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Feste und Alltag im italienischen Opernleben

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Italienische Oper und Mailänder Scala sind seit vielen Jahrzehnten untrennbare Begriffe. Ja. noch mehr: Für ein internationales Publikum bedeutet, die Scala — nach wie vor — die Pflegestätte europäischer Opernkultur, „Grande Opera“ Europas par excellence. Das Lob der Scala singen, hieße demnach bloß: Eulen nach Mailand tragen.

Der Zusammenhang zwischen Ruf und Budget eines großen Opernhauses liegt auf der Hand; zugleich mit dem Ruhm, den Stargagen und Eintrittspreisen wachsen jedoch auch die Verantwortung der Leiter und vor allem die künstlerischen Ansprüche des Publikums. Darum erscheint es recht und billig, an die Leistungen der (übrigens mehr als zur Hälfte staatlich subventionierten) Mailänder Scala, die in der Lage ist, die berühmtesten Gastdirigenten, Gastregisseure und Sänger einzusetzen, in jeder Hinsicht den strengsten Maßstab zu legen.

Die feierliche, lyrisch-romantische Tragödie der vom Römerfeldherren verführten gallischen Priesterin („N o r m a“ von Bellini als Eröffnungspremiere der diesjährigen Scala-Saison) vermag heute kaum mehr zu erschüttern, schon gar nicht in der eintönigen Neuinszenierung S. Fiuines. Daß tlie Aufführung dennoch — wie vor 1,25 Jahren die Uraufführung — ein Erfolg wurde, ist vor allem der überragenden Gestaltung der Titelrolle durch Maria Meneghini Callas und den ebenfalls über jede Kritik erhabenen Gesangsleistungen von Giulietta Simionato und Mario del Monaco zuzuschreiben. Die einer bewährten Choreographin (Margaretha Wallmann) anvertraute Regie der vorwiegend statischen Oper enttäuschte hingegen.

Die Galaaufführung der „Z a u b e r f 1 ö t e“ unter Karajan als Dirigent und Regisseur bewies wieder einmal, daß gerade ein erstklassiges, aber internationales Ensemble (Erika Koeth, Eugenia Ratti, A. Maria Ro-vere, Elisabeth Schwarzkopf, Grazieila Sciutti; Nicolai Gedda, Giuseppe Taddei u. a.) nur allzu leicht den spezifischen Mozart-Stil verfehlen oder doch verfälschen kann. Die bedenkliche Bewölkungszunahme am Opernhimmel von E. Preetorius wird mit Bedauern registriert.

S. Prokofieffs „C i n d e r e 11 a“-Bal!ett war neu für Mailand und erntete, in der glücklichen Choreographie von A. Rodrigues, viel Beifall bei groß und klein; trotz einiger beträchtlicher Längen der Partitur und trotz (oder gar wegen?) der recht konventionellen Musik. Die reizende, modern-stilisierte Inszenierung von A. Beaurepaire verdient besonders hervorgehoben zu werden, ebenso die hinreißende Leistung Violetta Verdys (in der Titelpartie) vor der etwas farblosen G. Peruginis (als Prinz) und der nicht ganz einheitlichen des übrigen Ensembles.

Ein Fest für Ohren und Augen bereiteten Nino Sanzogno, bekannt vor allem durch seine Interpretation moderner Werke, und Giorgio Strehler mit der Eröffnungspremiere der neuerbauten „Piccola Scala“: mit Cimarosas „Heimlicher Ehe“, in einer stilechten Neuinszenierung L. Damianis. Kaum zu überbieten das Trio Graziella Sciutti, Giulietta Simionato und Eugenia Ratti. Eine lebensprühende, wohlgelungene Aufführung, wie man sie sich nur immer wünschen kann.

William Waltons „Troilus undCressida“, umstrittene Oper der beiden letzten Jahre, war neu für Italien. Das stellenweise allzu akademische Werk, das seit der Uraufführung (London, 1954) mit mehr oder weniger Erfolg über die Bühnen von New York, San Franzisko und Los Angeles gegangen war, fand auch in Mailand geteilte Aufnahme. Dem einst gegen Richard Strauß erhobenen Vorwurf der stilistischen Haltlosigkeit kann die (in homerischem Milieu spielende) Oper seines Epigonen Walton erst recht nicht entgehen. Verlorene Liebesmüh' also Nino Sanzognos anerkennenswerte Leistung, Günther Rennerts diskrete, umsichtige Regie und die zum überwiegenden Teil originellen Bühnenbilder des begabten jungen Pietro Zuffi. Verlorene Liebesmüh' auch die Einsatzfreudigkeit Dorothy Dows und Davide Pölerts (in den Titelrollen) und der anderen hervorragenden Sänger in teils undankbaren, teils geradezu akrobatischen Rollen.

Eine eindrucksvolle „Simone-Boccanegr a“-Neuinszenierung (unter Molinari-Pradelli), eine erfolgreiche „Traviata“ (mit der Callas, unter der Leitung Giulinis) und eine „Cosi-fan-tutte“-Aufführung voll Esprit (unter Cantelli als Dirigent-Regisseur) können nur am Rande vermerkt werden. Ein Sonderlob gebührt dem Orchester, dem von N. Mola vor--üdich geschulten Chor und — last not least — den Beleuchtungskünstlern der Scala. Daß Victor de Sa-bata, der Direktor des Hauses, seine Tätigkeit als Dirigent den administrativen Aufgaben hintansetzt, sei ebenfalls erwähnt. Und daß das Saisonprogramm, bei einer Spielzeit von rund sechs Monaten, neben größtenteils altbewährten Werken eine Opernuraufführung bringt, darf als charakteristisch für die Mailänder Scala gelten.

Das Teatro dell' Opera in Rom dagegen beweist, daß ein hohes Budget allein noch keine Qualität verbürgt. Neben einer brillanten, im übrigen jedoch konventionellen Aufführung von Rossinis „Barbier“ (unter Questa) wirkte „S a n s o n e e D a I i 1 a“ von Saint-Saens langweilig und verstaubt. Darüber konnten weder das berühmte „Bacchanal“ noch der temperamentvolle Dirigent (Gavazzeni) hinweghelfen. Den römischen Altertumsforschern sei es überlassen, zu beurteilen, ob es in Palästina vor dreitausend Jahren stets bewölkt war; aber gerade dafür sei den Verantwortlichen gedankt, daß sie mit den luftigen Gebilden von den teils einfalls-, teils geschmacklosen Bühnenbildern ablenkten und zum Schluß mit einem künstlichen Blitz, der seinesgleichen suchte, das größerenteils sanft entschlummerte Publikum doch noch zu einem Achtungsbeifall bewogen/ — Leben brachte ein Abend mit vier neuen Balletten, in der ansprechenden Choreographie von Aurel Milloss, auf die Bühne; die Inszenierungen von Milhauds „Creation du Monde“ und der „Ungarica“ nach der „Tanzsuite“ von Bela Bartok versprachen Beträchtliches für die Zukunft der römischen Staatsoper, deren Ruf im ganzen Lande bisher reichlich schlecht war. und werden, bei entsprechender Umstellung auf dem Gebiet der Operninszenierungen, dazu beitragen, der „Provinzbühne“ Roms zu einem höheren Niveau und damit zu einem internationalen Namen zu verhelfen.

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