Künstler und Zuschauer mit einbeziehen

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Am Linzer Landestheater herrscht Aufbruchstimmung. Schauspieldirektor Gerhard Willert im Gespräch über Umstrukturierung und die Theaterbegeisterung der Linzer.

In Linz beginnt’s! Das Linzer Landestheater hat ein neues Musiktheater am Volksgarten und seit Herbst 2014 die Arenabühne im Haus an der Promenade. Die FURCHE sprach mit Schauspieldirektor Gerhard Willert über Aufbruchstimmung, Guerilla-Architektur und die Theaterbegeisterung der Linzer.

DIE FURCHE: Im Linzer Kulturleben herrscht Aufbruchstimmung. Vor allem in den Neu- und Umbau des Landestheaters wurde viel investiert. Wie sehen Sie als langjähriger Schauspieldirektor die Entwicklungen?

Gerhard Willert: Es ist großartig, was alles passiert, doch für mich fühlt es sich nicht so an, dass es erst jetzt blüht. Der Wille für den Aufbruch zu neuen Ufern ist schon lange da, das ist auch der Grund, warum ich immer noch in Linz bin! Als ich gekommen bin, ergänzten wir das Theater um eine vierte Sparte (Musiktheater, Schauspiel, Tanz und seit 1998: Kinder- und Jugendtheater). Nun ist es mit der Erweiterung durch das Musical sogar ein 5-Sparten-Haus. Das gibt es in der Form sonst nirgendwo und ist eine großartige Sache.

Pläne für weitere Verbesserungen existieren schon lange, doch dann gab es im Jahr 2000 einen Rückschlag mit der Volksbefragung, und das Musiktheater im Berg konnte nicht gebaut werden. Wir mussten einen neuen Standort suchen und so verzögerte sich alles. Wichtig für das Theater war das Jahr 2009, als Linz Kulturhauptstadt war, da spürte man in der ganzen Stadt eine enorme Aufbruchstimmung.

DIE FURCHE: Welche Veränderungen haben sich aus der neuen Situation mit dem Musiktheater am Volksgarten ergeben?

Willert: Die Zahl der Produktionen hat sich mit dem Musical erhöht, auch durch die Mehrzahl an Zuschauerplätzen gibt es zusätzlich Spielraum für Projekte. Was unseren Alltag ändert, sind die zwei Standorte. Wir, das Schauspiel, sind weiterhin im Theater an der Promenade, das Musiktheater steht an der Blumau beim Volksgarten. Die Wege sind also länger geworden. Früher konnte man während der Probe schnell in die Schneiderei gehen, jetzt braucht man 20 Minuten, bis man dort ist. Im Arbeitsalltag bedeutet es, dass wir eine neue Logistik finden müssen.

Ansonsten stellte sich letztes Jahr für uns die bange Frage, ob der alte Standort weiterhin so gut angenommen wird. Erfreulicherweise erstreckt sich die Theaterbegeisterung des Publikums nicht nur aufs neue Gebäude, sondern auch aufs "alte“ Haus an der Promenade. Das heißt: Das neue Haus zieht keine Kraft ab, im Gegenteil, wir bereichern einander.

DIE FURCHE: Es tut sich zurzeit viel in der österreichischen Theaterszene. Wie sehen Sie die Position des Linzer Landestheaters innerhalb der Theaterlandschaft?

Willert: Ich bin kein Freund von Rankings, daher möchte ich die Frage so beantworten: Der Kern eines funktionierenden Theaters ist ein gutes Ensemble und das ist unsere Stärke. In der Praxis bedeutet das, dass jeder hauptrollenfähig ist und jeder auch einmal eine kleine Rolle spielt. Als der bedeutende Theatermann Herbert Ihering gefragt wurde, was das Berliner Theater der 1920er-Jahre so besonders machte, erklärte er, dass das Wunderbare ist, dass eine Schauspielerin wie Elisabeth Bergner an dem einen Abend etwa als Shaws "Heilige Johanna“ und am darauffolgenden Tag als Kammerzofe in einem Feydeau-Stück auftrat.

Außerdem haben wir in Linz ein ausgezeichnetes Klima und das halte ich für entscheidend. Das gute Zusammenspiel ist die Hauptsäule, und es freut mich, wenn auch Gastregisseure diese Wahrnehmung bestätigen. Immerhin stehen die Schauspieler jeden Abend auf der Bühne und repräsentieren das Theater nach außen. Da ist es wichtig, dass keine falsche Konkurrenz herrscht. Alles andere halte ich für borniert, eine gegenseitige Befruchtung bringt alle viel weiter als eine Wagenburgmentalität. Das gilt nicht nur für das künstlerische Personal, sondern freilich auch für die Zusammenarbeit mit den Technikern und den Werkstätten. Immerhin ist es unser gemeinsames Ziel, dass wir uns mit der Welt, in der wir leben, auseinandersetzen.

DIE FURCHE: Wie gelingt es Ihnen, als Schauspieldirektor ein entsprechendes Klima für derart heterogenes Team zu schaffen?

Willert: Das Entscheidende ist, man muss miteinander reden und erklären. Außerdem halte ich viel von flachen Hierarchien und dem sogenannten Subsidiaritätsprinzip. Das heißt für uns, dass ein Höchstmaß an Entscheidungen an den niedrigsten Hierarchiestufen getroffen wird bzw. von jenen getroffen wird, die es betrifft. Außerdem muss man Vertrauen haben. Wenn ich einem Mitarbeiter, einem Künstler nicht vertraue, dann brauche ihn ja gar nicht engagieren. Die Leute müssen sich gut aufgehoben fühlen.

