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Das BBC-Ordiestra in Wien

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An drei Abenden spielte im Großen Konzerthaussaal das 1930 gegründete BBC-Örchestra London. Neben dem Rundfunkdienst bestreitet es einen populären Zyklus in der Royal Festival Hall mit jeweils einem zeitgenössischen Werk. Sir Adrian Boult war sein erster ständiger Dirigent, bekannte Komponisten und Dirigenten, wie Richard Strauss und Igor Strawinsky, Felix von Weingartner, Bruno Walter und Serge de Kusse-witzky, haben es geleitet. Sein letzter ständiger Dirigent, seit 1967, ist Colin Davis, der im nächsten Jahr von Pierre Boulez abgelöst wird.

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An drei Abenden spielte im Großen Konzerthaussaal das 1930 gegründete BBC-Örchestra London. Neben dem Rundfunkdienst bestreitet es einen populären Zyklus in der Royal Festival Hall mit jeweils einem zeitgenössischen Werk. Sir Adrian Boult war sein erster ständiger Dirigent, bekannte Komponisten und Dirigenten, wie Richard Strauss und Igor Strawinsky, Felix von Weingartner, Bruno Walter und Serge de Kusse-witzky, haben es geleitet. Sein letzter ständiger Dirigent, seit 1967, ist Colin Davis, der im nächsten Jahr von Pierre Boulez abgelöst wird.

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An zwei Abenden spielte das berühmte Orchester unter Boulez, der seine technischen Kenntnisse der modernen Kompositionsmethoden sowie seine Autorität als Avantgardekomponist bei der Interpretation neuerer und neuester Werke einsetzt. Immer wieder findet man auf seinen Programmen Debus-sys Ballettmusik zu „Jeux“, die von Diaghilew bestellt und von Nijinsky choreographiert und getanzt wurde. Es ist gegenwärtig Mode, diese Gelegenheitsarbeit über den grünen Klee zu loben, aber diese Musik, die Debussy bereits 1912 (nicht wie im Programm angegeben, 1913) schrieb, hört sich an, wie wenn der damals schon berühmte Komponist eine Viertelstunde lang Debussy-Musik machte, ohne daß es ihn gefreut hätte oder ohne daß ihm etwas Besonderes eingefallen wäre. Im übrigen war er von der Choreographie entsetzt.

Als nächstes Stück folgten „Punkte für Orchester“ von Karlheinz Stockhausen, 1952 geschrieben und zehn Jahre später umgearbeitet. Der Komponist erläutert folgendermaßen die darin verwendeten „Gestalttypen“: „Ein Punkt wird nach oben oder nach unten zunehmend breiter; oder ein Tongemisch wird von oben oder von unten zunehmend schmäler.“ Dann stellt er die Frage, warum wir Musik immer nur als Tongebilde im leeren Raum verstehen. „Kann man nicht genausogut von einem homogen gefüllten Klangraum ausgehen und die Musik aussparen, die musikalischen Figuren, Formen herausradieren?“ Natürlich kann man. Aber es klingt dementsprechend. Nämlich absolut sinn- und zusammenhangslos. Doch anscheinend nicht für Boulez und seine Musiker.

Hauptwerk und Höhepunkt des ersten Konzerts war Strawinskys „Sacre du Printemps“, aus dem gleichen Jahr wie Debussys „Jeux“, aber eine andere Welt darstellend: die des Archaischen, Vorkulturellen, Magischen, die mit größtem Raffinement in Töne und Klänge gebannt ist. Diese Partitur stellt auch heute noch an ein Orchester hohe Anforderungen. In Boulez hatten die Musiker der BBC einen souveränen Betreuer, der vor allem die Architektonik und Struktur des komplizierten Werkes in allen seinen Details transparent machte. Das Magisch-Rituelle schien Boulez weniger zu interessieren, seine Bewegungen blieben „sachlich“ und auf das Notwendigste beschränkt. Aber für dieses vorzügliche Orchester, das den „Sacre“ zu seinen Repertoirestük-ken zählt, genügte es ...

Auch der zweite Abend des BBC-Symphonie-Orchesters demonstrierte, mit welcher Akkuratesse, Klangkultur, mit wieviel Brio dieses Ensemble Meisterwerke der klassischen Moderne zu spielen versteht. Pierre Boulez leitete dieses Konzert ein wenig persönlicher als das erste. Vor allem im Adagietto von Mahlers „Fünfter“ kostete er den samtigen Streicherklang, die Schönheit Mah-lerscher Resignation voll aus. Derb und fast drall tollten ein paarmal die Folklorerhythmen am Hörer vorbei, vollsaftige Ironie züngelte durch die schwierigen Holz- und Blechpassagen. Scharf gezeichnete Kontraste in Kurzstreckensteigerungen dominierten. Natürlich hatte auch hier die sachliche, ungemein ökonomische Gestaltung, die kalkulierte Ekstase in der es kein Zuviel an Aufwand keine „Verschwendung“, kaum jemals Hingabe gibt, absolut Vorrang und zwar weil Boulez selbst nichts mehr als störend empfindet, als wenn ein Dirigent seine privater Emotionen in eines Komponister Werk hineininterpretiert. Mahlers entscheidende Vorstellung, daß die einzelnen Stimmen mit ihren verästelten Passagen hier möglichst solistisch anmuten, manchmal wie Einzelgänger auftreten sollten, gelang ihm überzeugend. Naturgemäß spartanischer als die Aufführung der Mahler-Symphonie klang die Wiedergabe von Bartöks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Ce-lesta, die hier als kühl schimmerndes äußerst virtuos gespieltes Stück mit vielen Bravourmomenten der Instru-mentalisten abschnurrte.

Alle guten Eigenschaften und Qualitäten des BBC-Orchestra konnte man noch einmal in einem ausschließlich Hector Berlioz gewidmeten Programm bewundern: Glanz und Präzision der Bläser, Kraft, Ausdruck und Akkuratesse des gesamten Streicherkorps. „Le Corsaire“, 1831 skizziert und 1845 umgearbeitet, nennt sich eine Ouvertüre, ist aber eigentlich eine symphonische Dichtung über Byrons bekanntes Epos. Der robuste Charakter und das Blechgeschmetter lassen das effektvolle Stück für eine Militärkapelle prädestiniert erscheinen. Vielleicht hat man es dort schon entdeckt. — Aus ganz anderem Stoff sind die sechs Gesänge „Les nuits d'eti“ nach Gedichten von Theophile Gautier: hochromantische Orchesterlieder, schwungvoll, melodisch und sentimental, von Heather Harper mit berückend schöner Stimme und ausdrucksvoll vorgetragen (Die aus Nordirland stammende Sängerin begann als Choristin der Glyndebourne-Opera und wurde als Interpretin des Sopran-Soloparts bei der Uraufführung von Brittens „War Requiem“ berühmt. Heute reicht ihr Repertoire von Händel bis Schönberg und Boulez). Colin Davis, der Berlioz besonders zu lieben scheint, hat bereits 1963 und 1965 im Konzerthaus dirigiert und den Eindruck von damals bestätigt: nämlich den eines virtuosen Routiniers (er wird mit Beginn der übernächsten Saison Chef der Royal Opera Covent Garden).

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