6988585-1986_36_17.jpg
Digital In Arbeit

Denkpause in Salzburg

Werbung
Werbung
Werbung

So glanzlos und arm an Novitäten wie heuer haben sich die Salzburger Festspiele seit Jahren nicht präsentiert. Und mögen auch die Verantwortlichen im Festspielkartenbüro stolz ihre Verkaufsbilanz ziehen, so fällt das künstlerische Resümee doch recht bescheiden aus. Denn in diesem Programm-Sammelsurium von 1986 war von einem Festspielkonzept, von einer Festspieldramaturgie schlechthin nichts zu bemerken. Das fast zufällige Nebeneinander einer neun Jahre alten „Zauberflöte“, einer vierzehn Jahre alten „Hochzeit des Figaro“, einer seit den Osterfestspielen 1985 ziemlich abgewirtschafteten „Carmen“, eines pathetischlangweiligen Ballett-Gastspiels von Debussys „Martyrium des hl. Sebastian“...

Ausnahmen bildeten lediglich die fulminant inszenierte Uraufführung der „Schwarzen Maske“, die Reprise des zumindest sehr kultivierten „Capriccio“ von Richard Strauss und einige Konzerte. Wen wundert's, daß die Salzburger Festspiele längst als „Wiederaufbereitungsanlage“ für alte Opernproduktionen karikiert wurden. Auch auf dem Schauspielsektor erfüllten die Uraufführungen von Thomas Bernhards „Ritter, Dene, Voss“ und Peter Handkes „Prometheus“-Fassung nicht die Erwartungen.

Die Schuld für dieses Debakel den Umkrempelungsmanövern im Festspieldirektorium zu geben, wäre allerdings grundfalsch. Zwar markieren diese Festspiele 1986 eine Wende: Franz Wülnauer folgt als neuer Generalsekretär Otto Sertl nach, und Otto Schenk wurde anstelle des plötzlich verstorbenen Boy Gobert Direktionsmitglied. Aber an der Haltung des Direktoriums in Programmfragen ändert das vorerst nichts. Das Direktorium denkt und Kara-jan lenkt.

Festspiel-Präsident Albert Moser ist nicht der Mann, ein Erneuerungskonzept der Festspiele durchzuboxen. Und Festspiel-Pressechef Hans Widrich kündigt — etwas resignierend — für die kommenden fünf Jahre an: „Keine großen Projekte, keine Auftragswerke ... Denkpause!“

Eine Denkpause, die auch im kommenden Jahr wirksam sein wird, Karajans seit Jahren geplantem „Don Giovanni“, einer Johannes-Schaaf-Inszenierung von Mozarts „Entführung aus dem Seraü“, Schönbergs „Moses und Aron“ (statt der geplanten Neuproduktion von Glucks „Orpheus und Eurydike“, die wegen der Auseinandersetzungen mit Agnes Baltsa abgesagt Wurde) und einer Oper des Direktoriumsmitglieds Gerhard Wimberger über den Salzburger Fürsterzbischof Wolf Dietrich wird man erneut den alten „Figaro“, „Capriccio“, den „Ulisse“ (aus dem Jahr 1985) und Raimunds „Bauer als Millionär“ gegenüberstellen.

Für 1988 gibt es bisher kaum fixe Produktionen. Man hofft, daß das neue Direktoriumsmitglied Otto Schenk auf dem Schauspielsektor für Impulse sorgen wird. Schenk hat gesprächsweise angekündigt, daß er sich endlich einen neuen „Jedermann“ mit einem Spitzenregisseur wie Peter Stein, Jeröme Savary oder Ariane Mnouchkine wünscht und daß er auf die Zusammenarbeit mit Patrice Che-reau und Peter Zadek hofft.

Als Opern-Neuinszenierung ist „Tosca“ im Gespräch, und Claudio Abbado, den neuen Musikdirektor der Wiener Staatsoper, will man bewegen, die für Wien geplante Originalfassung von Mussorgskis „Boris Godunow“ im Salzburger Großen Festspielhaus herauszubringen. Sir Georg Solti soll Richard Strauss' „Frau ohne Schatten“ dirigieren, und 1990 will Karajan Verdis „Othello“ aufführen.

Aufträge an Komponisten und Autoren sind vorerst gestrichen. Bei Thomas Bernhard wül man nach dem mäßig erfolgreichen „Ritter, Dene, Voss“ von heuer eine Nachdenkpause einlegen und abwarten, was er schreibt. Peter Handke hat nichts angeboten. Der dieser Tage zurückgetretene Generalsekretär Otto Sertl hat zwar mit dem russischen Komponisten Alfred Schnittke Gespräche geführt, der an einer „Faust“-Oper arbeitet, aber Ergebnisse oder Absprachen hegen nicht vor.

Das heikelste Kapitel ist freilich das Jahr 1991, mit dem 200. Todestag Wolfgang Amadeus Mozarts. Bereits jetzt hat der Wettlauf der großen und mittleren Opernhäuser begonnen, die interessantesten Mozart-Interpreten zu engagieren, ihre Zahl ist kleiner, als Opernfreunde glauben möchten.

In Salzburg liegt - eine gef ährliche Schwäche der Festspielplanung - in Sachen Mozart so manches im argen. Wohl versichert man sich für 1991 des „Don Giovanni“ und der „Entführung aus dem Serail“, die bis dahin fünf Jahre alt sein werden, und man verfügt über Jean-Pierre Ponnel-les bis dahin 14 Jahre alte „Zauberflöte“ und dessen „Titus“-In-szenierung aus dem Fundus, aber den „Idomeneo“ und „Die Hochzeit des Figaro“ (unter Riccardo Muti) muß man neuinszenieren. Da auch 1991 nicht mehr als sieben Opernproduktionen möglich sind, ist an „Lucio Silla“ oder „Mitridate“ beim Mozart-Jubiläum nicht zu denken.

Es sieht also auch für dieses Gedenkjahr etwas bescheiden aus und riecht mehr nach Mottenpulver denn nach Exklusivprogramm. Vor allem aber fehlt auch hier ein Konzept, eine Salzburger Mozart-Dramaturgie, nach der bestimmte Regisseure bestimmte Werke erneuern müßten. Gerade von Regisseuren, denen man international eine Erneuerung der Mozart-Regie nachsagt — wie etwa Karl-Ernst Herrmanns „Finta giardinera“ (Brüssel), Luc Bon-dys „Cosi fan tutte“ (Brüssel), Patrice Chereaus „Lucio Silla“ (Mailand) oder Harry Kupfer, von dem man sich wohl einen aufsehenerregenden „Mitridate“ oder „Silla“ erwarten könnte —, ist keine Rede.

Ankündigungen, daß Karajan zum Mozart-Fest sogar zwei Opern dirigieren möchte, mögen das Publikum zwar freuen, Ersatz für ein Mozart-Konzept sind sie nicht. Soll das Jahr 1991 in Salzburg eine Mozart-Pflichtübung werden?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung