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Leinsdorf, Prager, McDaniel

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Einen erfreulichen Niveauanstieg gegenüber den ersten Abenden dieser Reihe bescherte das 3. Sonderkonzert der Wiener Symphoniker im Konzerthaus: Erich Leinsdorf, ehemals Toscaninis Assistent, Chef des Boston Symphony Orchesters, einer der beliebtesten Plattenstars der USA, versteht es auch, die Wiener mit imponierendem Elan, Exaktheit und Gespür für Klangvaleurs zu Höchstleistungen zu führen. Brahms' „Erste“ war das Paradebeispiel, wie konzentriert, zugleich ohne alle Showeffekte und -allüren dieser Dirigent arbeitet: mit klaren, sachlichen Markierungen, korrekten Tempi und dem Gefühl für das Ausschwingenlassen großer Bögen. Man kann für das Orchester nur hoffen, daß es in Hinkunft öfter mit Leinsdorf arbeiten wird. — Als Solist des 2. Klavierkonzerts von Brahms präsentierte sich der junge Andre Watts: ein souveräner Techniker, in dessen Interpretation keinen Moment Leerläufe zu finden sind. Mit streng reguliertem, flexiblem Anschlag bewältigte er diesen „Prüfstein“, die „inhaltlich gewichtigste wie technisch anspruchsvollste Aufgabe, die den Pianisten am Ausgang des 19. Jahrhunderts überhaupt gestellt wurde“, mit einer Sicherheit und einem Stilgefühl, wie es bei einem Nichteuro-päer staunen läßt. Kein Wunder, daß das Publikum beide Künstler und die in Hochform spielenden Symphoniker stürmisch umjubelte und sogar eine Zugabe erklatschte. Für die Eigenkonzerte des Orchesters wird dieses Konzert jedenfalls als Maßstab angesehen werden. R. W.

Als „Jeunesses musicales“ das Prager Kammerorchester zu einem Konzert im Großen Musikvereinssaal engagierte, war man gut beraten. Das

über vorzügliche Streicher und erstklassige, sichere Bläser verfügende, ohne Dirigenten spielende Orchester brachte neben Haydns Symphonie „Die Uhr“ und Mozarts „Pariser Symphonie“, KV. 297, im Mittelteil seines Programms zwei interessante in Wien noch nicht gehörte Werke zur Aufführung, mit denen bekanntgemacht zu werden man dankbar sein muß. Nach dem eingangs gespielten Haydn hatten sich die Hörer zu einem musikalischen Umdenken um 180 Grad für das folgende Werk Andre Jolivets zu bequemen. Der französische Komponist, ein Schüler des Avantgardisten Edgar Varese, schrieb ein einsätziges „Concertino für Trompete, Streicher und Klavier“, das, bei starken Klangkontrasten zwischen Soloinstrumenten und Orchester und vorherrschender Poly-tonalität, im langsamen Teil einige kantable, mehr tonal gestaltete Abschnitte bringt, vor allem aber der Trompete Gelegenheit zu größter technischer Brillanzentfaltung bietet. Die bereits zu einem Wiener Liebling gewordene Amerikanerin Carole Reinhart stellte diese in reichem Ausmaß bei. Die zweite Novität, die „Parthia“ in d-Moll des böhmischen Komponisten Franz Ignaz Tuma (1704 bis 1774), weist neben ihrem barockalen Grundcharakter bereits Vorstöße in die Klassik auf, die am deutlichsten unter den fünf Sätzen in der gesanglichen „Arietta'1' hervortreten. Ein der Wiedererweckung wertes Werk. Das schöne Konzert hätte besseren Besuch verdient.

Im Mozart-Saal gab Barry McDaniel einen Liederabend, begleitet von dem Berliner Komponisten Ari-bert Reimann. Der erste Teil wurde von Ravels „Histoires naturelles“

(fünf humoristischen Tierporträts) eingeleitet, der zweite Teil von den „Proses lyriques“, Texte und Musik von Debussy — womit der Sänger seine Vorliebe für französische Musik ebenso demonstrierte wie seine gute Kenntnis der Sprache. Das weiche, nicht sehr starke (und auch nicht wandlungsfähige) Organ McDaniels genügte den Anforderungen dieser verspielten und lyrischen Piecen. Nicht ganz entsprach es den zwei Hugo-Wolf-Zyklen (drei Gesänge des Harfenspielers und fünf Mörike-Lieder). Fast galt das Interesse mehr dem Pianisten, der sich in seiner eigenen Komposition mit dem Titel „Nachtstück“ (vier Gedichte von Eichendorff) als starke Persönlichkeit auswies. Das zeigte sich vor allem darin, daß er eine ganz eigene, neuartige Stimmung heraufzubeschwören wußte: düster, pessimistisch, gespenstisch, jenseitig („Wie bald kommt nicht die ewige Nacht. Du schöne Welt nimm dich in acht!“). Er tut dies mit modernsten Mitteln der kompositorischen und pianistischen Technik und macht durch die Einheitlichkeit und Suggestiykraft seiner Tonsprache einen nachhaltigen Eindruck. Viel Beifall und mehrere Zugaben. H.A. F.

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