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Volle Häuser -leere Taschen

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Vor wenigen Monaten gerieten die Grazer Vereinigten Bühnen ins Gespräch, weil die Finanzierung ihres laufenden Betriebes plötzlich alles andere als gesichert erschien. Nun aber soll sogar eine elektronische Datenverarbeitungsanlage für sie angeschafft werden, obwohl die Theatermacher selbst andere Dinge eigentlich für wichtiger halten. Zugleich durchleuchtet ein Team des Rechnungshofes Gebarung und Organisation.

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Vor wenigen Monaten gerieten die Grazer Vereinigten Bühnen ins Gespräch, weil die Finanzierung ihres laufenden Betriebes plötzlich alles andere als gesichert erschien. Nun aber soll sogar eine elektronische Datenverarbeitungsanlage für sie angeschafft werden, obwohl die Theatermacher selbst andere Dinge eigentlich für wichtiger halten. Zugleich durchleuchtet ein Team des Rechnungshofes Gebarung und Organisation.

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Möglich, daß der Rechnungshof in diesem Fall nicht gemachte Fehler aufspürt und kritisiert, sondern eine geplante Fehlinvestition rechtzeitig entdeckt. Bekanntlich überprüft er ja njcht nur die Korrektheit der Gebarung, sondern auch die organisatorische Effizienz, macht Verbesserungsvorschläge und hat sich, so unbeliebt er sonst auch sein mag, mehr als einmal als kostenloser Rationalisierungs-Ratgeber der von ihm geprüften Institutionen betätigt.

Und im gegenständlichen Fall will es der Zufall, daß die emsigen Wühlmäuse aus Wien just zu einem Zeitpunkt am Werk sind, wo man sich auch an anderer Stelle Gedanken darüber macht, wie die Verwaltung der Vereinigten Bühnen verbessert werden könnte. Und zwar im Theaterausschuß, der vom Bundesland und der Landeshauptstadt beschickt wird.

Hier wurde vor einiger Zeit die EDV-Idee geboren, die nur den einen Schönheitsfehler hat, daß die Anlage nebst zwei notwendigen Fachleuten möglicherweise mehr kostet als sie einsparen hilft. Effizienz und Notwendigkeit einer solchen Investition werden von vielen Seiten heftig angezweifelt, Und was die Finanzierung betrifft, so kann sie selbstverständlich den Vereinigten Bühnen nicht unmittelbar aufgehalst werden. Aber das dafür notwendige Geld stammt aus jenen Beträgen, deren Einsparung dem ohnehin notleidenden Theaterbetrieb auferlegt wurde. Jeder seiner Mitarbeiter kennt eine Reihe von Notwendigkeiten, für die das Geld fehlt.

Und wo es möglicherweise besser angelegt wäre als in einer EDV-Anlage für den Theaterbetrieb, der zwar ein jährliches Gesamtbudget von 160 Millionen Schilling hat, aber nur über einen winzigen Prozentsatz davon frei verfügen kann. 82 Prozent des Budgets gehen für die Gehälter der 600 Beschäftigten drauf. Auch in den restlichen 18 Prozent sind Fixkosten enthalten, sodaß nur ein relativ geringer Betrag für Neuinszenierungen, sprich: Ausstattungen, Gä-

steverpflichtung ,und so weiter zur Verfügung steht.

Das sind Gegebenheiten, die einen Hauptvorteil des Computers, den schnellen Zugriff zu allen für eine effiziente Kalkulation wesentlichen Daten, weniger faszinierend erscheinen lassen. Zumal die Grazer Vereinigten Bühnen von erheblichen Möglichkeiten, ihre Verwaltung effizienter zu gestalten, bislang kaum Gebrauch machen können. Sie verzichten beispielsweise auf die Möglichkeit, durch prompte Bezahlung von Rechnungen Preisnachlässe zu erzielen. Sie nehmen Kredite auf, für die Zinsen gezahlt werden müssen.

Schuld daran ist allerdings nicht die Verwaltung des Theaterbetriebes, sondern das stoßweise unregelmäßige Eintreffen der vom Theatererhalter (Land, Stadt) zugestandenen Budgetmittel. Längerfristige Budgetzusagen und geregelte Uberweisungen von Teilbeträgen, etwa monatlich oder vierteljährlich zu festen Terminen, könnten Einsparungseffekte nach sich ziehen, die auch ohne elektronische Datenverarbeitungsanlage unschwer erkennbar sind.

Die Grazer Theatermacher sind sich allerdings im klaren darüber, daß nicht böser Wille am Werk ist, sie kennen schließlich die permanente Ebbe in den Kassen der finanziell nicht auf Rosen gebetteten Kommune. Und machen das beste aus der Situation. Und mehr. Mut, Kreativität und Initiative machen im Grazer Bühnen-Verbund (Oper und Schauspielhaus) manches finanzielle Handikap wett. Die Leiter der beiden Häuser reden denn auch lieber von ihren künstlerischen Projekten als von ihren aktuellen pekuniären Engpässen.

Graz ist nicht nur Österreichs bedeutendste Theaterstadt neben Wien, sondern kann auch immer wieder mit Produktionen aufwarten, die in der Bundeshauptstadt Reaktionen hervorrufen, in denen sich Anerkennung mit Neid mischt - das gilt besonders für den im Vorjahr bei den Wiener Festwochen gezeigten Nestroy („Lady und Schneider“), aber auch für das diesjährige Gastspiel mit „Orpheus ex machina“ (Musik: Ivan Eröd, Text: Daniel Wolfkind).

