Als Leiter von "Zeitfluss", der Avantgardeschiene des Festivals, hat Markus Hinterhäuser in den 1990er Jahren erste Salzburger Festspiel-Erfahrung gesammelt. Heuer zeichnet der Pianist mit einer Vorliebe für Lied und zeitgenössische Musik erstmals für das gesamte Musikprogramm der Festspiele verantwortlich.
Die Furche: Herr Hinterhäuser, Sie sind als Sohn eines Romanisten in Italien geboren. Spräche das nicht mehr für einen italienischen Sänger als einen klassischen Pianisten mit avantgardistischen Ambitionen?
Markus Hinterhäuser: Dass ich dort geboren bin, hat familiäre Grunde, die Familie meiner Mutter hat dort ein Haus. Gelebt habe ich bis zu meinem 14. Lebensjahr in Deutschland, dann in Wien. Es gibt einen sehr italienischen Teil in mir. Meine Mutter hat eine Vorliebe für die italienische Oper, den Belcanto. Sie kennt alle wesentlichen Opern mehr oder weniger auswendig. Mein Vater ist eher in der Literatur beheimatet, aber sehr musikinteressiert. Beide haben Instrumente gespielt. Irgendwann fing ich auch an, ein Instrument zu spielen, wie das Kinder machen. In gewissen Lebensabschnitten wird es ihnen vorgesetzt. Mir wurde es nicht vorgesetzt, ich wollte Klavier lernen.
Die Furche: Wann haben Sie gespürt, dass daraus was werden könnte?
Hinterhäuser: Es klingt kokett, ich habe das nie strategisch verfolgt. Ich weiß, dass es am Anfang sehr leicht und sehr schön war, von mir selber sehr viel Wille da war, meine Zeit zu einem beträchtlichen Teil damit zu verbringen. Ich habe dann Matura gemacht, nach einem Jahr in Wien bin ich nach Salzburg gegangen. Das war nicht so weit von Wien und doch nicht mehr zu Hause. Dann hörte ich, ich sei so begabt. Das hat sich so langsam entwickelt.
Die Furche: Als Pianist haben Sie sich sehr bald auf zeitgenössische Musik und Liedbegleitung konzentriert. Wieso? Weil man sich aus solchen Nischen rascher profilieren kann?
Hinterhäuser: Ich habe sehr intensiv manche Sänger gehört und war verliebt in eine bestimmte Literatur. Eichendorff, Mörike, Heine - diese Lyrik löst etwas in mir aus. Beim Hören von Sängern wie Dietrich Fischer-Dieskau, Brigitte Fassbaender und Christa Ludwig träumte ich, einmal für sie zu spielen. Die Zusammenarbeit mit Fassbaender entstand durch Vermittlung eines gemeinsamen Freundes, des Schauspielers Walter Schmiedinger. Er sprach sie an, das war in einem Moment völliger Orientierungslosigkeit von mir. Frau Fassbaender rief mich an, ob ich nicht Lust hätte, ein Programm vorzubereiten. Ich fuhr nach München, und so fing das Ganze an, sehr behutsam, intelligent. Es wurden immer mehr Auftritte, auch in Covent Garden, an der Mailänder Scala. Man lernt unglaublich gut zu hören, einer Stimme, einer Wortentwicklung zu folgen. Nach sechs Jahren war es merkbar zu Ende und ich habe beschlossen, für mich etwas ganz anderes zu machen: das gesamte Klavierwerk von Schönberg, Berg und Webern aufzunehmen.
Die Furche: In der Ära Mortier-Landesmann haben Sie bei den Festspielen in Salzburg mit "Zeitfluss" die Avantgarde-Schiene bedient.
Hinterhäuser: Thomas Zierhofer und ich wollten gerne etwas machen. Luigi Nono war als Komponist, auch als politische Figur wichtig für uns, wir wollten Prometeo aufführen, eines der organisatorisch anspruchsvollsten Dinge, die es gibt. Wir brauchten eine Trägerrakete, das können in Salzburg nur die Festspiele sein. Wir haben Hans Landesmann und Claudio Abbado getroffen, sie haben sich unser Konzept angehört und waren, wenn auch auf eine sympathische Weise, vorerst unentschieden. Schließlich aber ist es doch zur Zusammenarbeit gekommen, und die dauerte bis 2001.
Die Furche: Wie überraschend kam für Sie 2004 die Bestellung zum Musikchef der Festspiele?
Hinterhäuser: Ich wurde gefragt, ob es mich interessiert, ich sagte ja, machte eine inhaltliche Darstellung, dann konzentrierte sich das Ganze. Ich habe bei den Festspielen das Zeitfluss-Festival gemacht, sehr intensiv gearbeitet, es war sehr erfolgreich, jetzt ist es eben der Gesamtkomplex.
Die Furche: Sie setzen in Ihrem ersten Festivalsommer auf Ligeti, Berlioz, Schumann und Scelsi.
