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Versuch einer Bilanz

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Wer Salzburg kennt, weiß nun schon, daß die Festspiele ausklingen. Noch immer sind die schmalen Gassen und die weiten Plätze der Altstadt voll von Fremden mit Photoapparaten und leider auch in Buschhemden und Shorts, in denen 6ie partout die Kirchen besuchen wollen, noch eilen Herren in Schwarz und Damen in kleinen Abendkleidern von ihren schwer errungenen Parkplätzen in die Festspielstätten. Aber die großen Auffahrten, das Abend-vergnügen der Salzburger als Zaungäste, sind vorbei, und das Wagenchaos der Mitwirkenden vor dem Festspielhaus hat ich •tark gelichtet. Dirigenten, Sänger, Schauspieler, Musiker, sie kommen nun schon seit zwei oder drei Wochen von ihren Sommerquartieren, merklich sonnengebräunter, zu- den Vorstellungen.

Es ist also Zeit, Bilanzen der diesjährigen Festspiele zu ziehen.

Die Festspiele 1962 hatten Jedenfalls Erfolg. Denn sie waren sehr gut besucht, wenn auch der allzu österreichisch-verantwortungslose Polizei- und Zöllnerstreik beinahe zu einer Besucherkatastrophe geführt hätte. (Die Hotelportiers mußten die vorgekauften Karten vielfach unter dem Preis abgeben.) Das Festspielpublikum war wieder sehr international: Franzosen, Engländer und Deutsche dominierten. Und die Festspiele 1962 waten wieder vieler Diskussionen wert: um Kara-jan, um das Ballett und nicht zuletzt um das Programm.

Hier schieden sich die Geister, nicht nur der Kritiker, sondern, auch .des Stamm--Publikums der Festspiele.. Ab es- ist ia schon lange so, daß die Perfektion der Aufführungen und die Starnamen der Künstler weitum wichtiger geworden 6ind als das Erlebnis der Kunstwerke und der künstlerischen Atmosphäre.

Diese erleben noch weit eher jene Festspielbesucher, die auf wenige Tage nach Salzburg kommen und einige wenige Aufführungen sehen. Sie sind dann von der Stadt, dem Zauber der Spielstätten und von der Einheit von Werk und Darbietung hingerissen und ergriffen. Diesen Besuchern geht es vor allem um den Kern der Festspiele: um Mozart.

Die Bilanz um Mozart ist wieder einmal etwas fragwürdig. Wohl waren vier von den sechs Opern Mozart-Opern. Doch „Figaro“ war wohl als In-szene, aber nicht musikalisch vollendet, und „Idomeneo“ fehlte die Größe der vorjährigen szenischen und dirigentischen Anlage. Glucks „Iphigenie in Aulis“ eröffnete wohl in einer beinahe vollkommenen Aufführung die barocke Welt um Mozart, aber dafür war Verdis „Troubadour“ bei allem Glanz der Perfektion nicht jenes Italien, das sich in Salzburg mit der heimischen Kunst vereinigt und vereinigen kann. Und in den Orchesterkonzerten trat Mozart diesmal ganz zurück, wenn man von dem Konzert Keil-berths und von Böhms großartiger g-Moll-Darstellung absieht. Wieder wurde es offensichtlich, daß die Dirigenten aus ihren Reisekoffern bestimmen, was den Salzburger Festspielen recht sein muß. Von einer Programmwahl kann nicht die Rede sein. Auch von den Solistenkonzerten hatte nur der Klavierabend Backhaus' ein Salzburger Programm.

So ist Mozart stark in die kleineren Veranstaltungen abgedrängt: in die Matineen, Kammerkonzerte und die Serenaden. Die Matineen Bernhard Paumgartners sind freilich den schönen Kostbarkeiten Mozart gewidmet, und Ernst Hinreiner gab einen interessanten Beitrag mit den weltlichen Vokalwerken, während von den Serenaden offenbar nur die sechste unter Mladen Basic ausgereifte Mozart-Darstellung brachte.

Eine durchaus passive Bilanz weist die Kirchenmusik aus. Rossinis „Stabat mater“ war programmatisch gut gewählt, aber warum immer wieder Mozarts „Krö-nungsmesse“ und die „Vesperae“, warum im heiteren, festlichen Sommer zwei Requiems, die Mozarts und Verdis? Die c-Moll-Messe Mozarts kann über Ai<“en Mangel an kirchenmusikalischen Festen nicht hinwegtäuschen. Der Reichtum der Messen Mozarts, aber auch der seiner Salzburger Umwelt, bleibt völlig unaus-geschöpft. Dabei sucht vor allem das ausländische Publikum geradezu darnach. Warum versäumt man diese schönsten Feste der Musik in der Stadt der Biennale christlicher Kunst? Die Musik Mozarts und Salzburgs ist doch ohne Kirchenmusik ein nur ehr lückenhafter Ausschnitt.

Jahr um Jahr hat auch das Schauspiel eine passive Bilanz. Sie ist so passiv, daß sie mindestens vorläufig hoffnungslos ist- Der.„Jedermann“ braucht vie^ i8ehjibalül>ltßIinen neue Regii'skir; er' braucht den Geist d8r,-Erschütterungen des' 20. Jahrhunderts, er braucht ' Weltanschauung, nicht neue Gags, um bestehen zu können. - Goethes „Faust“ ist sozusagen halbfertig; es fehlt die schauspielerische Aussage des faustischen Ringens um unser Weltbild. Raimunds „Bauer als Millionär“ und noch viel mehr Nestroy „Lumpazi“ haben feineren Ohren, doch Zweifel am Wiener Biedermeier und seiner Kritik in Salzburg aufkommen lassen. Dabei verschlingt dieses magere Schauspiel um die Hälfte mehr als die Oper!

Die Moderne kam am besten mit Strawinskys Balletten zu Wort. Sonst geisterte ie nur sehr wahllos mit Bartök, Einem, Kodäly und Janäcek durch die Orchesterprogramme.

Das nächstjährige Programm scheint den Durchbruch von den Festspielen in Salzburg zu den Salzburger Festspielen, um mit Bernhard Paum-gartner zu sprechen, nicht zu erkämpfen. Aber es bringt mit Faust II und mit der neuen „Zauberflöte“ und dem alten „Rosenkavalier“ wenigstens keine neue Desorientierung des Programms.

Gibt es denn ein Salzburger Programm? Sicher ist nur, daß es diese einmalige mittelalterlich-barocke Stadt und den Geist ihrer Geschichte gibt, dieses Europa in der Begegnung süddeutsch-österreichischen Geistes mit der Formkraft Italiens. Es ist ein Weg mit dem Ziel der Vollkommenheit im Bleibenden. Ist die nicht auch die Sendung der. Kunst in. dieser unsereT Welt?

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