Frischer, mutiger Wind

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Neuer Wind und eine nie gekannte Vielfalt unter neuer Leitung bei "Wien Modern" -und ein politischer aktueller Krenek im Wiener Museumsquartier.

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Neuer Wind und eine nie gekannte Vielfalt unter neuer Leitung bei "Wien Modern" -und ein politischer aktueller Krenek im Wiener Museumsquartier.

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Im Vorjahr waren es 63 Veranstaltungen. Diesmal, bei der 28. Auflage des seit 1988 bestehenden Festivals "Wien Modern", sind es 88. Nicht die einzige beeindruckende Zahl dieser Perspektive. Denn während eines Monats sind nicht weniger als 55 Ur-und Erstaufführungen angesetzt und treten 24 Orchester, Chöre und Ensembles, 19 Streichquartette sowie zahlreiche Solistinnen und Solisten auf. Eröffnet wird Wien Modern am 3. November mit der österreichischen Erstaufführung des Posaunenkonzerts von Georg Friedrich Haas und der Uraufführung der eben erst fertiggestellten IV. Symphonie von Jorge E. López, beschlossen am 30. November mit einer Hommage an den prominenten österreichischen Komponisten und Kompositionslehrer Karl Schiske.

Zudem erinnert "Wien Modern" neben dem vor hundert Jahren geborenen Karl Schiske an die 90er von Friedrich Cerha und György Kúrtag, an den 85er von Sofia Gubaidulina, an die 80er von Steve Reich und Hans Zender. Auch Enzyklopädisten kommen nicht zu kurz, denn ein weiteres Zentrum dieser Neue-Musik-Perspektive bilden drei Streichquartett-Gesamtaufführungen: von Arnold Schoenberg (mit dem Quatuor Diotima), Harrison Birtwistle (mit dem Arditti Quartet) und Dmitri Schostakowitsch. Dessen fünfzehn Quartette werden von ebenso vielen Quartetten, verteilt im Großen Konzerthaussaal, teilweise einzeln, teilweise gleichzeitig aufgeführt, womit eine spezifische Zeit-Raum-Konstellation erzielt wird.

"Wien Modern" breitet sich auf nicht weniger als 21 Spielstätten aus. Sie reichen von den gewohnten wie Wiener Konzerthaus, Musikverein und Semperdepot bis zum Stephansdom und Zentralfriedhof. Durchaus dem Motto des Festivals verpflichtet, das sich Fragen stellt wie: "Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und wo zum Teufel sind wir überhaupt?"

Urväter Abbado und Knessl

Diese im weitesten Sinn letzte Fragen, die man sich gewiss schon am Beginn dieses Musikfestes gestellt haben wird - nicht zuletzt die beiden wichtigsten Protagonisten, die diese Festival-Idee nicht nur hatten, sondern auch Wirklichkeit werden ließen -werden musikalisch zur Debatte gestellt. Erfreulich, dass man darauf nicht vergessen hat, im Gegenteil: Dieses Jahr wird besonders daran erinnert. Mit einem Claudio-Abbado-Konzert am 11. November 2016 im Musikverein. Dort hat "Wien Modern" am 26. Oktober 1988 mit einem seiner Gründer Abbado und den Wiener Philharmonikern auch begonnen, mit Werken der Wiener Schule und den damaligen Hauptkomponisten György Ligeti, Luigi Nono, Pierre Boulez und Wolfgang Rihm. Heuer wird Abbado von den Wiener Symphonikern unter Emilio Pomàrico mit zwei österreichischen Erstaufführungen von Georges Lentz und Friedrich Cerha, einem Stück von Luigi Dallapiccola und dem Finalsatz von Mahlers "Zehnter" in der komplettierten Fassung durch Deryck Cooke geehrt. Dem zweiten der Urväter von "Wien Modern", zugleich Österreichs prominentester Apologet für Neue Musik, Lothar Knessl, wird im Foyer des Wiener Konzerthauses unter dem Titel "Vermittler neuer Musik, Autor, Komponist, Kurator" eine bis zum Festivalende laufende Ausstellung gewidmet.

Kuratiert wird "Wien Modern" erstmals vom nunmehrigen Leiter Bernhard Günther. "Wenn es 'Wien Modern' nicht schon gäbe, müsste man es erfinden -als Experimentier-und Kommunikationsplattform mit identifikationsstiftendem Potenzial für die Wiener Musikszene einerseits, als das Wiener Fenster mit Aussicht auf das weltweite neue Musikgeschehen andererseits", meinte der bisherige Chefdramaturg der Philharmonie Luxembourg Günther anlässlich seiner Bestellung als neuer künstlerischer Leiter.

Der gebürtige Schweizer, Jahrgang 1970, der in Lübeck Violoncello und in Wien Musikwissenschaft studiert und in Basel das neue Musik und Architektur verbindende Festival "ZeitRäume" entwickelt hat, kann diese Erfahrungen nun für "Wien Modern" nutzen. Dass er dies ausgiebig macht, verrät schon seit erstes Festivalprogramm.

Gut zu den von "Wien Modern" aufgeworfenen Fragen hätte auch Ernst Kreneks 1955 uraufgeführte Oper in einem Vorspiel und drei Akten "Pallas Athene weint" gepasst -eine von der griechischen Geschichte inspirierte Parabel über die Schrecken des Endes jeglicher Demokratie.

Aufrüttelnd und unaufdringlich

Ein zu allen Zeiten aufrüttelndes Stück ist es, dem sich im MuseumsQuartier die "Neue Oper Wien" widmete. Regisseur Christoph Zauner inszenierte unaufdringlich in einem Nachbau der zum Teil verwüsteten Säulenhalle des Wiener Parlaments (Jörg Brombacher), begleitet von dunklem Licht. Klemens Sanders wortdeutlich-markanter Sokrates und Walter Gürtelschmieds klar artikulierender, schauspielerisch ebenso stets präsenter Alkibiades dominierten das übrige, stimmige Ensemble. Gut studiert zeigte sich Intendant Walter Kobéra und legte mit dem engagiert musizierendem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich einen entsprechenden Teppich für diese bewusst am Vortag des österreichischen Nationalfeiertags angesetzte, mutige Premiere.

Wien Modern bis 30. November verschiedene Spielstätten in Wien www.wienmodern.at

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