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KLEINBUHNEN SIND IM DILEMMA

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Wien hat -allen Zweiflern zum Trotz - eine lebendige Klein- und Mittelbühnenszene, die durch Bund und Stadt Wien mit durchaus beachtlichen Summen gestützt wird. Die Eintrittspreise bewegen sich um die zweihundert Schilling, Ermäßigungskarten für Studenten, Senioren und diverse Bankclubkarten-Inhaber kosten die Hälfte. Gäbe es keine Subventionierung, stiegen die Eintrittspreise im Durchschnitt um das 3,6fache.

Weitere Details über die wirtschaftliche und die künstlerische Situation der recht unterschiedlichen Bühnen sind schwer über einen Leisten zu schlagen. Wenn es streng nach gesetzlichen Vorschriften ginge, müßten alle diese Bühnen zur sozialen Absicherung der Schauspieler für den Krankheitsfall beziehungsweise die Altersvorsorge mit diesen einen fixen Anstellungsvertrag - sei es für eine Spielzeit, sei es für eine Produktion - eingehen. Was die Personalkosten (einschließlich der Beiträge von Arbeitgeberseite) erheblich in die Höhe treiben würde.

Eine Bühne wie das Schauspielhaus, das 1991 von Bund und Stadt insgesamt ungefähr 15 Millionen Subvention erhalten hat, tut das. Hans Gratzer weiß erfahrungsgemäß, daß bei guter Auslastung noch weitere 3,5 Millionen eingespielt werden können. Das abgelaufene Jahr war von Schwierigkeiten gekennzeichnet, die Akzeptanz durch das Wiener Publikum eher zäh. Bei manchen Produktionen war die Auslastung bei 25 bis 30 Prozent, nun ist die Tendenz deutlich steigend und liegt bei 70 Prozent. Das Theater faßt zwischen 180 und 200 Personen, nach 17, 18 Vorstellungen haben die Aufführung alle jene Interessenten gesehen, die sich mit gewagter Dramatik konfrontieren lassen.

Freie Schauspieler?

Anders liegen die Verhältnisse beim Serapions Theater: Bei einer Auslastung von 65 Prozent der 300 Sitzplätze und der Wiederholbarkeit einer Aufführung bis zu hundert Mal sehen bis zu 25.000 Menschen eine Produktion. Das Betriebsareal von über 2.000 Quadratmeter gestattet die Einstudierung eines neuen Stücks ohne Störung der laufenden Produktion. Verhältnisse, von denen die anderen Theater zumeist bloß träumen können.

Das Problem der Anstellung von Schauspielern stellt sich im Serapions Theater nicht. Diese besondere Form des dramatischen Ausdrucks (in Richtung von Pantomime oder Tanztheater) kennt den Unterschied zwischen Autor und Schauspieler nicht mehr. So gelten alle beteiligten Personen als Ko-Autoren des Stücks, ausgenommen das technische Personal, das angestellt ist. Autor zu sein ist bekanntlich ein freier Beruf. Theaterleiter Erwin Piplits fordert für Schauspieler die freie Berufsausübung -analog zu anderen künstlerischen Berufen wie Schriftsteller oder bildende Künstler.

Nebeaden großen Kleinen nehmen sich die kleinen Kleinen bisweilen als erfjarmenswürdig aus: Vilmos Desy, Leiter des Theaters beim Auersperg, weiß, daß 1992 die Gemeinde Wien eine Million Schilling Subvention zahlen wird. Noch ohne daß eine einzige Aufführung stattfindet, kostet ihm das geschlossene Haus schon 1,2 Millionen. Dazu kommen Gagen für Schauspieler, technisches Personal und jene Summen, die benötigt werden, um ein Haus regelmäßig zu renovieren. Desy, der die Aufgabe der kleinen Bühnen mit dem Satz: „Die Dürrenmatts der Zukunft zu entdecken" beschreibt, vereinigt in sich dreiundzwanzig verschiedene Berufe: Vom Theaterleiter bis zum Bühnenbildner, vom Telefonisten bis zum Materialverwalter, vom Buchhalter bis zum Einkäufer ist er alles in einer Person - das Theater könnte sonst nicht existieren. Die Auslastung der 96 Plätze seines Hauses liegt um 90 Prozent. Sein Publikum hat er zwar gefunden, aber er spürt die Konkurrenz, unter anderem auch der zusätzlichen Spielstätten von Burgtheater und Josef stadt, wo Stücke mit kleiner Besetzung und geringem technischen Aufwand aufgeführt werden.

Die Defizite österreichischer Dramatik, die durch die Spielplangestaltung der großen Häuser entstehen, versucht in besonderer Weise das Theater Gruppe 80 zu schließen. Helga Illich, in mehreren Funktionen für das Theater Gruppe 80 tätig, weiß, daß ohne öffentliche Förderung der Betrieb in der jetzigen Form nicht aufrechterhalten werden könnte. Bei einer Auslastung zwischen 75 und 80 Prozent des 165 Zuschauer umfassenden Hauses kann nicht eine Summe eingespielt werden, die ohne Subventionierung den Schauspielern ein Auskommen sichern würde.

Das Theater in der Drachengasse -eigentlich aus zwei Häusern bestehend: der Courage mit 130 Sitzplätzen und dem kleineren Haus mit 100 - hat wie viele kleine Bühnen das Problem, daß viele sich nicht spontan zu kommen getrauen, weil sie meinen, es gäbe längst keine Karten mehr.

Selbstausbeuterisch

Bei einer Auslastung von 90 Prozent und einer Unterstützung von 3,6 Millionen von Stadt und Bund im Jahr 1991 hat man sich am freien Schauspielermarkt die passenden Kräfte geholt. Ein fixes Ensemble zu haben ist noch nicht möglich. Verena Kanaan, eine der Leiterinnen des Hauses, über die Arbeitssituation: „Man bewegt sich ständig im Bereich der absoluten Selbstausbeutung."

Gleichzeitig ist es übliche Praxis, daß die Gemeinde Wien im Jänner bekanntgibt, wieviel sie den einzelnen Theatern an finanzieller Unterstützung zuteilen wird, der Bund aber erst im März die Zahlen bekanntgibt. „Mit einem Fuß ist man stets im Bereich der fahrlässigen Krida", meint dazu ein Theaterleiter.

Gespräche über die Situation an anderen Häusern ergeben ein noch dramatischeres Bild: Ehemänner oder Ehefrauen, die in ihrem Brotberuf gut verdienen, unterstützen die Unternehmungen des künstlerisch ambitionier-ten Partners mit ihrem Privatvermögen. Auch die Nicht-Anstellung von Schauspielern, ein illegaler Zustand, wird von Finanzämtern, Krankenkasse und Subventionsgebern toleriert, weil alle wissen, daß Wegschauen für die Theater und die Schauspieler die bessere Lösung ist. Schauspielerei ist ein freier Beruf, häufig ein vogelfreier.

Die Leistungen der Klein- und Mittelbühnen können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wo sonst, läßt sich das Handwerk von der Pike auf lernen, wo sonst, wenn nicht auch dort, wird die Wiener Kulturszene tagtäglich aus unerschöpflichen Quellen gespeist.

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