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Seine Musik kratzt Hörgewohnheiten an: Johannes Maria Staud. Die Furche sprach anlässlich der Uraufführung seines neuen Klavierkonzertes am 11. Oktober in Wien mit dem jungen Komponisten.

Johannes Maria Staud, 28, gehört zu den renommiertesten jungen Komponisten unserer Zeit. Orchester, Künstler und Festivals animieren den Innsbrucker, der sein Kompositionsstudium an der Wiener Musikhochschule absolvierte, in atemberaubend schneller Karriere zu neuer Musik voll poetischer Spannkraft. Staud nennt Iván Eröd, Michael Jarrell, Dieter Kaufmann, Hanspeter Kyburz, Brian Ferneyhough und Alois Pinos als seine Lehrer. Er hat große Kompositionsaufträge, kann aber selbst bestimmen, was er schreibt. Morgen Freitag ist im Wiener Musikverein erstmals sein neues Klavierkonzert zu hören. Am 14. Oktober wird in Berlin das Oktett "Configurations/Reflet" uraufgeführt, zwölf ineinanderfließende Miniaturen, die anschließend in Österreich beim Musikprotokoll und bei Wien Modern präsentiert werden. Außerdem entsteht ein großes Orchesterstück für die Berliner Philharmoniker. Sein erstes Musiktheater, am Libretto arbeitet der Lyriker Durs Grünbein, kommt im Mai 2004 bei der Münchner Biennale heraus; es folgen Aufführungen bei den Wiener Festwochen und den Berliner Festspielen. Eine Vorstudie dazu entsteht für die Wittener Kammermusiktage.

Die Furche: Am 11. Oktober wird im Musikverein Ihr Klavierkonzert vom RSO-Orchester unter Betrand de Billys Leitung uraufgeführt und vom Österreichischen Rundfunk live übertragen. Solist ist Thomas Larcher. Können Sie etwas über dieses Werk und Ihren Ansatz sagen?

Johannes Maria Staud: Ich habe es für Thomas Larcher geschrieben und nenne es eine "Musik für Klavier und Orchester: Polygon". Ich wollte damit dem Begriff "Klavierkonzert" ausweichen, denn man schreibt ja nicht im geschichtslosen Raum ... Aber die Besetzung ist klanglich noch immer interessant. Ein klassisches Konzert müsste sich nach einem harmonischen Bauplan richten. Ich habe auch Akkordeon, Piccolo-Trompeten und statt der Hörner drei Wagner-Tuben eingesetzt.

Die Furche: Was und wer animiert Sie im historischen Raum und in der Gegenwart?

Staud: Haydn, Mozarts Gran Partita, derzeit besonders der späte Beethoven oder die Klavierkonzerte von Ravel. Und natürlich stark das 20. Jahrhundert: Ligeti, Boulez, Sciarrino, Lachenmann, diese Vaterfigur unter den Komponisten. Er hat sich nie auf Kompromisse eingelassen. "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" ist ein wunderbares Stück. Dann noch Mahlers Transparenz und Ökonomie, Schönberg natürlich und Webern. Ich bin ein Fan von Steve Reichs Musik, aber es ist nicht mein Ding. Wer Musik schreibt, sollte einen Überblick über die Zeitströmungen haben. Eine Zeit zu reanimieren interessiert mich nicht sehr. Die Lieblingsmusik verändert sich, es kommt darauf an, wie man sie untersucht. Toshio Hosokawa ist ein phänomenaler Komponist, so verschieden von mir, dass er mich auf Ideen bringt.

Die Furche: Hosokawa stand im September im Mittelpunkt der "Klang-spuren", des Tiroler Festivals Neuer Musik. Sie hatten dort ihre letzte Uraufführung, ein Posaunen-Solo für Uwe Dierksen. Und mit den "Klangspuren" ist Ihr Karrierestart verbunden.

Staud: Dort hat es angefangen. Ich hatte einen Kompositionsauftrag und traf auf Ernesto Molinari. Dann wollte das Ensemble Modern ein Stück von mir. "... gleichsam als ob ..." ist vor zwei Jahren bei den "Klangspuren" vom RSO Wien unter Dennis Russel Davies uraufgeführt worden.

Die Furche: Wie wichtig ist heute für einen jungen Komponisten ein Personalstil? Hat dieser Begriff noch Bedeutung?

Staud: Was für mich Bedeutung hat: Dass das Musikstück in sich stimmig ist und kohärent, dass es nicht von zu großer Heterogenität geprägt wird und dass durch Weiterdrehen des Materials ein Zusammenhang entsteht. An Stil zu denken, wäre unredlich. Man soll die Musik schreiben, die man schreiben muss, und es sich nicht zu leicht machen.

Die Furche: Und die Wirkung, das Kalkül?

Staud: Musik ist so abstrakt, dass sie nicht leicht deutbar und mit Semantik belegbar ist. Das ist ihr Vorteil, das macht sie zeitlos. Ich möchte für mein Stück erreichen, dass es auch noch beim zehnten Mal Hören Querverbindungen zu entdecken gibt. Ich möchte Musik schreiben, die sich ihren Reiz im Detail erhält und durch die Interpretation.

Die Furche: Hat denn Ihr Interpret Mitspracherecht?

Staud: Sicher, soweit muss ich schon loslassen. Und flexibel genug sein, gewisse interpretatorische Freiheit zu ertragen. Ich bin nicht der Meinung von György Kurtág, dass es nur eine Auffassung von Musik gibt. Die Notation ist wie eine Karte, die ich lege. Wie ich es tue, wird von viel Psychologie bestimmt. Bei der Entzifferung geht immer etwas verloren. Der dritte ist dann der Zuhörer mit seinen Vorlieben und Eindrücken.

Die Furche: Wollen Sie ihm etwas mitteilen?

Staud: Natürlich schreibt man um gehört zu werden. Aber in der Neuen Musik geht es nicht darum, die Mehrheit zu faszinieren, sondern um eine poetische Idee. Es gibt Säulen, die die Gesellschaft benötigt, gerade auch das Unbequeme - sie braucht diesen Überbau von Hochkultur.

Die Furche: Wie positionieren Sie sich als Komponist?

Staud: Man muss wissen, was man kann, nicht kann und nicht will. Ich möchte Zauber erzeugen. Kargheit ist nicht das Ziel. Ich bin kein Installationskomponist und auch nicht multimedial, ich will keine Polystilistik. Ich kratze gern Hörgewohnheiten an ... Die serielle Musik hat gezeigt, wie man Material im Sinn einer Idee organisiert, ohne auf Klischees zurückzugreifen. Um es mit Sartre zu sagen: Ich wollte nie provozieren, aber überzeugen. Ich möchte keine spätromantische Kadenzierung mehr, die Reanimierung von Dur und Moll ist vorbei. Ich suche Qualität in anderer harmonischer Spannung. Ich will mich nicht wiederholen, aber natürlich werde ich gewisse Vorlieben nicht los, klanglich und formal.

Die Furche: Gibt es ein Grundthema?

Staud: Das Beschwören von gefährdeter Schönheit. Schönheit, die zu lange etabliert bleibt, ist kitschig und manieriert. Der Sommer ist schön, weil er übergeht in einen Aggregatzustand ... Vergänglichkeit ist zentral in der Musik.

Das Gespräch führte Ursula Strohal.

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