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Mozart auf der Salzburger Festspielbühne

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Der Akzent, mit dem die diesjährigen Salzburger Festspiele anhoben, war gewichtig, ja schwer. Dennoch stand er im Zeichen Mozarts. Das konnte geschehen, weil die künstlerische Interpretation, gleich welcher Richtung, nur von einem überragenden Kunstwillen getragen, gleichsam jenseits von Gut und Böse steht.

„Don Giovanni“ in der Felsenreitschule! Clemens Holzmeister baute das ganze Sevilla, wie es da Ponte und Mozart von Szene zu Szene entwickelten, als eine architektonische Vision unter freiem Himmel. Es gibt nun also in der.Stadt Don Giovannis keine dramaturgischen Hemmnisse mehr, die Musik fließt von Straße zu Straße, von Platz zu Platz, die „Nummern“ der Musik sind aufgelöst, der Drang des Dirigenten Furtwängler zum dramatischen Ineinanderfließen, zur Aufhebung der formalen Strenge, zur Umwandlung des Grazioso ins Larghetto serioso ist nirgendmehr eingedämmt. Es gibt beethovensche Akzente in dieser Mozart-Oper, und das drohend-schwere Tor zum Mausoleum des Komturs steht nicht nur in der Mitte der Don-Giovanni-Stadt Holzmeisters: die eherne Majestät des rächenden Gottes ist Ziel und Sinn dieser Interpretation, und dem wird alles untergeordnet. Das ist zweifellos eine großartige Anschauung, die hier in wahren Festspielmassen Wirklichkeit wird, so wenig sie dem Dramma giocoso und erst recht nicht der fröhlichen Licenza des Sextetts, mit dem uns Mozart heiter entläßt, entspricht. Die dem deutschen Geisteswesen eigentümliche tiefere Bedeutung jenseits der Ironie, die Mozarts Geist diametral entgegensteht, die zu Wagner führt und die schon Nietzsche bedauerte, führte diese Inszenierung. Ihr — an sich — großartiger dramatischer Charakter fand in der Besetzung noch Unterstützung, vor allem mit Elisabeth Schwarzkopf, deren Elvira Italianitä und

deutsche Gemütstiefe herrlich verband, und — negativ — mit dem jungen Wiener Bassisten Otto Edelmann, der, wozu eine Festspielbühne nicht hergegeben werden sollte — erstmals den Lepo-rello sang. Seine wunderbare Stimme machte fast dem Don Giovanni (Cesare Siepi) Konkurrenz, was einem Diener seines Herrn nicht erlaubt sein sollte.

War hier in der Felsenreitschule, wohin Mozarts Dramma giocoso nicht unbedingt deshalb gehört, weil es durch Goethes bekanntes Wort mit dem „Faust“, den Reinhardt-Holzmeister vor Jahrzehnten hier inszeniert hatten, in Zusammenhang gebracht werden kann, Herbert Graf, der Regisseur von Furtwänglers Gnaden, so in „Figaros Hochzeit“ (Festspielhaus) der Meister des deutschen Lustspiels. Wieder stand Furtwängler am Pult, selbstverständliche Einlösung eines Versprechens, das er Salzburg und sich selbst im Vorjahr gegeben, als er das Werk bis zur Hauptprobe einstudiert hatte. Damals jedoch erlebte Salzburg

einen italienischen Figaro, der sich aus unerfindlichen Gründen dieses Jahr plötzlich in einen deutschen Schalk verwandelte. Damit erhielt die Aufführung notwendigerweise den Charakter eines deutschen Lustspiels mit Musik, und es war bezeichnend, daß weder Dirigent noch Regisseur etwas dagegen einzuwenden hatten, wenn die singenden Darsteller, die spielende Sänger sein sollten, in den oft schwer dahinfließenden Rezita-tiven plötzlich regelrechte Sprechakzente nutzten, wohl um die Sache im rechten Fluß zu halten. Opera buffa oder deutsches Lustspiel? Das sollte für die Salzburger Festspielbühne keine Frage sein. Es geht,nun einmal nicht ohne Vergröberungen ab, und Figaro deutsch zu geben, heißt gleichsam die Frage an Mozart stellen, warum er wohl dann überhaupt die deutsche Oper noch geschrieben hat, die „Zauberflöte“ heißt und deren Musik dem Geist der deutschen Sprache entwachsen ist. Die Figaro-Musik ist dem Italienischen entwachsen, daran sollte Salzburg, die beispielgebende Mozart-Bühne, nicht rühren.

Vollendeter Mozart hingegen, voller Geist und und das heißt voller Anmut und Grazie, denn es war der Geist Mozarts, beherrschte „Cosi fan t ut t e“ im Carabinieri-Saal der Salzburger Residenz, der damit als neue Salzburger Festspielbühne geweiht wurde. Der Raum ist nicht besonders gut geeignet, auch ist seine berühmt schlechte Akustik nur verbessert, aber nicht gut geworden. Restlos kommt die .herrliche Aufführung mit Caspar Nehers sparsamen Dekorationen und Karl Böhms elastischer und geradezu geistvoll pointierender Klangregie erst im schönen Residenzhof zur Geltung, wenn es eben der dieses Jahr wieder recht griesgrämige Salzburger Wettergott erlaubt. Schuh konnte, sogar fast bis zur letzten Rolle, auf seine Mitarbeiter rechnen, die seiner berühmten Wiener Inszenierung im Redoutensaal der Hofburg zur Verfügung standen. Nicht zuletzt deshalb konnte hier eine endgültig fertige und vor allem stilgerechte Aufführung zustande kommen, die auch ins Festprogramm des Mozart-Jahres 1956 hinübergerettet werden sollte. Nun ist Mozarts Formenreichtum als köstliches Spiel um seiner selbst willen gedeutet, und die Ironie, die seine Seele ist, treibt ihr feines, köstliches Spiel. Und man erlebte wieder einmal, daß Abstraktion allein der Spiegel ist, der der vollendeten Kunst vorgehalten werden kann. Seltener Fall: alle Sänger, die Damen Seefried, Hermann und Otto, die Herren Dermota, Kunz und Schöffler, hielten dieser musikalischen Geometrie Schuhs stand; sie blieben dennoch Menschen.

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