Hinterhäuser: Es gibt ungefähr 65 bis 70 Konzerte in fünf Wochen. Insgesamt wurden für Oper, Schauspiel und Konzert 215.000 Karten angeboten. Eine ungeheure Menge an Besuchern, bei denen es schwer ist zu wissen, warum kommen sie. Der Hauptfokus ist die Oper. Müssen Oper und Konzert völlig isoliert voneinander stehen oder ist es möglich, eine Verbindung herzustellen - ohne didaktischen oder pädagogischen Anspruch? Wie kann man in ein Konzertprogramm eine Struktur hineinbringen? Das sind die Fragen. Der Freischütz ist eine wichtige Opernproduktion, Generaltitel der Festspiele ist Nachtseite der Vernunft. Für mich spielen hier Aspekte des Nichtrationalen eine Rolle, des Visionären, des Träumerischen. Wenn ich an Freischütz denke, mache ich keinen Weber-Schwerpunkt. Ich dringe bei Schumann ein - ein im Hinblick auf das 20. Jahrhundert außerordentlich interessanter Komponist, weil stark auf das Subjekt bezogen, sehr zerrissen, psychologisch bemerkenswert. Seine Spätwerke sind allgemein unterschätzt. Ich versuche, diese Reflexionen in unsere Zeit weiterzuführen, zu Kurtág, zu Reimann, zu George Crumb. Auch Scelsi ist ein zutiefst romantischer Komponist, er stellt nicht Strukturen in den Vordergrund, sondern die Inspiration, den Augenblick. Bei Schumann gibt es in den Davidsbündler Tänzen die Spielanweisung "Wie aus der Ferne". Dieser Klang, der von sehr weit herkommt und sich suggestiv entfaltet, findet sich auch bei Ligeti, in Lontano und Atmosphères. Bei Schumann findet sich auch das Phänomen der Polyphonie. Im Konzert der Berliner Philharmoniker am Ende der Festspiele wird das beleuchtet: mit Schumanns Violinkonzert und Ligetis San Francisco Polyphony. Berlioz ist ein großes Konzert gewidmet, das an die Oper Benvenuto Cellini anschließt, mit der Symphonie fantastique und Lélio mit den Philharmonikern, Muti und Gérard Depardieu als Sprecher.
Die Furche: Was haben Sie für den Festspielsommer 2008 vor?
Hinterhäuser: 2008 wird Bartók im Zentrum stehen. Es steht auch Dvoráks Rusalka auf dem Opernprogramm. Ein weiterer Schwerpunkt wird Schubert gelten und Sciarrino, er wäre ohne seinen Hintergrund Sizilien nicht denkbar. Uraufgeführt wird eine eigens dafür geschriebene Gesualdo-Oper mit sizilianischen Puppenspielern. Die Stille und Klanggebrochenheit bei Schubert und Sciarrino, Webern versus Sciarrino und Schubert - da bietet sich vieles an. Ich möchte auch einen Auftrag geben, aber nicht für ein Orchesterstück oder ein normales Konzert, sondern für ein anderes Medium.
Das Gespräch führte Walter Dobner.
Musikalisches Doppelleben
Dass es einen Instrumentalisten zum Dirigieren drängt, ist nichts Außergewöhnliches. Der 1959 im italienischen La Spezia geborene Markus Hinterhäuser ging einen anderen Weg: Er hat seine angestammte Profession, das Klavierspiel, immer wieder mit der eines Managers getauscht. Begonnen hat er diese Karriere mit der Leitung des von ihm mitbegründeten Festivals "Zeitfluss" bei den Salzburger Festspielen. Ohne organisatorische Erfahrung schlug er diese Perspektive zeitgenössischer Musik in der Klassik-Hochburg Salzburg vor, programmierte sie und hatte damit Erfolg - einer der Gründe, ihm den Posten des Musikchefs der Festspiele anzubieten; sein Vertrag dafür läuft bis 2011.
Auch seine künstlerische Laufbahn verlief alles andere als kalkuliert. Erst ein Jahr nach der Matura begann er das Musikstudium am "Mozarteum" in Salzburg, besuchte Meisterkurse bei Elisabeth Leonskaja und Oleg Maisenberg, wurde Begleiter namhafter Liedsänger, mit denen er in allen Musikzentren gastierte. Anschließend engagierte er sich für Werke von Nono, Stockhausen, Feldman, Ligeti und spielte dieses Repertoire für CD und Runfunkanstalten ein, wirkte bei Musiktheater-Produktionen von Christoph Marthaler, Johan Simons oder Klaus-Michael Grüber und organisierte für die "Wiener Festwochen" die "Zeit-Zone". Ein musikalisches Doppelleben, dem er auch als Musikchef in Salzburg treu bleiben wird, wie er zuletzt mit seinem Ustwolskaja-Klavierabend bei den Wiener Festwochen Anfang Mai zeigte.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!