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Ost-westliches Klangtableau

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Der 200-Jahr-Feier der USA fühlten sich auch die Berliner Festwochen musikalisch verpflichtet. Es gab zwei farbige Ballettensembles: Alom Ailey mit Mary-Wigman-Tradition und das Dance Theatre of Harlem, ferner Twyla Tharp mit Rock-Anklän-gen und Trisha Brown, die in ihren meditativen Bewegungsstudien Probleme des Raumes und der Kinetik zu bewältigen sucht.

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Der 200-Jahr-Feier der USA fühlten sich auch die Berliner Festwochen musikalisch verpflichtet. Es gab zwei farbige Ballettensembles: Alom Ailey mit Mary-Wigman-Tradition und das Dance Theatre of Harlem, ferner Twyla Tharp mit Rock-Anklän-gen und Trisha Brown, die in ihren meditativen Bewegungsstudien Probleme des Raumes und der Kinetik zu bewältigen sucht.

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Am erfreulichsten mutete der überreich bestückte Musiksektor mit echten Ost-West-Konfrontationen an. Hier dominierte zunächst Werner Henze. Die „London Sinfonietta“ mit der Konzertsuite „Katharina Blum“, der Essenz einer Filmmusik, die mit kleinem Ensemble ein Politikum kommentiert, zeigte sich kontrastreich und einfühlsam, bewährte sich ebenso achtbar an Hölderlins Hymne „In lieblicher Bläue“ und an der Liedsammlung „Voices“. Henze selbst dirigierte die Berliner Philharmoniker, die mit „Being Beauteous“ und vier Kantaten „Novae de infinito laudes“, sowie der Allegorie „Helio-gabalus Imperator“ beispiellose Ensembleleistungen vollbrachten, an denen auch die Solisten Josephine Barstow, Ortrun Wenkel, James Wagner und Dietrich Fischer-Dieskau, sowie der Chor der St. Hedwigs-Kathedrale gewichtigen Anteil hatten. Die mit Spannung erwartete Oper „Wir erreichen den Fluß“ fand geteilte Aufnahme. Dieses Werk vom Widerstand gegen Gewalt und Machtmißbrauch mißfiel wegen seiner Grausamkeit und Exaltiertheit (Siehe den Bericht in FURCHE Nr. 39/1976.)

Publikumswirkung blieb leider auch der eindrucksvollen Oper „Kinkakuji“ von Toshiro Mayuzumi versagt. Der japanische Komponist, der die Lebensstationen eines vom Schicksal Geschlagenen zeigt, der dem Zwang erliegt, einen berühmten Tempel zerstören zu müssen, schrieb dazu eine klare, interpretierende, von westlichen Klängen durchsetzte illustrative Musik, vertraut den Kommentar einem seitlich fixierten Bühnenchor an und beschränkt die eigentlichen Aktionen auf ein Minimum. In Gustav Rudolf Seilners Regie überrascht ein raffinierter Spiegeleffekt — teils Bühnentrennwand, teils Plafond —, der auch optisch die Rückblende des Spielgeschehens unterstreicht.

Wenig Zustimmung erhielt ferner Karlheinz Stockhausens Werk „Sirius“, das bezeichnenderweise im Planetarium aufgeführt wurde. Das Auftragswerk der Bundesrepublik zur 200-Jahr-Feier Amerikas besteht aus drei Teilen: Vorstellung, Rad, Verkündigung, unterteilt in die vier Jahreszeiten, die mit den Himmelsrichtungen identisch sind. Nord wird durch einen tiefen Baß verkörpert, Süd durch einen hohen Sopran, Ost durch eine Trompete, West durch eine Baßklarinette. Sie dominieren zunächst über eine elektronische, im WDR-Studio Köln aufgezeichnete Klanigmixtur, werden aber schließlich von einem einzigen gewaltigen Geräuschsalat vollends überlagert.

Ein kompliziertes mathematischphysikalisches Rechenexernpel, verworren durch überfrachtete Klang-massierung.

Erfreulich die Begegnung mit der Moskauer Kammeroper: Schostako-witschs „Die Nase“ und Mozarts „Schauspieldirektor“, deutsch gesungen. Ein Gewinn: englische A-capella-Ensembles wie die Baccholian-Singers und die Gruppe Pro Cantione Antiqua. Gäste aus Polen wie das Wilanow-Quartett, beeindruckten vor allem durch die Erstaufführung von Georg Crumbs „Black Angels“, einer brillanten, rhythmisch perfekten elektronischen Bilderserie, während die „Filharmonia Pomorska“ unter Antoni Wit ein erstaunlich weltstädtisches Niveau mit Werken von Penderecki und Baird, mehr noch mit Lutoslawskis neoromantischem, schwelgerischem Werk „Livre pour Orchestre“ und Szymanowskis erstem Violinkonzert, bravourös gespielt von der sehr jungen Kaja Danczowska, bewiesen. Ebenfalls waren es Gäste des Ostens, das „Streichorchester der M. K. Ciurlio-nis-Mittelschule in Wilna (Litauen), durchwegs im Alter von 14 bis 18 Jahren, die sich beim Abschluß der „IV. Internationalen Begegnung für Jugendorchester“ im Karajan-Wettbewerb, der, leider viel zu wenig beachtet, parallel zu den Festwochen stattfand, für ausgereiftes, vollendetes Musizieren mit der Kammersymphonie op. 110 von Schosta-kowitsch die Goldmedaille erstritten.

Wiener Künstler sangen sich in die Herzen der Berliner. Der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde gab unter Karajan ein romantisches „Deutsches Requiem“ (Brahms) und das Mozart-Requiem, das der Dirigent bewußt undramatisch gestaltete, um dagegen glutvoll das Bruck-nersche Te Deum kontrastieren zu lassen. Die Berliner Philharmoniker folgten seinen Intentionen vollendet, die Wiener Sänger bei Brahms mit leichter Höhentrübung, wesentlich sicher und reiner jedoch in den Werken Mozarts und Bruckners, überstrahlt von Ileana Cotrubas, Jose van Dam (profund, aber nicht immer exakt), Gerti Zeumer und Agnes Baltsa sowie Werner Krenn und Kurt Rydl. Den aufbrandenden Beifäll wußte Karajan eigenwillig, aber wohl werkgerecht, abzufangen.

Den größten solistischen Erfolg erzielte Maurizio Pollini in der ausverkauften Philharmonie, obwohl sein Programm (Schubert, Schumann, Webern, Boulez) zunächst nur auf Stimmung und Sensibilität gestellt, später reiner Fingeraftrobatik in enervierendem Klanigkonglomerat gewidmet, künstlerisch fragwürdig blieb.

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