7133112-1997_36_02.jpg
Digital In Arbeit

Auf der Höhe unserer Zeit

19451960198020002020

Das verjüngte Salzburger Publikum ist über vom zeitgemäßen Umgang mit der Kunstgattung Oper begeistert.

19451960198020002020

Das verjüngte Salzburger Publikum ist über vom zeitgemäßen Umgang mit der Kunstgattung Oper begeistert.

Werbung
Werbung
Werbung

Nein, ich kann mich nicht den Kollegen von Wiener Zeitungen anschließen, die eine Salzburger Festspieldämmerung heraufziehen sehen und wie Salome den Kopf des Johannes (sprich Gerard Mortier) fordern. Ich bin Festspielberichterstatter seit fast 30 Jahren und kenne das Salzach-Festival als Hörer von Radioübertragungen und als interessierter Besucher fast ein halbes Jahrhundert.

Der ORF (zuerst Radio, später auch das aufkommende Fernsehen) hat in meiner frühen Jugend durch seine Übertragungen aus Salzburg für die ersten Eindrücke musikalischer und schauspielerischer Perfektion gesorgt (damals wurden auch Sprechstücke im Radio übertragen). In den sechziger und siebziger Jahren konnte noch vieles von diesem alten Glanz einer legendären Kunstepoche erhalten werden. Vor allem die Persönlichkeiten zweier Dirigentenstars wie Herbert von Karajan und Karl Böhm, ein alleiniges Opernorchester wie die Wiener Philharmoniker garantierten Perfektion und höchstes Niveau. Bernhard Paumgartner wurde mit seinen Matineen zum Mozart-Apostel, seine Wiederentdeckung von Cavalieris „Rappresenazione die Anima e di Corpo” wurde zur vielbewunderten Rarität in der Kollegienkirche.

Die selbstherrliche Auswahl passender und unpassender Stücke durch Herbert von Karajan, seine dilettantischen Versuche als Opernregisseur, die Bevorzugung einer dem Pomp und der Bühnentechnik verpflichteten Ästhetik machten oft mehr von sich reden als die hinreißende musikalische Perfektion und leidenschaftliche Dramatik, mit denen er das sehr reiche Geldadel-Publikum der Salzburger Festspiele in Begeisterungstaumel versetzte. Allerdings wurden prominente Begisseure wie auch Dirigentenkonkurrenten immer weniger in Salzburg geduldet.

Fs war klar, daß .auf diese denkwürdige und legendäre Epoche eines Dirigentengenies, der Schallplatten-industrie und Medien perfekt beherrschte und bediente, in Salzburg etwas ganz anderes folgen mußte. Man entschloß sich dazu, keinen Künstler zum Intendanten zu machen, sondern einen Manager, der sein Metier an den Opernhäusern von Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und Brüssel von der Pieke auf gelernt hat.

Gerard Mortier ist aber nicht nur gelernter Betriebsdirektor, sondern auch Opern- und Schauspielkönner par excellence sowie jesuitisch gebildeter Philosoph, Kunstkenner, Ästhet und Vertreter eines zeitgenössischen Inszenierungsstils, wie Petronius ein arbüer elegantiarum.

Mortier ist in den fünf Jahren, in denen er nun die Geschicke der Salzburger Festspiele bestimmt, einen anderen Weg gegangen als Karajan. Ist Karajan musikalische Perfektion und prunkvolles Dekor oberstes Gebot gewesen, so steht bei Mortier (und bei seinem sich nie in den Vordergrund drängenden Direktionspartner Hans Landesmann) die Gegenüberstellung von Werken der Vergangenheit mit dem Schaffen unseres Jahrhunderts an erster Stelle, daneben eine szeni sehe Ästhetik auf der Höhe unserer Zeit und aus dem Geist Unseres Jahrhunderts. Die Begisseure sind ihm wichtiger als die Dirigenten, von den Sängern wird weniger Startum verlangt als vielmehr die Bereitschaft, ihr vokales Können in ein szenisches Konzept einzuordnen. Bobert Wilson und Peter Sellars, Herbert Wern icke und Peter Mussbach, Karl-Ernst Herrmann und Achim Freyer, das sind nur einige Namen für was, was sich Mortier als zeitgemäßen Umgang mit der Kunstgattung Oper vorstellt (übrigens sind ihm Ioan Holender in der Staats oper und Klaus Bachler in der Volks oper prompt auf diesem Weg gefolgt).

