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Alles beim Alten geblieben

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Man hält in der CSSR viel von Jubiläen, von runden Geburts- und Gedenktagen. Die Retrospektive ist fester Bestandteil nicht nur des Kultur-, sondern des öffentlichen Lebens überhaupt. Das Programm des Musikfestivals „Prager Frühling“ war wie alle Jahre von solch pietätvollen Faktoren mitgeprägt. Man gedenkt Mozarts 220. Geburtstages mit einem Zyklus seiner Opern im Tyl-Theater, demselben Haus, wo der Meister selbst seinen „Figaro“ und die Uraufführung des „Don Giovanni“ erlebt hat. „Cosi fan tutte“, „Figaros Hochzeit“, „Entführung aus dem Serail“ und „Don Giovanni“ wurden in der ■Originalsprache gesungen — in „Cosi“ gastierten Sänger und Dirigent aus Finnland, in der „Entführung“ zwei Gäste aus der DDR —, nur die „Zauberflöte“ war tschechisch, allerdings mit Helen Donath als Gast, die deutsch sang.

Der 70. Geburtstag voiv Schostako-witsch war Anlaß, mehrere ■ seiner Symphonien und auch andere Werke ins Programm zu nehmen. Mit dem Cellokonzert stellte sich der im Westen noch kaum bekannte Russe Igor Gawrysch vor, der vielleicht als Rostropowitsch-Ersatz aufgebaut werden soll und anscheinend Voraussetzungen dazu hat.

Auch C. M. von Weber wurde zum 150. Todestag berücksichtigt (unter anderem mit einer konzertanten „Euryanthe“) und der Slowake Alexander Moyzes, der in diesem Jahr fünfundsiebzig wird. Man würdigte das 80jährige Bestehen der Tschechischen Philharmonie und das 50jäh-rige des Radio-Symphonieorchesters, obwohl diese beiden Orchester natürlich alljährlich beim „Prager Frühling“ mitwirken.

Die Grundstruktur des „Prager Frühlings“ ist seit 1956 gleich geblieben: der patriotische Auftakt mit Smetanas „Mein Vaterland“, der kosmopolitische Ausklang mit Beethovens 9. Symphonie. Gespielt wird nach wie vor im Smetana-Saal (vorwiegend Orchesterkonzerte) und im Künstlerhaus, dem ehemaligen Ru-dolfinum (Solisten- und Kammerkonzerte). Dazu kommen die für auswärtige Gäste immer wieder höchst attraktiven Konzerte im Veits-Dom und in anderen Kirchen, im Garten der Mozart-Villa Bertramka, in den barocken Adelspalästen und fallweise auch in anderen, von langer Geschichte erfüllten Räumen. Schon damals ging man hinaus bis nach Zbraslav (Königssaal), wo eine stimmungsvolle Matinee stattfand. Heute sucht man mit einzelnen Konzerten andere Städte miteinzubeziehen.

Schon vor 20 Jahren war man bestrebt,' prominente Ensembles und Solisten aus Ost und West aufzubieten: die Wiener Symphoniker unter Rudolf Moralt, George Szell, John Barbirolli, Andre Cluytens, Hans Schmidt-Isserstedt, Arthur Gru-miaux, Wilhelm Kempff, Monique de la Bruchollerie gaben Konzerte.

Diesmal standen die Dirigenten Carl Melles, Serge Baudo, Herbert von Karajan auf dem Programm, Rafael Frühbeck de Burgos kam mit dem Symphonieorchester aus Montreal, Nicolai Gedda, Leonid Kogan, Claudio Arrau, Dezsö Ränki, Gidon Kremer sind einige der prominenten Solisten von 1976. Dazu gastierte das Piccolo Teatro Musicale unter Leitung von Renato Fasano mit Vi-valdis „Judita triumphans“, das ja auch zum Carinthischen Sommer kommen wird. Hatte 1956 die Berliner Komische Oper „Die schweigsame Frau“ von Richard Strauß und Webers „Freischütz“ gebracht, so gastierte nun die Dresdener Oper ebenfalls mit dem „Freischütz“ und führte außerdem Wagners „Tristan und Isolde“ und „Levins Mühle“ von dem DDR-Komponisten Udo Zimmermann auf.

