung in eine andere Sprache so peinlich). Der sparsame Gebrauch der Blechinstrumente, die Verwendung von meist einfachem Holz sowie einige andere „Tricks“ bewirken, daß in dieser Oper — als der einzigen, die wir kennen — bei deutlicher Aussprache jedes Wort verständlich ist. Sowohl diese neuartige Deklamation wie auch die (die Wagnerschen Leitmotive ersetzenden) mehr lyrischen als gedanklichen Klangsymbole sind das Ergebnis jener „petite chimie de phrases plus personelles“, von der Debussy einmal spricht. Unter der Leitung von Jean Fournet, der ein anerkannter Interpret der französischen Impressionisten ist, begleitet das Orchestre des Concerts Lamoureux ein hervorragendes Ensemble weicher, ausdrucksvoller und fein modulierender Stimmen: Camille Maurane und die elfenhaft zarte Janine Micheau in den Titelrollen, Xavier Depraze als Könik Arkel, Rita Gorr als Genevieve und der auch in Wien bekannte Michel Roux als Golaud. Der Perfektion der künstlerischen Aufführung entspricht durchaus die der Aufnahmetechnik.

Kein größerer Gegensatz — innerhalb eines ähnlichen Stils — ist vorstellbar, als zwischen Debussys Meisterwerk und Maurice Ravels Einakter nach der drastischen Buffokomödie von Franc Nohain, in der die Uhren, Glockenspiele und Automaten Seele zu haben scheinen und sich die von ihren Trieben regierten Menschen fast wie Automaten bewegen. Dieses groteske Spiel um die schöne Conception mit ihren vielen Verehrern war für Ravel eine willkommene Gelegenheit, seinen gallischen musikalischen Witz zu üben. Er hatte lange darauf gewartet, und als er das Textbuch gefunden hatte, schrieb er von Mai bis September 1907 die Musik nieder. Die Uraufführung fand freilich erst 1911 statt: man fürchtete sich vor den Schwierigkeiten dieser Partitur, deren Ausführung größte Präzision erfordert. (Ihretwegen nannte Strawinsky seinen Kollegen Ravel „horloger suisse“.) 36 Einleitungstakte genügen Ravel, diesem Meister der Konzentration, das mechanische Paradies der Uhren darzustellen. Dem Buffostil des Werkes entspricht die trocken-abgehackte Rezitation, die auf der VOX-Platte 78 80 PL vorzüglich wiedergegeben ist. Unter der Leitung von Rene Leibowitz spielt das Pariser Radioorchester und singen Janine Linda, Jean Mollien, Jean Hoffmann, Lucien Mans und Andre Dran, letzterer in der einzigen lyrischen Partie des Stückes als Dichter Gonzalve.

Einen anderen Ravel lernt man in der „Rapsodie Espagnole“ kennen, in der er zum erstenmal die vielfältigen Klangmöglichkeiten eines großen Orchester mit vier Flöten, zwei Harfen, Celesta, Schellentrommel usw. erprobte. Auf der gleichen Platte (VOX 81 50 LP) sind die Ballettmusik „La Valse“ (deren ursprünglicher Titel „Sinfonische Dichtung: Wien“ lautete) sowie der berühmte „Bolero“, die kleine dramatische Szene „Alborada del Gracioso“ (aus „Miroirs“) und die „Pavane“ (ursprünglich gleichfalls ei Klavierstück) aufgenommen. Rene Leibowitz mit dem Orchestre Radio-Symphonique de Paris zeigt in dem überdeutlichen, fast gläsernen Klang, der zum Teil von den helleren französischen Bläsern rührt, den „Geometer des Mysteriums“. Die besonders gehaltvolle VÖX-Platte hat eine Spieldauer von einer vollen Stunde.

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