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„Brecht gab uns(die Methode“

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Den Regisseur und Leiter der „Komödianten“, Conny Hannes Meyer, braucht man nicht vorzustellen. Er begann in Wien vor 15 Jahren im Theater am Lichtenwerd zu spielen und auch zu inszenieren. Vor acht Jahren haben sich die „Komödianten“ zusammengeschlossen und bringen seither im Theater am Börseplatz ihre von Publikum und Kritik vielbeachteten Inszenierungen unter den widrigsten Umständen heraus. „Wenn irgendwo in Wien Theatergeschichte gemacht wird, so geschieht dies im Theater am Börseplatz“, bekennen selbst renommierte Burgschauspieler. C. H. Meyer hat im vergangenen Herbst die Kainz-Medaille erhalten. Wir sprachen mit ihm über seine Zukunftspläne.

FRAGE: Wie wir hören, hatten Sie auf Ihrer Tournee in Berlin und anderen deutschen Städten große Erfolge buchen können und auch Angebote erhalten. Was für Pläne haben Sie für die Zukunft, werden Sie in Wien bleiben?

MEYER: Ja, ich habe mit meiner Gruppe den ersten Preis von Berlin beim Theaterfestival gemacht. Wir waren außer in deutschen Städten auch in Nancy bei einem internationalen Theatertreffen. Ich habe die verschiedensten Angebote erhalten. Doch ich bleibe in Wien. Wir haben vom Unterrichtsministerium die Zusage erhalten, den französischen Saal des Künstlerhauses, der meistens leersteht, als Theater übernehmen zu können. Wir haben nun einen größeren Raum und damit die Grundvoraussetzung für unsere Existenz. Hier im Theater am Börseplatz müssen wir täglich hundert Leute wegschicken, weil wir einfach keinen Platz für sie haben. Im Künstlerhaus werden wir etwa 250 Zuschauer unterbringen können. Der Umbau soll noch in diesem Jahr begonnen werden, und wir hoffen, in der Wintersaison 1972 bereits im neuen Haus spielen zu können.

Wir werden dadurch mehr produzieren können. Jetzt müssen wir ein Stück drei Monate lang en suite spielen, um unserem Stammpublikum die Möglichkeit zu geben, unsere jeweilige Produktion zu sehen. Der Zuschauerraum hier ist zu klein, alle Adaptierungen, die sie sehen, haben wir selbst gemacht. — Unser Ensemble besteht aus 21 Personen, das in drei Gruppen eingeteilt ist. Eine ist ständig auf Tournee, weil wir hier nicht alle beschäftigen können. Im Künstlerhaus werden wir das größte Experimentiertheater Europas haben. Es wird aber immer noch ein „intimes“ Theater bleiben, wir wollen den Kontakt zum Publikum nicht verlieren, und bei dieser Größenordnung ist er noch gewährleistet. Ich werde dann auch die Möglichkeit haben, Schauspieler, die ich entwickelt habe, zu halten, was bis jetzt, ökonomisch gesehen, nicht möglich war. Urft aber diese Aufbauarbeit leisten zu können, wurden uns vom Unterrichtsministerium sowie von der Gemeinde Wien Subventionen zugesagt.

FRAGE: In den Bundestheatem wird nun, etwas verspätet vielleicht, fleißig absurdes Theater gespielt. Was halten Sie vom absurden Theater für die Zukunft?

MEYER: Absurdität allein ist schon absurd! — Sehen Sie, das berührt eigentlich die alte Diskussion zwischen Dürrenmatt und Brecht. Wenn man den Dingen des Lebens fassungslos gegenübersteht, kommt es zu einer hoffnungslosen Philosophie. Die Menschen werden als irrsinnig und abnormal dargestellt. Situationen werden geschaffen, die unlösbar erscheinen. Doch sie sind unwahr, und das alles bringt uns auch nicht weiter! Man weiß, woher Konflikte kommen, man muß sich nur damit befassen und darüber nachdenken. Seit jeher hatte das Theater eine sozialkritische Aufgabe zu erfüllen. Dies können wir bereits bei Sophokles sehen, bei Shakespeare, bei vielen Großen bis zu Brecht.

FRAGE: Wenn Sie das absurde Theater für die Zukunft ablehnen, glauben Sie an ein ideologisches Theater?