Bei der zeitgenössischen Musik erkennt man am besten, was sich seit 1956 geändert hat. Im diesjährigen Programm steht ein' Konzert der Staatlichen Philharmonie Brünn unter Leitung von Leif Segerstam. Er dirigierte außer Werken von Beethoven und Mahler seine eigenen „Skizzen aus Pandora“, und damit war der Anteil lebender Komponisten aus dem Ausland schon beinahe erschöpft. 1958 dirigierte Milan Horvat das Prager Rundfunkorchester und führte einen lebenden kroatischen Komponisten, Stjepan Sulek, auf, Jan Kyenz brachte mit dem Prager Symphonieorchester ein Werk seines polnischen Landsmannes Se-rocki. 1976 dagegen führte Dean Dixon mit den Prager Symphonikern ein Werk des Tschechen Ivan Jirko auf, der Pole Tadeusz Stragula brachte ein Stück des Tschechen Jifi Matys. Während in den fünfziger Jahren die einheimischen Komponsten vor allem in eigenen Kammerkonzerten — meist mit ungünstigen Terminen und schwachem Besuch — zu Gehör gebracht wurden, sind sie seit einigen Jahren in vielen der großen Symphoniekonzerte vertreten.

Man brachte auch einzelne ausländische Dirigenten dazu, sie in ihr Programm aufzunehmen. Das ist zweifellos ein großer Schritt zur Anerkennung und Verbreitung zeitgenössischer Musik. Nur sind die aufgeführten Komponisten ausschließlich solche, die dem neuen, nach den Ereignissen von 1968/69 gegründeten Komponistenverband angehören. War der frühere Verband eine allgemeine Berufsorganisation, der man angehören mußte, um überhaupt als Komponist existieren zu können, versteht sich der neue als Kaderverband, der eine Auslese der Zuverlässigen darstellt. Während der slowakische Verband nie aufgelöst wurde und nur wenige Mitglieder ausschließen mußte, fehlen im tschechischen immer noch viele Namen, die sich internationale Anerkennung erworben haben. Das Aufnahmeverfahren geht schleppend vor sich. Allem Anschein nach hat es bisher manchen übergangen, dessen politische Haltung nie zur Diskussion stand. Manche aus der älteren und mittleren Generation sind jetzt im eigentlichen Sinne tonangebende Mitglieder, die nach Erfolgen in der Stalin-Zeit in den späten fünfziger und in den sechziger Jahren von jenen verdrängt wurden, die sich mit ihrer zeitgemäßen Musiksprache den internationalen devisenträchtigen Markt erobern konnten.

Nun hat sich das Blatt also wieder gewendet, und es sind die aktuell, die „Wege zur Mitteilsamkeit und Verständlichkeit für breite Hörermassen“ suchen. Denn schon im Vorwort zum deutschen Programm des diesjährigen Festivals heißt es: „Die Exzentrizitäten der westlichen Kunst lehnen wir ab, obgleich wir zugeben, daß auch auf dem Gebiet der Kunst Untersuchungen und Versuche erforderlich sind. Aber die haben anderswo ihren Platz, und wir können ruhig abwarten, zu welchen Ergebnissen sie führen ...“

Beim „Prager Frühling“ jedenfalls hat nur eine bestimmte Auswahl zeitgenössischer Komponisten Platz, zu denen übrigens auch jüngere gehören, die anscheinend nicht darauf aus sind, die Welt zu erobern, sondern mit ihrem unverkennbar gediegenen Können zunächst um einen sicheren Platz und eine solide Karriere besorgt sind. Immerhin besteht hier ein Reservoir, aus dem sich noch große Talente entfalten könnten. Im Augenblick aber ist das, was der „Prager Frühling“ an zeitgenössischer heimischer Produktion bietet, nicht sehr repräsentativ und dürfte wohl kaum die Einkäufer aus dem Westen besonders reizen, um die man sich jetzt viel mehr bemüht als etwa um Kritiker.

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