"Betreten erwünscht!"

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Andreas Beck, der neue Leiter des Schauspielhauses in Wien, im furche-Gespräch.

Im November startet der neue Leiter des Schauspielhauses, Andreas Beck, mit einem Programm, das zeitgemäß an die erfolgreichen Jahre Hans Gratzers anschließt. 1978 hatte Gratzer, damals Leiter der Theatergruppe "Werkstatt", ein ehemaliges Kino zum Theaterraum umfunktioniert und eröffnete das Haus am 4. Mai desselben Jahres mit Jean Genets "Der Balkon". Gratzer setzte den großen Bühnen aktuelles Regietheater entgegen. Diese Phase gilt als die erste große des Schauspielhauses.

1987 bis 1990 stand das Schauspielhaus unter der künstlerischen Leitung von George Tabori, der hier sein Konzept vom Theater "Der Kreis" etablierte. 1991 kam Gratzer zurück und präsentierte zeitgenössisches Autorentheater, das neue Stücke ins Zentrum stellte. Bis 2001 hatte Gratzer das Haus fast 20 Jahre lang geleitet. Als seine Nachfolger - Phase vier - wurden 2001 Airan Berg und Barrie Kosky bestellt, die das Schauspielhaus als "anderes Theater" im Sinne der Vielfalt und der Multikulturalität etablierten. Nun kommt das Schauspielhaus mit Andreas Beck in Phase fünf.

Die Furche: Sie kommen als Leiter in ein Haus, das sehr stark an den Namen Gratzer gebunden ist. So wie er setzen auch Sie auf zeitgenössisches Autorentheater. Wie gehen Sie mit dieser Tradition um?

Andreas Beck: Knapp 30 Jahre gibt es das Schauspielhaus - eine lange Zeit. Was Hans Gratzer gewagt hat, schätze und bewundere ich, aber mit dem Begriff "Autorentheater" verbinden wir heute etwas ganz anderes als damals oder noch vor ein paar Jahren. Als ich vor zwölf Jahren begann, mich konsequent für Gegenwartsdramatik zu engagieren, da war das ein ungeliebtes, vernachlässigtes Terrain. Den Regisseuren, dem Regietheater galt die Aufmerksamkeit; Uraufführungen waren eher verpönt, Klassikerinterpretationen die Regel.

Neben der zeitgemäßen Umsetzung eines "Autorentheaters" geht es mir besonders um die kommende Generation von Theatermachern, der ich den Weg in Wien ebenen möchte; früher durfte ich René Pollesch oder Roland Schimmelpfennig begleiten, nun gilt es, der Tradition des Hauses gemäß, neue, viel versprechende Künstler vorzustellen. Wir beginnen ganz bewusst mit einem Blick auf Österreich, doch wird es nicht bei der österreichischen Gegenwartsdramatik bleiben. Nachdem Kosky/Berg in den letzten sechs Jahren das Haus vor allem international vernetzt haben, werden wir jetzt die heimische Szene in den Fokus rücken und dabei das Haus als Werkraum begreifen - ganz im Tabori'schen Sinne. Das Haus soll ein Theater sein, an dem junge Künstler anders arbeiten können.

Die Furche: Was heißt anders arbeiten? Gibt es eine eigene Ästhetik?

Beck: Anders arbeiten heißt: ohne den Druck großer Bühnen, trotzdem im Herzen einer Theaterstadt. Wenn ich sage "Werkraum", meine ich, der Prozess der Kreation sollte sichtbarer Bestandteil einer Aufführung sein; es geht im Theater immer um das "End-Produkt", die Aufführung, aber der Weg dorthin sollte am Schauspielhaus stärker reflektiert und sichtbar gemacht werden. Was das Spiel/die Ästhetik betrifft, so glaube ich, dass ein neuer Typ Regisseur heranwächst. Die Zeit des "Regieberserkers" scheint, Gott sei Dank, endgültig vorbei. Regie ist weniger autoritär, sondern fungiert als Spielleitung, Spielinitiator. Es geht um Spielweisen und wie Schauspieler einen Text erspielen bzw. spielbar machen können. Die Stücktexte haben heute fast alle einen performativen Ansatz; die Schauspieler sind gefragt, Spielweisen für einen Text zu entwickeln und die Persönlichkeit der Spieler ist hier oft wichtiger als perfekte Verkörperung. Ich freue mich sehr über unser Ensemble und dass wir wieder eines am Schauspielhaus haben.

Die Furche: Sie kennen Wien mittlerweile sehr gut, ist das nicht auch riskant, ein Theater zu führen mit Leuten, die eben noch keinen Namen haben? Wie kann man das Publikum ins Haus holen bzw. so Theater machen, dass die Kassa stimmt?

Beck: Ich kenne Wien seit 1992, und spätestens mit der EU-Osterweiterung ist die Stadt in der Gegenwart angekommen und wieder eine der interessantesten Metropolen Europas. Ein Theater der Zeitgenossen, das Schauspielhaus, war immer noch einmal anders als Wien. Es ist ein Ort mit Tradition und Publikum. Aber geben wir, nehmen wir uns bitte Zeit.

Die Furche: Wie stehen Sie zur Narration am Theater? Man sagt, dass Sie Arno Geigers "Es geht uns gut" machen möchten.

