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Ein Reinhardt für Aix gesucht

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Aix-en-Provence ist nicht die geringste unter den Festspielstädten Europas. Der südfranzösische Kurort ist zwar vom internationalen Tourismus noch kaum berührt. Es sind vor allem die Franzosen selbst, die dort ihre Ferien verbringen oder von Marseille, wohl auch von der nahe gelegenen Riviera herüberfahren, um sich eine Mozart-Oper oder ein Konzert unter freiem Himmel anzuhören. Denn das ist die Spezialität von Aix-en-Provence: Alle Veranstaltungen finden im-, Freien statt, und weil der Regen zu den Seltenheiten gehört, muß kaum jemals eine Aufführung abgesagt werden. Da überdies selbst nach drückend heißen Tagen der Abend angenehm kühl ist, begünstigt das Klima die hochsommerlichen Kunstgenüsse.

Der Hof des erzbischöflichen Palastes ist für die Opernaufführungen hergerichtet worden. Leider ist es nicht so wie etwa in Salzburg, daß die natürliche Kulisse des Gebäudes oder gar der Stadt in das Spiel miteinbezogen wird. Die Szene ist mit. einem riesigen und nicht besonders geschmackvollen Aufbau aus Holz und Pappe eingerahmt und nirgends wird ein Stückchen der alten originalen Architektur sichtbar, Ganz ähnlich ist es mit jenem Hof bestellt, der für die Konzerte dient: dort wird ein alter Laubengang auf ähnliche Weise verdeckt. Aber die Festspiele in Aix-en-Provence sind ja erst jüngeren Datums. Auch sie werden hoffentlich einmal ihren Max Reinhardt finden.

Ihren guten Geist am Dirigentenpult haben sie bereits entdeckt: Es ist der junge. Generalmusikdirektor von Stockholm Michael Gielen, der Sohn des ehemaligen Direktors des Wiener Burgtheaters, Josef Gielen. Dieser hervorragende Musiker bringt soviel echtes Wissen um die stilistischen Notwendigkeiten der Mozart-Interpretation nach Südfrankreich, daß die von ihm dirigierten Werke — heuer waren es „Cosi fan tutte und die „Z a u b e r f 1 ö t e“ - im Prinzip auch in Ländern nicht besser gegeben werden, die zu Mozart engere Beziehungen haben. Und dies will viel bedeuten: Denn wenn auch die Spitzenkräfte von internationalem Niveau sind, so gibt es doch viele kleine Rollen, die mit Sängern besetzt werden müssen, die M-ozart als einen interessanten Vorläufer Rossinis betrachten. Das Italienische für „Cosi fan tutte" beherrschen zwar alle tadellos, aber die deutsche Sprache in der „Zauberflöte“ ist für viele ein Problem. Diese Schwierig keiten so zu überwinden, daß sie kaum noch ins Gewicht fallen, war eine und nicht die leichteste Aufgabe des Dirigenten.

Auch die Regie mußte aus dem Vorhandenen das Beste machen. Das Fehlen einer eigentlichen Bühne, der Mangel an technischen Apparaten hätte theoretisch dahin führen können, daß man sich auf die Einheitsbühne beschränkte. Diese freilich würde ein geschultes, stilistisch ein- geweihtes Publikum vorausgesetzt haben, eines jedenfalls, wie es hier nicht gegeben war. Die Regisseure griffen also zum bewährten Mittel, die zahlreichen Schauplätze durch ebenso zahlreiche Verwandlungen hervorzuzaubern.

Der junge Regisseur Jean-Pierre Grenier vermochte auf diese Weise eine durchaus sehenswerte Inszenierung zu bieten. Ihm gelang es, jene Naivität der „Zauberflöte“ auf die Szene zu übertragen, die nun einmal in dem Werk verborgen liegt und die bei größeren Gelegenheiten regelmäßig übersehen wird. Marcello Cortis war bei „Cosi fan tutte“ nicht ganz so glücklich. Er wollte in erster Linie amüsieren und setzte dabei zuviel

Vertrauen in sich und zu wenig in die Musik. Es wurde allerdings ein sehr lustiger Abend, aber einer, der schon ein wenig zur Schmiere neigte. Daß er musikalisch ein Genuß wurde, dafür sorgten die Sänger vom Niveau einer Teresa Stich- Randall, einer Teresa Berganza, eines Luigi Alva und eines Rolando Panerai. Und eine Despina wie Mariella Adani findet derzeit wohl überhaupt keine Konkurrenz! Die Wiener Note der „Zauberflötc“ wurde vor allem durch den unübertrefflichen Erich Kunz gewahrt, dessen Papageno selbst, im südlichsten Frankreich Nestroy-Poesie ausstrahlte. Teresa Stich- Randall, die geschulte Pamina der Wiener Staatsoper, siegte mit der Leuchtkraft und großartigen Technik ihrer Stimme, Arnold van Mill als Sarastro mit Persönlichkeit und Kultur.

Den beiden wohlgelungenen Mozart- Opern sollte eine Uraufführung folgen. Daß Aix-en-Provence mit der Wahl einer aufführungswerten Oper nicht viel glücklicher war als so viele andere Festspiel städte. Europas, fällt den Veranstaltern freilich kaum zur Last — es dürfte an Umständen liegen, für deren Überwindung nur die Zeit zuständig ist, eben jene Zeit, die die Oper „Lavini a“ von Henry B a r r a u d rasch vergessen lassen wird. Nicht etwa, daß die Absicht des Komponisten unsympathisch gewesen wäre: Er wollte eine reine Unterhaltungsmusik schreiben, ein Stück ohne Tiefgang, aoer mit um so mehr freundlichem Ohten- schmeichel. Daß es ihm nicht gelang, lag einfach an zu geringer musikalischer Potenz, aber auch an dem Textbuch.

Dennoch: Aix-en-Provence ist eine Reise wert. Es wird noch harter Arbeit und vieler Anstrengung bedürfen, um diesen Festspielort zu einer eigenen Note, zu seiner Persönlichkeit zu verhelfen, aber diese Anstrengung wäre der Mühe wert. Denn die Landschaft, in der Cėzanne, van Gogh und Gauguin schufen, kann auch für die Musik kein dürrer Boden sein. ..

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