MEYER: Ich begreife das Theater als ein gesellschaftskriitisches Forum. Ich bin Brecht-Schüler. Nach dem Krieg habe ich bei ihm in der Skala in Wien begonnen. Doch Breęht hat uns nicht ein Ziel gegeben, sondern eine Methode, und zwar die dialektische Methode, das Auffinden vor

Widersprüchen. Gesellschaftliche Konflikte können nur mit ästhetischen Mitteln und innerer Haltung dem Publikum nähergebracht werden. Wenn das Theater keine Konflikte bloßlegt, zeigt es nur noch Zustände, die keine Dramatik mehr verursachen. Selbst der sympathischste Mensch ist Schwierigkeiten ausgeliefert. Im allgemeinen setzt man sich heute nicht mehr gern auseinander, das bedingt aber, daß das Interesse am Theater schwindet. Es wurde im Laufe der Zeit zu einer Stätte des totalen Personenkultes gemacht, und das muß sich totlaufen. Wien ist die letzte Stadt, in der unter dem Gesichtspunkt des Personenkults gespielt wird. Das Publikum sieht den Schauspieler und nicht das Stück. Daher gibt es auch keinen Stückekonflikt. Die Schauspieler haben Narrenfreiheit, sie spielen stets nur sich selbst. Die meisten wollen eine Bombenrolle, der Inhalt ist ihnen gleich.

FRAGE: Schwebt Ihnen, Herr Meyer, vielleicht ein Kollektiv wie im Theater am Halleschen Ufer in Berlin vor?

MEYER: Ja, ich strebe ein Kollektiv an. In gewissem Sinne haben wir bereits eines. Jeder kann Vorschläge machen, jeder Einkauf wird gemeinsam beschlossen, und auch der Spielplan wird gemeinsam erarbeitet. Wo sowenig Geld vorhanden ist, muß jeder das Recht haben, zu wissen, was damit geschieht. Er muß auch mitverantworten, was er spielt. Wir haben eine gemeinsame Dramaturgie, wir arbeiten miteinander Drehpunkte und Widersprüche heraus. Der Schauspieler ist verpflichtet, bei der Arbeit der Dramaturgie dabei zu sein. Er muß wissen, worum es geht. Er muß selbst über die Probleme nachdenken und die Methode der Auffindung von Widersprüchen erlernen. Erst dann geht es ans Probieren. Es gibt bei uns Pflichtlektüre, der Schauspieler muß selbst sehr viel lesen. Er ist keine dumme Marionette. Für ihn ist dies sicher alles nicht leicht, sein Privatleben gehört dem Theater. Wir proben jedes Stüde zweieinhalb Monate, sonst kommt nichts heraus. Huschhusch-Proben haben keinen Sinn, es müssen Relationen gesetzt werden, die dem Publikum augenfällig werden. Ich möchte betonen, daß unsere Proben öffentlich zugänglich sind. Wir machen keine Zauberkünste! — Wir sind es der Öffentlichkeit schuldig, richtig beobachtet zu haben. Wir bilden öffentliche Meinung. Was das Wichtigste ist: das Publikum schaut auch anders zu. In der Konkurrenz zu den Medien können wir nicht Zurückbleiben. Es müssen stets neue Wege gefunden werden.

FRAGE: Was für Pläne haben Sie in der kommenden Saison?

MEYER: Wir bringen als erstes „Antigone“ nach Sophokles, von Brecht eingerichtet und von mir bearbeitet, im Herbst heraus. Das Stück wird heißen „Antigone 71“. Weiters steht auf dem Spielplan „Das Verhör von Havanna“ von Enzensberger, das nach dem authentischen Gerichtsverfahren über kubanische Revolutionäre unter dem Diktator Batista geschrieben wurde.

Als drittes Stück ist „Das Schwitzbad“ von Majakowski vorgesehen. Er ist ein Dichter der russischen Revolution, der auch seinen eigenen Leuten gegenüber kritisch eingestellt war.

Außerdem wollen wir Publikumsdiskussionen einführen und die Begegnung von Schauspielern und Zuschauern besonders fördern, um zu Gesprächen über gemeinsame Interessen zu kommen.

Das Gespräch führte Linda de Elias-Blanco.

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