Der von der Wiener Presse arg gezauste Spielplan des heurigen Jahres (der sechsten Saison Mortiers) ist symptomatisch für die Absichten des quirligen Belgiers. Mozarts drei wichtige Arbeiten auf dem Gebiet der Opera se-ria (Mitridate, Lucio Silla, La Cle-menza di Tito) werden die beiden deutschen Opern (Die Fintführung aus dem Serail, Die Zauberflöte) gegenübergestellt. Die beiden deutschen Opern sind aus jedem Klischee gerissen worden. Aus der „Entführung” wurde ohne wesentliche Eingriffe ein

Geiseldrama im palästinensisch-israelischen Krieg, in der „Zauberflöte” (Begie und Ausstattung Achim Freyer) wurde das Initiationsdrama in eine Zirkusarena gestellt.

„Die ganze Welt ist Zirkus” könnte man frei nach Shakespeare sagen. Dank der hinreißenden Entdeckung des jungen Dirigenten Mark Minkowski (der das Mozarteum-Orchester verwandelte) ging dieses Konzept bei der „Fntführung” auf, bei der Zauberflöte, deren fiumanitätsernst verjuxt wurde, nicht ganz.

Bei der Opera seria („Lucio Silla” mißlang) erwies sich die Brauchbarkeit der Prinzipien der Kooperation (Mozartwoche) und des „work in pro-gress”. Daß die junge Bulgarin Vesse-lina Kasarova (Iarnace im „Mitridate”, ein überwältigend gespielter und gesungener Sesto im „Titus”) zum Weltstar wurde, nahm das Publikum mit Begeisterung wahr.

Das Publikum hat sich überhaupt gewandelt. Es ist jünger geworden und aufgeschlossener. Mortiers Abkehr vom schönen Schein und seiner Suche nach künstlerischer Wahrheit aus dem Geist unserer Zeit. Es hat auch begriffen, daß die Werke unseres Jahrhunderts mit der Tradition verglichen werden müssen. Ligetis „Le grand Macabre” (der dem Komponisten wegen der vordergründigen szenischen Auflösung mißfiel) wurde ebenso von den jungen Leuten gestürmt wie die verdienstvollen Konzertreihen „Zeitfluß” oder „Next Generation”.

Daß die Wiener Kritik dabei nicht mittut, ist schade, die Einwürfe von Politik und Wirtschaft (die das superreiche Publikum schwinden sieht) sind lächerlich und peinlich, daß es noch die eine oder andere Karte an der Abendkassa gibt, ist nur angenehm, das Soll wurde weitgehendst eingehalten, die Ausgaben zu 75 Prozent aus Karteneinnahmen gedeckt, die direkten Steuern übersteigen die Subvention.

Auch für mich gibt es zwei Wermutstropfen: Das ist der rüde Abschied von Peter Stein, der das Schauspiel faszinierend reformierte und popularisierte und der Abschied von Nikolaus Harnoncourt, des prominentesten österreichischen • Interpreten. Aber Mortier hat die Salzburger Festspiele aus dem Buf eines Zentrums traditioneller Kunst gerissen und zum Ort existentieller Fragen gemacht, die nur die Kunst beantworten kann. Das Publikum folgt ihm dabei mit zunehmender Begeisterung, die Kartenpreise müßten allerdings gesenkt werden. Die Häme einiger Wiener Kritiker ist ebenso unangebracht wie lächerliche Statements provinzieller Politiker.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung