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Kunst auf Nummer Sicher

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Tradition wird in Tirol großgeschrieben und hochgehalten. Das hat seine Vorteile: Als es darum ging, die klassizistische Fassade des Tiroler Landestheaters aus dem Jahr 1846 ab- zubrechea oder zu erhalten, fiel Clemens-Holzmeisters Ansicht; sie müsse unbedingt ‘gerettet werden? • entscheidend in die Waagschale und der Ensemblewirkung des Rennwegs mit Hofkirche und Hofburg blieb eine schwere Einbuße erspart.

Eine besonders starke Traditionsverhaftung hat aber auch Nachteile - vor allem für jene, die ein modernes, lebendiges Theater möchten. Ein sol-

ches kann in der Tiroler Landeshauptstadt leider auf wenig Widerhall zählen.

Daher klafft zwischen den Hoffnungen des Intendanten, „Meinungs- und Geschmacksbildung betreiben“ zu können, und der Realität ein unlösbarer Widerspruch, sofern man an Meinungs- und Geschmacksbildung Ansprüche stellt, die über das Bewährte, Konventionelle, Gefällige hinausgehen. Intendant Helmut Wlasak ist Schauspieler (Rundfunkhörern ist seine Stimme aus vielen Hörspielen und Funkerzählungen vertraut) und Opernregisseur und seit zwölf Jahren Intendant des seit 1939 bestehenden Tiroler Landestheaters. Er versucht, „das ästhetische Element des Theaters“ zu forcieren, „ohne daß das Publikum es spüren soll“, das heißt, es soll sich nicht belehrt fühlen, sondern im Theater „eine geistige Heimat, einen Ort der Begegnung“ sehen, es soll hier „einen Weg aus der Isolation“ an- geboten bekommen, „die Phantasie soll angeregt, die Menschen sollen persönlich angesprochen werden.“

Der Geschmack des Publikums ist die Richtschnur des Spielplans. Oper und Operette werden vom Publikum bevorzugt, das Sprechstück wird als Unterhaltung betrachtet, aber nicht als Denkanstoß. Daher dominiert im Tiroler Vierspartenbetrieb (Oper, Operette, Schauspiel, Ballett) das Musiktheater, Gegenwartstheater findet kaum statt und wird, soweit angeboten, von den Besuchern kaum angenommen.

Die Möglichkeiten des Intendanten, in konsequenter, langwieriger Arbeit Publikumsschichten für das Theater unserer Zeit zu gewinnen, sind sehr beschränkt, da der Betrieb so wirtschaftlich wie möglich geführt werden muß und Experirrtente, die das Verhältnis zwischen’ Kosten- und* ‘Eigen-’* aufbringung (durch Abonnements und freien Kartenverkauf) noch verschlechtern könnten, kaum möglich sind. Safety first, heißt das - erlaubt ist, was gefällt, nämlich was etwas einbringt. Helmut Wlasak ist zwar - als Träger des Ehrenzeichens des Landes Tirol - ein hochgeehrter Mann, doch gelang es ihm bislang nicht, die Verantwortlichen von der Notwendigkeit einer spendableren Theaterpolitik zu überzeugen. Das Theater ist und bleibt das herausragende Sparobjekt im Lande.

Das Landeskontrollamt bestätigte denn auch bei der Überprüfung der

Gebarung in den Jahren 1973 bis 1976, daß der Intendant sein Haus ökonomisch zu führen versteht, daß der Sachaufwand gesenkt und durch eine Steigerung der Abonnentenzahl Mehreinnahmen von acht Millionen Schilling erzielt werden konnten.

Das große Haus ist durchschnittlich zu 80 Prozent ausgelastet, die Kammerspiele immerhin zu 60 Prozent, in der abgelaufenen Spielzeit, deren Ergebnisse noch nicht vorliegen, dürfte hier die „Traumgrenze“ von 65 Prozent überschritten worden sein. Bei einem Budget von 75 Millionen (alle Zahlen beziehen sich auf die Spielzeit 1976/77) konnten die Einspielergebnisse heuer von 22 auf rund 25 Prozent der Ausgaben erhöht werden, der Rest wird vom Land Tirol, von der Stadt Innsbruck und vom Bund aufgebracht.

Das Tiroler Landestheater hat 336 Mitarbeiter, das künstlerische Personal zähl ll9, ę gstęr, 65’tKppfe. Die Monatsgägen liegen zwischen 7900 und 19.000 Schilling für Sänger und 14.500 Schilling für Schauspieler, die Damen verdienen auch hier etwas weniger als die Herren. Es gibt einen Dramaturgen und acht Hausregisseure (und natürlich Gastregisseure). Von den 793 Sitzplätzen des großen Hauses sind durchschnittlich 625 (sowie meist die 40 Dienstsitze) besetzt, die Karten kosten maximal 180 (Oper, Operette) beziehungsweise 150 Schilling (Schauspiel), die billigste Karte 30 Schilling beim Musik- und 25 Schilling beim Sprechtheater. Die Karten für die 200 Plätze in den Kammerspielen Rosten 40 bis 80 Schilling.