Intendant Carl Nemeth, dem beide Häuser unterstehen, direkt aber die Oper, kann nicht nur auf eine beachtliche quantitative Leistung (insgesamt rund 20 Produktionen im Jahr), sondern auch auf Verdienste als Bahnbrecher hinweisen. Er hat Harry Kupfer für den Westen entdeckt, der heutige internationale Starregisseur inszenierte 1973 zum erstenmal im Westen, die„Elektra“ in Graz (und in den folgenden Jahren den Giovanni und den Wozzeck, bis er zu berühmt und zu teuer wurde). Und die Grube-rova sang in der „Entführung aus dem Serail“ die Konstanze erstmals -auch in Graz.

Moderne Opern, die in Wien überhaupt keine Aufführungschancen vorfinden und die Wien, wenn überhaupt, nur durch Gastspiele kennenlernt, bringen es in Graz auf acht („Tod in Venedig“) bis 12 („Orpheus ex Machina“) Aufführungen - respektabel in einer Stadt mit 250.000 Einwohnern. Auf der Liste der bereits terminisierten Projekte stehen der „Jakob Lenz“ (nach Büchner) von Wolfgang Rihm und „Jonny spielt auf zum achtzigsten Geburtstag des Komponisten Krenek. Im Opernhaus kommen im allgemeinen pro Jahr acht Inszenierungen neu heraus: Fünf bis sechs Opern, darunter jeweils ein zeitgenössisches Werk und ein wieder belebtes aus dem 19. Jahrhundert, ein Ballettabend und ein oder zwei Werke des Operetten- und Musicalgenres.

Auch das Schauspielhaus steht keineswegs im Schatten der Wiener Theater, sondern wurde unter der Leitung von Rainer Hauer eher zu einem Gegenpol Wiens. (Die Bedeutung beider Häuser drückt sich unter anderem auch darin aus, daß das österreichische Fernsehen von ihnen mehr Veranstaltungen aufzeichnet als aus allen übrigen Landestheatern zusammen.) Was in Wien aus unerfindlichen Gründen immer mehr Seltenheitswert gewinnt, nämlich Uraufführungen österreichischer Autoren, findet in Graz regelmäßig statt, allen materiellen Schwierigkeiten zum Trotz.

Nach zwei Gerhard-Roth-Uraufführungen bei den beiden letzten Steirischen Herbsten stehen nun Uraufführungen eines Stückes von Ernst Jandl (AuftragsProduktion des Steirischen Herbstes) und eines von Elfriede Jelinek bevor, „Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte, oder Stützen der Gesellschaft“.

Einmalig in Österreich: In der nächsten Saison des Grazer Schauspielhauses werden vier Ur- und zwei deutschsprachige Erstaufführungen 50 Prozent des Spielplanes bestreiten.

Dies in einer Stadt, in der schon die Kapazität der Häuser einen erheblichen Leistungsdruck bedeutet: Eine Zahl von Menschen, die etwa in Linz alle drei Häuser füllt, reicht in Graz nicht einmal für ein ausverkauftes Opernhaus, das im Jahre 1898 mit 1330 Plätzen im Hinblick auf ein damals viel größeres Einzugsgebiet dimensioniert wurde. Trotzdem werden auch im Schauspiel im Durchschnitt 90 Prozent der verkaufbaren Plätze tatsächlich verkauft. Das Rezept lautet: Spezifisches Eingehen auf die spezialisierten Wünsche zweier sehr verschiedener Publikumsschichten, einer Mehrheit mit konservativem Geschmack und einer für Avantgardistisches sensibilisierten Minderheit.

Dies mit einem zu kleinen und unterbezahlten Ensemble: Mit 19 Herren, die durchschnittlich monatlich nur 14.400 Schilling brutto und 10 Damen, die durchschnittlich gar nur 11.680 Schilling verdienen, insgesamt durchschnittlich 12.600 Schilling - um beim Beispiel Linz zu bleiben: dort ist die Durchschnittsgage immerhin um 2100 Schilling höher.

Dafür hat Linz auch um ein Drittel mehr Ensemblemitglieder. Zum Ausgleich lasten auf den Grazer Darstellern jährlich rund 80 Gastspielverpflichtungen in der ganzen Steiermark, die sogenannten „Abstecher“, die den Probenbetrieb erschweren, die Dispositionsmöglichkeiten einengen, dafür aber das Ensemble auch in Kontakt mit so grundverschieden reagierenden Bevölkerungen bringen wie den interessierten, aufgeschlossenen Juden-burgern, andererseits aber den weniger toleranten Knittelfeldern, bei denen man sich Stücke wie „Nepal“ von Urs Widmer für alle Zukunft energisch verbat. Wenige Kilometer trennen beide Orte - und offenbar Welten ...

Auf der einen Seite der Medaille: Internationales Echo, der Ruf, eines der wichtigen deutschsprachigen Theater zu sein.

Auf der Kehrseite der Medaille: Zu kleine Gagen. Sozialprobleme wie das eines Ensemblemitgliedes, das im Pensionsalter, nach einem halben Leben am selben Theater, kaum mehr als die Hälfte der Bezüge einer gleichaltrigen und gleich lange „engagierten“ Dame in der Verwaltung des Hauses verdient.

Und eine Heizung im Opernhaus, die jedes Jahr mehrmals endgültig zusammenzubrechen droht.

Und viel zu enge, menschenunwürdige Werkstätten - die Lösung dieses besonders drückenden Problems wurde immerhin versprochen.

Mag sein, daß auch ein Computer nötig ist. Aber ob er auch das wichtigste ist, was den Grazer Vereinigten Bühnen an materiellen Dingen fehlt?

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