DIE FURCHE: Das Linzer Landestheater befindet sich in einer Phase der Umstrukturierung: Das Große Haus wird renoviert. Was bedeutet das für das Linzer Landestheater?

Willert: Die ursprüngliche Planung war so, dass mit der Eröffnung des neuen Musiktheaters die Bühne an der Promenade in ein Schauspielhaus umgebaut werden soll. Dann kamen jedoch schwere Bedenken vom Denkmalamt. Das Große Haus war ursprünglich ein italienisches Logentheater und wurde in den 1950er-Jahren nach den Entwürfen des Architekten Clemens Holzmeister umgebaut. Theaterarchitektonisch war das Große Haus schwierig zu bespielen, der Orchestergraben war viel zu klein, so konnte man manche Opern (etwa von Richard Strauss) gar nicht aufführen. Auch die Sichtverhältnisse waren hochproblematisch. Man schuf Platz für 730 Zuschauer, der Grundraum der alten Bausubstanz war aber zu klein dafür. Der 2. Rang ist sehr flach, es konnten zwar viele Zuseher untergebracht werden, die Sicht auf die Bühne war jedoch schlecht.

Um Verbesserungen vorzunehmen, brauchte man grundlegende Eingriffe. Nach langen Gesprächen kamen wir schließlich zu einer guten Lösung für den Umbau. Neben den genannten Verbesserungen ist barrierefreie Zugänglichkeit gewährleistet, zugleich wird im Sinne des "Holzmeisterkonzeptes“ restauriert. Im Sommer 2015 beginnen die Arbeiten, die 2016 abgeschlossen sein sollen. Für uns stellte sich die Frage, was wir bis dahin machen. Vom künstlerischen Team haben wir die Meinung vertreten, dass wir das Haus weiter bespielen müssen. Hätten wir das Große Haus länger geschlossen, dann wäre es aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Wir mussten uns also etwas einfallen lassen.

DIE FURCHE: Die Arenabühne Schauspielhaus: Sie nennen es eine Guerilla-Architektur, was heißt das?

Willert: Es geht um das Potenzial einer temporären Lösung, um neue Möglichkeiten und offene Formen, die Künstler und Zuschauer stärker mit einbeziehen. In der Arena verschwindet das ehemalige Parkett, es wird auf Höhe des ersten Ranges überbaut. Das Publikum blickt von allen Seiten auf die ovale Arenabühne mit fast 25 Metern Durchmesser und erlebt zugleich eine Spiegelung. Die rund 300 Zuschauer befinden sich außerdem in besonderer Nähe zu den Darstellern.

Zur Zeit ist hier Mouawads "Verbrennungen“ zu sehen, im März findet die Premiere von "Peer Gynt“ statt, das Stück passt ideal auf diese Bühne.

In der letzten Spielzeit starteten wir sogenannte Doppelprojekte; etwa das Molière-Projekt. Ich inszenierte "Der eingebildete Kranke“ im Großen Haus/alter Zustand und Backstage auf der Drehscheibe als Uraufführung Tamsin Oglesbys "Der (eingebildete) Frauenfeind.“

DIE FURCHE: Warum gerade Molière für dieses Backstage-Projekt?

Willert: Ich habe die Molière-Prinzipien begriffen, als ich den Pariser Autor Michel Vinaver in Paris besuchte und er mich zu einer Aufführung von Molières "Der Arzt wider Willen“ mitnahm. Eine Theatertruppe hatte damals versucht, die historische Aufführungspraxis nachzustellen. An diesem Abend hatte ich ein Aha-Erlebnis, ich begriff, dass Molière ein vollkommen eigenständiges Verhältnis zum Publikum und zur vierten Wand hat. Bei ihm gibt es keine Schlüssellochsituationen. Ab diesem Zeitpunkt las ich Molière nur mehr im Original, denn da merkt man, welche Rolle Sprache und Syntax bei ihm spielen. Es geht um den permanenten Wechsel: Einmal rede ich mit dir und dann wechsle ich wieder zurück. Ich bekam wieder Lust, Molière zu inszenieren und fragte mich, ob seine Prinzipien heute noch funktionieren? Ob sie für ein zeitgenössisches Stück tauglich sind? Die englische Autorin Tamsin Oglesbys fand es sofort spannend und verfasste die Komödie "Der (eingebildete) Frauenfeind“. Und nun lässt es sich sagen: ja, es funktioniert sogar sehr gut!

DIE FURCHE: Sie sind seit 17 Jahren vor allem in Linz tätig, wie sehen Sie diese Zeit?

Willert: Die Arbeit hier möchte ich als eine sehr schöne Perlenkette an Produktionen und Tätigkeiten bezeichnen. Sicher empfindet man nicht jede Inszenierung als gleich gelungen, aber dadurch, dass ich nicht nur eine Vorliebe habe und stets auf andere künstlerische Identitäten treffe, entwickelt sich mein Theaterverständnis auch weiter. Ich besuchte die Meisterklasse beim französischen Regisseur Patrice Chéreau, er gab mir einen wichtigen Satz mit: Man darf sich nicht die Frage nach dem eigenen Stil stellen, das soll man andere beantworten lassen. Wenn man seinen Stil pflegen möchte, dann ist man bereits in der Sackgasse.

Und daher ist es auch meine große Leidenschaft, neue Autoren zu entdecken, das erfüllt mich. Für den deutschen Sprachraum waren es Martin Crimp - seine gesammelten Dramen erschienen bei Faber&Faber, und das Cover der ersten beiden Bände ziert je ein Bild einer meiner Linzer Crimp-Aufführungen, das freut mich schon sehr!

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