6819818-1973_29_01.jpg
Digital In Arbeit

Ein Kartenhaus um 55 Millionen?

Werbung
Werbung
Werbung

Prominententrubel in Salzburgs Festspielbezirk, wo die Regisseurelite Strehler, Noelte, Haeussermann, Schenk für ihr gigantisches Theaterfest wohl alle verfügbaren Stars deutscher Zunge zusammengetrommelt hat. Festesfreude bei den Hoteliers, deren Häuser trotz der seit der Schiillingaufwertung zum Teil maßlos hohen Preise ab dem 26. Juli, dem Tag der Festspieleröffnung, ausgebucht sein sollen ... Sorgen plagen wohl nur die „Mächtigen“, Stadt, Land und Fremdenverkehrsförderung, denen beim Spiel mit den Subventionsgeldern allmählich schwarz vor den Augen wird: Ist doch der Festivalzuschuß seit 1972 von 44 auf 55 Millionen Schilling hochgeschnellt (fünf Millionen stammen aus einer Rücklage) und alle Versuche, für 1974 drohende weitere Erhöhungen abzufangen, sind offenbar schon von vornherein gescheitert. Aber „'s wird scho irgendwie gehen!“ sagen sich alle voll Vertrauen auf Gott und Karajan und vergessen, daß im Falle eines Falles Stadt und Land den Schwarzen Peter der drohenden Finanzkrise schon längst in der Tasche haben.

Eugene Ionescos 1972 so kühn hingesagte bitterböse Worte fürs Goldene Salzburger Festspielstammbuch, seine Festrede, in der er unsere „Kultur als Kartenhaus“ apostrophierte und die pessimistische Frage stellte, ob dieses Festival in ein paar Jahren wohl noch stattfinden werde ..., die hat man wohlweislich vergessen. Vergessen das dem Festival nun schon fast alljährlich von der internationalen Kritik attestierte Unbehagen an der langsam erstarrenden Festivalkultur und ihrem phantasielosen, nur noch kommerziell orientierten Routinebetrieb, vergessen das Kas-sandrageschrei wegen des Mangels an Konzepten, großen Ideen, geistigen Zusammenhängen, die meist nach mißglückten Reorganisationsanläufen als „Salzburger Dramaturgie“ ins Gespräch geworfen wurden ...

Freilich, den Konsumenten interessiert das alles kaum. Für ihn ist entscheidend, daß in den Opernaufführungen des Großen Festspielhauses in Hinkunft mehr Sitzreihen als früher 1000 Schilling kosten werden, daß die besten Felsenreitschulplätze für Strehlers „Spiel der Mächtigen“ nun auf 500 Schilling gestiegen sind und vor allem, was er für soviel Geld geboten bekommt.

Immerhin, in höchster Not, nach dem kostspieligen Totaldebakel eines synthetischen Theaterbetriebes von

1971 („Orfeo“, „Mitridate“) und dem spektakulären Reinfall mit Peyrnann

1972 entschied man sich endlich für Soforthilfe, für lebendige Theaterkultur. Giorgio Strehler wurde als Konsulent geholt: Er wird fünf Jahre lang Salzburgs geistiges Profil (hoffentlich ohne Gegenintrigen) mitbestimmen. Und als Regisseur arbeitet, er bereits auf Hochtouren, den „Glanz des Theaters in Salzburg“ (so Präsident Kaut) aufpolieren zu helfen.

Seine Ideen dafür:

• Ein Mozart-Zyklus, den Karajan und Strehler gemeinsam bestreiten wollen: „Die Zauberflöte“ 1974, dann „Don Giovanni“, „Figaro“, schließlich eine neue „Entführung“ und die kleineren Mozart-Werke.

• „Spiel der Mächtigen“, Strehlers zweiteilige Shakespeare-Montage, die er soeben in der Felsenreitschule vorbereitet (Premiere: 13. August), möchte er drei Jahre lang zeigen und daneben „Volksstücke“ wie Büchners „Danton“ inszenieren, „Stücke, die in die Felsenreitschule gehören.“

• Außerdem sollen Regisseure wie Noelte, Planchon, Brook in Salzburg heimisch werden. (Zeffirelli oder Visconti schlug er ursprünglich für die „Idomeneo“-Premiere vor).

Keine Frage, auf dem Sektor Theater präsentiert sich Salzburg heuer, zu Max Reinhardts 100. Geburtstag und 30. Todestag, nach langem erstmals wieder als großes Welttheater, als Festival erlesener Theaterkultur, das die interessantesten Schauspieler vereint. Die Oper nimmt sich dem gegenüber noch ein wenig blaß und schlecht disponiert aus. 1972 sind etliche große Opernproduktionen ausgelaufen („Woz-zeck“, „Othello“ „Don Pasquale“). Als Erbe bleiben Karajan-Ponnelles wenig erfreulicher „Figaro“, mit dem der Maestro einer Plattenfirma seinen Festspieltribut zollt (weshalb bekanntlich Böhm-Rennerts Spit-zenklasse-„Figaro“ fallen mußte), Böhm-Rennerts Erfolgs-„Cosi“ vom Vorjahr und Strehlers „Entführung“. Neu hinzukommen nun Karajans Orff-Uraufführung „Spiel vom Ende der Zeiten“ und der „Idomeneo“ des Teams Böhm-Sellner-Zirramermann.

Doch selbst, wenn alle diese Premieren Erfolge sein sollten, ist die eigentliche Salzburger Misere damit nicht gelöst: Die Absagewelle erkrankter Sänger 1972 hat es nämlich allen gründlich gezeigt, wie wenig rationell gearbeitet wird, wie schwer in den meisten Fällen Ersatz zu finden war, wenn es galt, etwa eine „Figaro“-Vorstellung zu retten. Wer durfte sich wundern, daß man dann im Festspielhausfoyer hörte: „Na, so was hören wir ja in München besser!“ oder „Was soll denn da Festspielniveau sein?“ oder „Dieses Salzburg ist halt sein Geld nicht wert!“

Und doch: es ist bloß eine Frage der Planung, der Disposition, das in Salzburg weilende Sängerheer so auszuwählen und einzuteilen, daß im Notfall Ersatz zu finden ist. Aber das würde bedeuten, daß Programmierung und Opernbesetzungen nicht nach Clan-Denken (Karajan, Böhm), nach privaten Verbindungen und Wünschen von Schallplattenfirmen Zustandekommen, sondern daß Sänger eben nur noch nach Qualität und Verwendbarkeit in den bestimmten Partien geholt werden. Böhm dürfte etwa nicht mehr sagen, daß er mit diesem oder jenem keine „Meistersinger“ produziere, weil der ja bei Karajan zu Ostern singt, Karajans und Dr. Juckers Künstler-„Verwer-tungsgesellschaft“ müßte beim lukrativen Geschäft da und dort verzichten (was wieder eine Verringerung des Einflusses bedeutet!). Und so manche anderen müßten ebenfalls zurückstecken. Aber wer will das schon: auf Geschäfte verzichten! Etwa der Salzburger Festspiele wegen? Also müssen sich die Festspiele auch weiterhin den Geschäften mit Schallplatten- und Kassettenprojekten beugen. Und Rationalisierung, große Konzepte, geistige Sanierung werden auch weiterhin nur schöne Worte sein, mit denen man gelegentlich — bei Bedarf — Staat macht, um sie möglichst rasch wieder zu vergessen. Was man als Ganzes auch — siehe oben — „Salzburger Dramaturgie“ nennt. Ist es da nicht höchste Zeit, auch für die Oper einen ,.Strehler“ zu finden?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung