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Operndirektor gesucht

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Nach dem „Stadtgespräch“ im österreichischen Fernsehen über die „Krise der Wiener Staatsoper“ widmete am vergangenen Donnerstag auch der Hörfunk dem gleichen Thema eine große Sendung. Nachdem unter der Leitung des Programmdirektors Dr. Alfred Hartner vier Wiener Musikkritiker und der Komponist Prof. Gottfried von Einem eine volle Stunde lang das gestellte Thema — und einiges andere, das damit unmittelbar zusammenhängt — erörtert hatten, konnte der Diskussionsleiter in seinem Schlußwort resümieren, daß eine Opernkrise derzeit nicht existent ist; wir stehen lediglich vor einem Direktionswechsel.

Da wir in dem Leitartikel der „Furche“ vom 2. Dezember (Opernfinale) bereits zu zeigen versucht haben, wie es trotzdem zur vorzeitigen Amtsniederlegung Dr. Hilberts gekommen ist, möchten wir heute, rückblickend, die Bilanz der dreijährigen Hilbert-Ära ziehen. Dies geschieht vor allem zur Festigung der historischen Wahrheit, zum andern, weil wir davon überzeugt sind, daß auch Hilberts Nachfolger, wer immer er sein mag, nicht viel anderes wird anstreben können. Ob ihm ebensoviel gelingen wird, ist eine andere Frage.

Uber die Chancen des Ensembletheaters und die Möglichkeiten eines Instituts vom Rang der Wienei Staatsoper befragt, schrieb uns voi genau drei Jahren der bekannt deutsche Regisseur und Intendan' Dr. Günther Rennert (damals Stuttgart, jetzt München): „Von einen

Theater, das unter der Fron unseres Abonnementssystems zu arbeiten gezwungen ist, ist es utopisch, jeden Tag ein Festspiel zu erwarten. Die Handschrift eines Hauses wird sich immer in den entscheidenden Neuinszenierungen eines Spieljahres prägen. Publikum und Presse müssen wissen, daß auch diese (höchstens sieben bis acht im Jahr) nicht alle gelingen können.“

Vom Herbst 1964 bis zum November 1967 gab es in der Wiener Staatsoper, einschließlich der Ballettabende, insgesamt 24 Premieren. Es sei nur an die markantesten erinnert. Die Reihe wurde damals und heuer mit Galapremieren Nurejews und Margot Fonteyns eröffnet. Es folgte „Palestrina“ in der Regie Hotters mit Wunderlich in der Titelrolle, hierauf zwei Werke lebender Komponisten: „The Rake's Progress“ und „Katerina Ismailowa“. Wir erinnern an die drei Neuinszenierungen Wieland Wagners („Lohengrin“, „Salome“ und „Elektra“), an „Daphne“ von Richard Strauss mit Hilde Güden unter der Leitung Karl Böhms, an die Premieren der fünf Hauptwerke Mozarts, an „Falstaff“ unter Bernstein mit Fischer-Dieskau, an „Carmen“ und „Hoffmanns Erzählungen“ unter der Spielleitung Otto Schenks, an Günther Rennerts „Barbier“-Inszenierung, an Einems „Danton“ und an ein halbes Dutzend Ballettpremierenabende, von denen drei hochinteressante neue Schöpfungen von Aurel von Milloss enthielten. Und wir erinnern uns an die vielen Repertoireaufführungen, die über dem langjährigen Durchschnitt lagen...

Es fehlte also weder an „Sternstunden“ noch an ehrlicher, kontinuierlicher Arbeit, wohl aber an Anerkennung. Zumal gewisse Kritiker ihr Ideal ausschließlich in „schönen Stimmen und schönen Weisen“ (womöglich italienischer Provenienz) sahen und mit bohrendem Eifer bemüht waren, auch das Publikum auf diese eine Linie zu bringen. Hierbei konnten sie sich, ungehemmt und unkontrolliert, jahrelang auch der Massenmedien (Rundfunk und Fernsehen) bedienen, wo drei Jahre hindurch andere Meinungen kaium noch zu Wort kamen.

Ebenso hemmungslos und demagogisch wurde von indiskreten Nachrichten Gebrauch gemacht, die ununterbrochen aus dem großen Haus am Ring in bestimmte Redaktionen sickerten und jede ruhige Arbeit gefährdeten. (Trotzdem gab es während der letzten drei Jahre nur drei Spielplanänderungen, was weit unter dem langjährigen Durchschnitt lag.) Ein ebenso lächerlicher wie kunstfeindlicher Dirigenten- und Stimmfetischismus verstellte den Blick auf die Gesamtleistungen eines Opernabends in einem Maß, daß man vom Werk und der Musik — immerhin von den Philharmonikern gespielt — kaum noch au sprechen wagte.

Wer wird da — rebus sie stantibus — noch Lust haben, sich auf den Sessel eines Wiener Operndirektors zu setzen? Die erste Absage kam von dem Hamburger Intendanten Rolf Liebermann, an den bereits im Frühjahr 1967 eine erste Anfrage — im Hinblick auf den 1970 ablaufenden Vertrag Dr. Hilberts — ergangen war, und der jetzt ein neuerliches (schriftliches) Wiener Angebot dazu benützt hat, seine Position in Hamburg auszubauen, für sich ein höheres Gehalt und für sein Haus eine um 1,3 Millionen D-Mark höhere Jahressubvention durchzusetzen. Dem Vernehmen nach hatte er auch durchblicken lassen, daß er Schritte unternommen habe, um Karajan, gewissermaßen als Morgengabe, den Wiener Musikfreunden zurückzugewinnen.

Nach dieser Absage steht nunmehr ziemlich fest, daß der bisherige Vizedirektor, Hofrat Heinrich Reif-Gintl, die Wiener Staatsoper interimistisch leiten wird. Aber wie lange? Zwar haben wir Grund zu der Annahme, daß man ihn einige Zeit ruhig wird arbeiten lassen und daß vermutlich auch das Interesse am Kulissentratsch sich vorübergehend legen wird. — Aber das Jubiläumsjahr 1969 steht vor der Tür. Wer wird hierfür den Spielplan erstellen und für seine dem festlichen Anlaß entsprechende Realisierung sorgen? Da wird allenfalls die Bestellung eines künstlerischen Beraters baldigst zu erwägen sein ...

Um die Entscheidung, welche die zuständigen Stellen werden treffen müssen, wird sie niemand beneiden, zumal die Zahl der möglichen Kandidaten nicht gering ist. Außer O. F. Schuh sind die ernsthaft in Betracht kommenden ausnahmslos im Ausland lebende Österreicher: Dr. Hermann Juch, Operndirektor in Zürich, Dr. Herbert Graf, Operndirektor in Genf, Rudolf Bing, Chef der Met, New York, Dr. Egon See-fehlner, Stellvertretender Direktor der Deutschen Oper, Berlin. Auf lokaler Ebene werden genannt: der derzeitige Direktor der Volksoper, Albert Moser, Kammersänger Hans Braun sowie die Generalsekretäre unserer beiden großen Konzertgesellschaften, Prof. Rudolf Gamsjäger und Peter Weiser. Doch wurden, soweit wir unterrichtet sind, seit der Absage Liebermanns, die erst vor wenigen Tagen erfolgte, noch keine meritorischen Verhandlungen geführt.

Wer immer es werden mag — ob er auch der Richtige sein wird? Wir wüßten einen, werden uns aber hüten, seinen Namen jetzt schon preiszugeben, damit er nicht schon ante festum abgeschossen wird.

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