Beck: Dass sich junge Autoren angeblich vor dem Narrativen drücken, ist nur teilweise wahr und ein deutschsprachiges Phänomen. Überhaupt wäre zu klären, was man heute genau unter dramatischer Narration versteht; wie man auf dem Theater Geschichten erzählen kann, war und ist eine wichtige Überlegung in der zeitgenössischen Dramatik. Fälschlich und viel zu pauschal wird da oft mit dem Begriff "postdramatisch" operiert, der eigentlich etwas ganz anderes meint.

Arno Geigers Roman liebe ich sehr, weil er weder stolz noch larmoyant österreichische Geschichte beschreibt und sie mittels privater Geschichten aus unterschiedlichen, "persönlichen" Blickwickeln und Standpunkten erzählt. Er erzählt von einer Familie, die ganz oft auch die meine sein könnte.

Die Furche: Was ist ein guter Autor und was ein guter Schauspieler?

Beck: Das kann man nur am Text festmachen. Ich achte auf die Sprache, auf die Figuren, darauf, wie jemand versucht, mir eine Geschichte zu erzählen, mir seine, unsere Gegenwart beschreibt. Man ist im besten Fall überrascht, welche Erzählweise eingeschlagen wird.

Bei Schauspielern mag ich den performativen Typus: Wenn die Persönlichkeit des Schauspielers durchschillert, wenn das nicht nur Rolle, also Verkörperung, ist. Es ist aber letztendlich egal, in welchem Stil gespielt wird. Wenn jemand haltlos und wirklich mit vollem Einsatz in die Rolle geht, nimmt es gefangen.

Ich bin inzwischen vorsichtiger, was internationale Zusammenarbeiten betrifft. Theater ist ja eher lokal. Kulturell gesehen sollten wir vor allem unsere Unterschiedlichkeiten betonen und es nicht als breiiges Esparanto-Englishspeaking-rund-um-die-Welt-tour-Theater versuchen. Die EU ist als Projekt doch deshalb interessant, weil man lernen muss, dass es nicht wegzudiskutierende Unterschiede gibt. Wir sind zwar alle Europäer, aber wir sind alle anders. Das französische Theater ist eben ganz anders als das britische.

Die Furche: Wie sieht der Start im November aus?

Beck: Nicht vergessen, im Oktober kann man schon "Vor-sichten". Da heißt es jeden Samstag: "Vor-Sicht: Betreten der Baustelle erwünscht!" und wir zeigen Probeneinblicke und kleinere Inszenierungen. Am 22. und 23. November eröffnen wir und beginnen mit vier Inszenierungen. Wichtig ist: Es sind vier zeitgenössische Texte österreichischer Dramatiker, drei davon von jungen Autoren. Alle machen sich ihr Bild von unserer Gegenwart. Zwei Regisseurinnen haben noch nicht in Wien gearbeitet, die anderen auch erst ein-bzw. zweimal. Mein Ziel ist es, von der Ensuite-Spielweise wegzukommen und blockweise Repertoiretheater zu machen. Wir vernetzen uns weiterhin international, in der ersten Spielzeit mit dem Berliner Gorki-Theater und dann mit dem Zürcher Neumarkttheater, so dass es Kooperationen über die Landesgrenzen hinweg gibt. Beide Theater suchen ähnliche Wege im Autorentheater, haben also eine ähnliche Dramaturgie wie das Schauspielhaus.

Die Furche: Und gleichzeitig kündigen Sie eine "Schneise für österreichischer Gegenwartsdramatik" an.

Österreich ist das Land, in dem wir leben und dessen Künstler mir am nächsten sind. Aber wenn wir schauen, was es an jungen österreichischen Regietalenten gibt, dann ist die Suche rasch beendet. Da können wir kaum eine Handvoll aufzählen und viele arbeiten gar nicht in Wien, die markantere Off-Szene ist wahrscheinlich eher in Graz. Meine Aufgabe wird es sein, manche zurückzuholen, andere zu animieren, gleichzeitig möchte ich das Schauspielhaus auch so positionieren, dass man das Gefühl hat, hier kann man erste Schritte machen. Es wird ein Autorenprojekt geben, in dem wir mit einem kleinen Kreis junger Autoren arbeiten und das von der Literar Mechana koproduziert wird, und weiters ist eine enge Zusammenarbeit mit der uniT, Graz geplant.

Was man den Wienern jetzt schon zurufen kann, ist: Schauspielhaus ist Gegenwart! Und hier werden Künstler auftreten, die nicht nur österreichweit, sondern international durchstarten wollen!

Das Gespräch führte Julia Danielczyk.

Zur Person

Andreas Beck wurde 1965 in Mülheim/Ruhr geboren, studierte Kunstgeschichte, Soziologie und Theaterwissenschaft in London, München und Bologna. Bereits 1991/92 war er Assistent am Burgtheater, danach folgten freie Arbeiten als Regisseur. 1994-1997 arbeitete Beck als Dramaturg am Bayerischen Staatsschauspiel in München, 1997-2000 als Geschäftsführender Dramaturg und Leiter des Autorenprojekts Dichter ans Theater am Schauspiel des Staatstheaters Stuttgart.

2000-2002 leitete er das Autorenprojekt Schreibtheater am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Seit 2000 ist er auch Dozent für szenisches Schreiben an der Universität Hamburg und seit 2004 Dozent an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Beck arbeitet freiberuflich als Übersetzer aus dem Englischen und Italienischen für verschiedene Verlage. Seit der Spielzeit 2002/2003 arbeitet er als Dramaturg am Burgtheater Wien, wo er auch die Autoren-Werkstatttage initiierte.

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