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Boulez mit Mozart und Bartok

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Es begann mit Mozarts „Sinfonis concertante“ Es-Dur, einem unbeschreiblich schönen, anmutigen und einfallsreichen Werk, dessen Soloparts von zwei 1938 nach England emigrierten Österreichern gespiell wurden, die dort alle nur möglichen Auszeichnungen erhalten haben. Mil Recht. Denn einen so schönen Bratschenton, wie ihn Peter Schidlof hervorbringt und ein so temperamentvolles und zugleich nobles Spiel, wie es Norbert Brainin zu bieten hat hört man selten. Dann folgte eir Sopranistin von besonderer Art unc Qualität: Felicity Palmer, 1944 ir Cheltenham geboren und mi einem Kathleen-Ferrier-Stipendiurr in Amerika ausgebildet. Sie san{ die überaus schwierige, mit Tücker aller Art gespickte, aber auch sehi wirkungsvolle Sopranszene „Belli mia fiamma“ von Mozart, mit dramatischem Impetus. Ihr Timbre — nobel, keusch und ausdrucksvoll — ist das einzige uns bekannte, welche; an das der unvergeßlichen Ferriei erinnert. — Dann kam, mit Bartökt Ballettmüsik zu „Der wunderbar Mandarin“ die Stunde des Dirigenten und des Orchesters. Obwohl man diese Musik lieber aus dem Orchestergraben hört — sie huldigt doch streckenweise einem etwas primitiven Bruitismus und ist sehr gestisch — machte Boulez ein rasantes, umwerfendes Paradestück für Orchestei daraus.

Dieses Konzert dauerte bis urr 21.30 Uhr. Kurz nach 22 Uhr begann im gleichen Saal die „Open-House“-Veranstaltung mit Boulez, der sein in memoriam Strawinsky geschriebenes Werk .....explosante-flxe...'

(ein Zitat aus Adre Breton) vorführte. Es ist für acht Soloinstrumente geschrieben, einschließlich Harfe und Vibraphon, die mittels Life Electronic klanglich manipuliert, verstärkt und kombinieri werden und mit zahlreichen Lautsprechern im Saal verbunden sind, Wichtiger als die komplizierten technischen Vorgänge, die Boulez einem sehr zahlreichen, sehr aufmerksamen Publikum bis gegen Mitternacht erläuterte, ist das Ergebnis: eine merkwürdig irreale, meditative, an Fernöstliches erinnernde Großraum-Kammermusik, in ihrem Ge-stus mehr als Hauer als an Schön-berg erinnernd, die, je länger man ihr zuhört, um so mehr fasziniert. *

Boulez und das BBC Orchestra zum dritten und letzten Mal mil Mozart. Diesmal war die „Linzer Symphonie“ in C-Dur das Opfer —, man kann es nicht anders sagen. So steif im Ton, so undifferenziert in Agogik und Dynamik haben wir sie wohl kaum je gehört. Natürlich hat alles „geklappt'', und wieder konnte man die Präzision der Bläser bewundern, aber die Streicher ließen es leider nicht nur am Vibrato fehlen. Wahrscheinlich wollte es der Dirigent so haben. — Hierauf „Nänie auf Orpheus Tod“ von Harrison Birtwistle, dem knapp 30jährigen Engländer, für den sich Boulez immer wieder einsetzt. Apart ist die Besetzung: die Singstimme wird von drei Baßklarinetten, Klavier und zahlreichen kleinen Becken begleitet, grundiert, umschwebt, eingehüllt. Aber wie der englische Text Peter Zinovieffs vom Komponisten

zerpflückt, atomisiert oder plötzlich einer Cantilene unterlegt wird — das scheint von äußerster Willkür bestimmt — wobei man, wenn man „Nänie“ hört, nicht gleich an die von Brahms oder an die „Threni“ Stra-winskys zu denken braucht. Die junge englische Sopranistin Jane Manning, die sich als Interpretin des Schönbergschen „Pierrot lunaire“ einen Namen gemacht hat, bot ihre ganze Virtuosität auf, diese hektischen Sprünge und Staccati streng nach der Partitur zu realisieren, und ihren Kunststücken hörte man gerne 13 Minuten lang zu. Aber viel länger hätte es nicht dauern dürfen ...

Der 2. Teil des Programms wurde mit Debussys dreiteiliger symphonischer Dichtung „Iberia“ eröffnet, deren Partitur bereits 1908 beendet war. Man kennt die Tendenz von

Boulez, Debussy zu „verdeutlichen“, dessen Farben in Linien zu verwandeln und dieser Musik ihr charakteristisches „sfumato“ zu nehmen. Doch sollte dies nicht mittels permanenter Vergröberung geschehen, indem man zum Beispiel im Dynamischen exzediert und auf weite Strecken alle Instrumente gleich laut spielen läßt. Daher waren eigentlich nur in Bartöks 2. Klavierkonzert, das größtenteils 1931 am Mondsee komponiert wurde, Werk und Wiedergabe kongruent, nicht zuletzt dank des energisch exekutierten und hart-konturierten Soloparts von Geza Anda. Hier war auch Boulez ganz in seinem Element, besonders in den barockisierenden und hämmernden Ecksätzen, die von den Bläsern des BBC-Orchesters mit unfehlbarer Präzision ausgeführt wurden. Nach diesem Stück war der laute Applaus voll gerechtfertigt.

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