Ein Bildungsroman in Tönen

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Mehr und weniger überzeugend: Oper der Gegenwart bei den diesjährigen Festwochen.

Gleich vier Musiktheaterproduktionen zeigen die Wiener Festwochen 2008: Nach einigen quantitativ recht mageren Jahren - wenn auch 2007 Janáceks "Aus einem Totenhaus" mit Pierre Boulez und Patrice Chéreau zu einem qualitativen Höhepunkt geriet - hat Stéphane Lissner heuer vergleichsweise aus dem Vollen geschöpft. Dem Festwochen-Musikdirektor war ja in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen worden, sich mehr um seine sonstigen Intendantenjobs (Aix-en-Provence, Mailänder Scala) zu kümmern. Als wollte er seinen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, zeigen die Festwochen dieser Tage vier Opern des 20. Jahrhunderts.

Drei maßgebliche Persönlichkeiten nicht nur der deutschen Nachkriegs-Musikgeschichte, nämlich Hans Werner Henze, Karlheinz Stockhausen und Wolfgang Rihm, treffen dabei auf einen hierzulande noch weniger bekannten Briten, George Benjamin. Auffällig ist, dass es sich um stilistisch eher versöhnliche Werke handelt und die prononcierte Avantgarde ausgespart bleibt: Vom fast 82-jährigen Henze wird dessen jüngste, im September in Berlin erfolgreich uraufgeführte Oper "Phaedra" von der Staatsoper unter den Linden übernommen (Dirigent: Michael Boder, Regie: Peter Mussbach); ihre mythologische Handlung kreist um Liebe und Tod, dabei wird mit viel Bläsern und Schlagzeug archaische Kraft und Schönheit verströmt. - Henze hatte sich ja schon früh als Dissident vom seriellen Denken der Darmstädter Schule abgesetzt: Bereits 1957 waren bei einer Henze-Uraufführung Pierre Boulez, Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen demonstrativ von ihren Sitzen gesprungen und hatten den Saal verlassen.

Doch Stockhausen selbst scherte später bekanntlich aus dem historischen und ohnehin brüchig gewordenen Avantgarde-Projekt aus, um sich einer allerdings mindestens so fragwürdigen Privatmythologie zuzuwenden: Auf spekulativ-esoterischen Grundlagen fußt sein monumentaler, insgesamt etwa 26 Stunden währender Musiktheaterzyklus "Licht", der die sieben Wochentage und deren Bedeutungen in jeweils einer Oper abhandelt, bevölkert von den unverkennbar religiös inspirierten Protagonisten Michael, Eva und Luzifer: Menschen, Typen, Superwesen in Interaktion und unterwegs in höhere Bewusstseinssphären. Dergleichen Spintisieren hat dem Egozentriker die treue Gefolgschaft einer regelrechten Jüngerschar ebenso gesichert wie anhaltend harsche Kritik.

Stockhausens Reise und …

Doch wie viel elementare Kraft sein Schaffen auszeichnet, war im Jugendstiltheater zu erleben, wo "Michaels Reise", der separat aufführbare zweite Akt des "Donnerstag", gezeigt wurde - eine Oper ganz ohne Sänger, aber dennoch voll Pathos, großer Gesten und theatralischer Zuspitzungen, wenn der Titelheld (der exzellente Trompeter Marco Blaauw steckt als Raumfahrer in einer Art Abschussrampe, einem mobilen Gestänge, das um nahezu alle Achsen gedreht und mit dem er durch die Luft gewirbelt werden kann) eine lehrreiche Reise an reale und irreale Orte antritt, an Jazz erinnernde musikalische Dialoge etwa mit einem Kontrabass führt, bevor er auf die Bassetthorn spielende "Mondeva" trifft und sich mit ihr, gen Himmel entschwebend, in einem langen Triller vereinigt: Eine Art Bildungsroman in Tönen, rührend naiv, gewiss, aber ungemein poetisch und so überzeugend auf die Bühne gebracht, dass sogar die offensichtlichen Brüche sich homogen ins Ganze einfügen.

Regisseur Carlus Padrissa und seinem Bühnenbildner Roland Olbeter ist im Verein mit vielfältigen Videoprojektionen (Franc Aleu / Urano) eine großartige Umsetzung gelungen, an der die von Peter Rundel sicher durch Stockhausens tonal-atonale, auf einer so genannten Superformel basierenden Klangwelten geleiteten Instrumentalisten des Kölner Ensembles "Musikfabrik" ihren Anteil hatten - nicht zuletzt als lebendes Bühnenbild.

Auf der Bühne sitzt auch das von Stefan Asbury geleitete, gewohnt fulminante Klangforum Wien bei der Neuproduktion von Wolfgang Rihms Kammeroper "Jakob Lenz" im Museumsquartier - doch mit der gleichfalls hervorragenden musikalischen Umsetzung enden leider bereits alle Parallelen. Denn dass Lissner keinen Geringeren als Frank Castorf zu einer seiner seltenen Musiktheaterinszenierungen überreden konnte, erregt zwar große Aufmerksamkeit, erweist sich aber für das Werk als keineswegs zweckdienlich. Dabei stören mitnichten die verschiedenen Müllcontainer (Bühne: Hartmut Meyer), von denen einer mit Wasser gefüllt ist, in das sich der hervorragende Singschauspieler Georg Nigl in der Titelrolle immer wieder stürzt, um dann triefend umherzutrippeln, verfolgt von seinen als Badegesellschaft oder überdimensionales Kasperltheater-Personal kostümierten inneren Stimmen: Denn dass Castorf dem Werk einen szenischen Kontrapunkt hinzufügt, ist nur legitim.

… Rihms Originalgenie

Entstanden 1977/78, gerade als Stockhausen begann, Richtung "Licht" zu wandeln, setzt die ungemein dichte, auf Büchner basierende Kammeroper des damals erst 25-jährigen Rihm der Idee eines schöpferisch leidenden und leidend schöpferischen "Originalgenies", das an seiner starren, kunstfeindlichen Umgebung zerbricht, im Sinne einer musikalischen Neoromantik ein programmatisches Denkmal. Das darf Widerspruch erregen. Prätentiös, wichtigtuerisch und ärgerlich wird Castorfs Arbeit jedoch in zwei als "Büchner-Interruptionen" deklarierten Schauspiel-Einschüben, die absolut nichts hinzufügen, was dem Abend gefehlt hätte, ihn stattdessen nur öd in die Länge ziehen und allein die packende Geschlossenheit von Rihms zitathaft-eindringlicher Klangsprache stören.

Nicht dem Hinzufügen, sondern der Kunst des Weglassens widmen sich hingegen der 1960 geborene Komponist George Benjamin und der Dramatiker Martin Crimp mit ihrem "Into the little Hill", einer kompakten Adaption der altbekannten Rattenfänger-Story, gefüttert mit politischen und sozialen Untertönen: Auf diese mit nur zwei Sängerinnen auskommende Produktion darf man gespannt sein.

Der Autor lebt als freier Musikpublizist, Kritiker und Verlagsmitarbeiter in Wien.

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