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Eine Konzertreihe von Graz 2003 widmet sich ausschließlich der Musik des 20. Jahrhunderts.

V ielgestaltigkeit prägte die Kunstmusik des 20. Jahrhunderts, die bis heute einer breiteren Öffentlichkeit großteils unbekannt geblieben ist. Die Konzertreihe Ikonen des 20. Jahrhunderts, kuratiert von Peter Oswald, hat sich zum Ziel gesetzt, zentrale Positionen der Moderne zu Gehör zu bringen, schmackhaft gemacht durch herausragende Interpreten und einen neuen, architektonisch reizvollen Veranstaltungsort: die Helmut List-Halle am westlichen Murufer. Ein Konzept, das angesichts des ungebrochenen Besucherzustroms bisher aufgegangen ist.

Positionen der Moderne

Die Auswahl der dargebotenen Werke spiegelt subjektive Vorlieben wider. Keineswegs zum Nachteil. Einer Ästhetik des Neuen verpflichtet, spielt man mittlerweile klassisch gewordene Stücke wie auch Kompositionen erfolgreicher Zeitgenossen. Den Auftakt bildeten Orchesterkonzerte: Das Sinfonieorchester des Slowenischen Rundfunks präsentierte unter der Leitung von Johannes Kalitzke mit Atmosphères eine bahnbrechende Komposition von György Ligeti bestechend unprätentiös, kraft- und temperamentvoll, wo nötig. Mit Nocturne II des in Krakau geborenen Wahlösterreichers Roman Haubenstock-Ramati erklang ein durch Unterteilung des Orchesters in Gruppen geprägtes Stück. Symphonische Kraft verströmte Giacinto Scelsis immense Weite suggerierende Komposition Aion. Den nachhaltigsten Eindruck des Abends vermittelte jedoch die Komposition des Ligeti-Schülers Uros Rojko, dessen sirenenartig auffahrende wie gläsern kristalline Klangpunkte umfassende Komposition Der Atem der verletzten Zeit in bis an die Grenzen des Erträglichen gesteigerter Intensität Ende der achtziger Jahre den Balkankrieg vorausahnte. Es blieb ein beklemmender Eindruck, der die Wirkungskraft unmittelbar zeitgenössischer Kunst bewusst machte.

Unter der Leitung von Christian Arming präsentierte das Radio Symphonie Orchester Wien Leos Janáceks symphonische Dichtung Taras Bulba und die Orchestersuite der letzten Oper des tschechischen Komponisten Aus einem Totenhaus mit selten zu hörender strahlender Farbigkeit, die sowohl der dunklen Heroik der Rhapsodie wie auch dem utopischen Gehalt der Oper gerecht zu werden vermochte, ohne deren Distanz zum Heute vergessen zu lassen. Perfekt klanglich austariert auch das Violinkonzert des durch seine mikrotonalen Kompositionen bekannten Grazers Georg Friedrich Haas. Beeindruckender Solist: Ernst Kovacic.

Publikumsmagnet Valery Gergiev bot mit dem Kirov Orchester des Mariinsky Theaters neben Strawinskys epochalem Klassiker Le Sacre du Printemps, mit ekstatischer Verve musiziert, wobei die Lautstärke teilweise bis an die Erträglichkeitsgrenzen gehende Extremwerte erreichte, vier Stücke aus Friedrich Cerhas SpiegelZyklus dar, einem Werk, das Ligetis Atmosphères ähnlich, diese an Spannungsreichtum beinahe noch übertraf.

Die geglückte Programmwahl, die Korrespondenzen wie persönliche Handschriften deutlich machte, für "roten Faden" und zugleich für Abwechslung sorgte, setzte sich in den vier Konzerten des Klangforum Wien fort, das mit Sylvain Cambreling Kleinodien der Klangkunst der neuen Musik für kleinere Besetzungen präsentierte.

Zwiespältig nur Hans Zenders kompositorische Bearbeitung von Schuberts Winterreise mit Christoph Pregardien: Spannend die Verteilung der Klänge im Raum, beeindruckend die phantasievolle Instrumentation, die alle Nuancen von Schuberts Liederzyklus auslotet. Merkwürdig unentschlossen jedoch der Gesang: Als wäre er einem Ideal verhaftet, das selbst die eigene Infragestellung unberührt lässt. Hier hätte man sich mehr Mut zu bewusster Interpretation gewünscht.

Herausragend die Interpretation von For Samuel Beckett, einer 55 Minuten langen subtilen Reise ins Innere des Klangs aus der Feder des Amerikaners Morton Feldman. Atemberaubend auch Luigi Nonos Boulez gewidmete Komposition A Pierre, ein Duo für Kontrabassflöte und -klarinette, das spannungsvoll Klänge am Rande der Stille auslotet.

Hatte Wolfgang Rihms Schattenstück im Konzert des Radio Symphonie Orchesters weniger überzeugt, fesselte nun seine energiegeladene Gejagte Form mit packendem Spannungsverlauf. Éclat von Pierre Boulez und Helmut Lachenmanns Mouvement (- vor der Erstarrung) beeindruckten durch große kompositorische wie interpretatorische Virtuosität und homogene Gesamtwirkung.

Andere Zeitwahrnehmung

Heutige Möglichkeiten elektronischer Klangproduktion bereits 1924 vorausahnend, schrieb der Pariser Edgar Varèse ein Stück Intégrales, das mit dem Wechsel von solistisch geführter melodischer Linie und orchestraler Strahlkraft überzeugt. Plastische Gestaltungskraft kennzeichnete Shadows, ein Doppelkonzert für Flöte und Klarinette des ungarischen Komponisten und Dirigenten Peter Eötvös. Gérard Griseys an Techniken der amerikanischen Minimalisten erinnernde, ruhige, farbige Klänge von Le Temps et L'Écume ließen durch neue, der Alltagszeit bewusst entgegengesetzte Zeiterfahrungen aufhorchen.

Beinahe überflüssig festzustellen, dass trotz des reichen Angebots vieles offenbleiben muss. So mag man genauso Werke des einflussreichen Amerikaners John Cage vermissen wie auch Kompositionen von Stockhausen, Henze, Schnittke oder vieler Komponisten der jüngeren Generation. Vielleicht ist das ja auch gut so. Weil es nach Fortsetzung verlangt.

Die Reihe wird von 11. bis 13. April mit einem Olivier Messiaen-Zyklus fortgesetzt.

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