Es gibt pro Jahr fünf Opernproduktionen, drei Operetten oder Musicals, vier Schauspielinszenierungen und alle zwei Jahre einen Ballettabend, dazu mindestens sechs Stücke pro Spielzeit in den Kammerspielen. Die Sparte Oper brachte es in der Spielzeit 1976/77 auf 104 Abende, die Operette auf 42, das Musical auf 27, das Schauspiel auf 79 Vorstellungen. Das Übergewicht des Musiktheaters mit 173 Vorstellungen gegenüber 79 Schauspielabenden im großen Haus hat ökonomisch seine positiven Seiten: die durchschnittlich 80 Schilling der Musikbegeisterten füllen die Kassen mit durchschnittlich knapp 46.000 Schilling pro Abend, während die um ein rundes Viertel billigeren Karten der überdies etwas weniger zahlreichen Schauspielbesucher die Eigenaufbringung des Landestheaters nur um eine Abendeinnahme von knapp 33.000 Schilling bereichern. Da die Mehrkosten des Musiktheaters zum allergrößten Teil auf die in dieser Sparte anfallenden Gehälter (Sänger, Orchestermusiker) zurückzuführen sind, scheint das Ergebnis der Zahlenspielerei klar: In einem Mehrspartentheater mit einer zu Sparsamkeit und möglichst hohen Einnahmen angehaltenen Leitung hat das Musiktheater die Tendenz, das Sprechtheater zu verdrängen. Und dies aus ökonomischen Gründen, und völlig unabhängig von der Publikumsgunst. Andersherum gesprochen: Ein dem Theater unserer Zeit gegenüber aufgeschlossenes, mehr Schauspielinszenierungen verlangendes Publikum können sich vielleicht die Außenstehenden, bestimmt aber nicht die kühlen Rechner an der Spitze eines Theaters mit Musik- und Schauspielbetrieb wünschen. Wenigstens im großen Haus.

Ein Intendant, dem am Sprechtheater gelegen ist, weicht aus - in die Kammerspiele, wo allerdings von 1976/77 auf 1977/78 die Zahl der Vorstellungen von rund 200 auf 174 sank (auch im großen Haus war sie um 26 geringer). Die Produktionen laufen im kleinen Haus zum Teil sogar länger als im großen, brachtet) es hier auf bis zu 35 Aufführungen (im großen Haus: 27).

Dabei begnügt sich aber Intendant Wlasak keineswegs damit, sein Publikum mit Harmlosigkeiten zu füttern. Die Parsifal-Inszenierung der abgelaufenen Spielzeit bedeutete ein finanzielles Wagnis, fand aber Beachtung weit über die Landesgrenzen hinaus und wurde damit zu einem Schritt auf dem Weg zu einer Bühne von mehr als rein lokaler Ausstrahlung. Auch die selten gespielte, aber für die Entwicklung des Musiktheaters wichtige Gluck-Oper „Iphigenie in Aulis“ fand ein beachtliches Echo.

Der große Renner freilich war die „Zirkusprinzessin“ von Kalman, war in etwas geringerem Maß auch die „Rose von Stambul“ von Leo Fall - das sind eben die Sachen, die gehen. Ebenfalls ging, aber in die Erd’, wie man so zu sagen pflegt, die Ausgrabung einer nicht so ganz zufällig in Vergessenheit geratenen Operette von Johann Strauß mit dem Titel „Cagliostro in Wien.“

In der Schauspielsparte hatte „Das vierte Gebot“ von Anzengruber durchschlagenden Erfolg, inszeniert von Oberspielleiter Oswald Fuchs, der mittlerweile Landestheater und Land verließ. Seine Abschiedsinszenierung von „Romeo und Julia“ bot zwar ein interessantes Regiekonzept, aber nicht die dazugehörige durchgearbeitete Regie und fiel daher ebenfalls durch.

Spitzenreiter in den Kammerspielen, die dem Boulevard, dem Singspiel, dem kleinen „sicheren“ Klassiker und einmal im Jahr dem Märchen verhaftet sind, war Moliėres „Der Geizige“, in der Titelrolle der Intendant persönlich. „Seit Adam und Eva“ von Priestley, Wildes „Der ideale Gatte“: weitere Gängigkeiten. Eine ästhetisch anspruchsvolle Goethe’sche „Stella“, auch von Fuchs inszeniert, ließ das Ausmaß der Lücke erahnen, die der Abgang des Oberspielleiters hinterläßt. Gastregisseure und Teamarbeit sollen ihn ersetzen, aber die nunmehrige Konstellation in der Sparte Schauspiel berechtigt zu Zweifeln.

Wie es weitergeht? Die etwas überstrapazierten Zyklen sollen aufgelassen werden. Dafür denkt Wlasak an weitere Wagner-Inszenierungen. Daneben darf freilich die Gastspieltätigkeit in Tirol und zum Teil auch in Südtirol nicht vernachlässigt ‘ werden, denn das Landestheater will und muß wirklich eines sein und nicht nur ein Innsbrucker Stadttheater.

Was diesem Theater fehlt, wird freilich auch in der kommenden Spielzeit fehlen, und, wie zu fürchten steht, auch danach: Zeitgenössisches Theater, die Auseinandersetzung mit unserer Wirklichkeit, ein modernes, zeitgemäßes Kindertheater, und - Uraufführungen.

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