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Staatsoper: Sparen-auch ohne Niveauverlust!

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T^XJ bin der Meinung, daß das Defizit der Bundestheater, genug beredet und bejammert, mit seinen fast drei Millionen täglich, die der Steuerzahler zu berappen hat, zu einem echten Skandalon, einem anstößigen Ärgernis geworden ist. Wir wissen's, wir wissen's: das Image, ganz allgemein, und die Musikstadt Wien und der kulturelle Auftrag und die Tradition und der Fremdenverkehr und die vielen alten und jungen Opernfans... Niemand also wird derzeit wagen, in diesen komplizierten Apparat einzugreifen oder gar die heilige Kuh der Wiener zu schlachten.

Sie soll auch nicht geschlachtet werden. Lang möge sie leben. Sie kann sich nicht einmal gesundhungern, das Luxusgeschöpf Wiener Staatsoper, denn auf sie trifft leider nicht zu, was Brecht einmal sagte: „Nur ein armes Theater ist ein gutes Theater“. Nein, so spartanisch-naiv sind wir nicht: die Erhaltung eines Opernhauses und eines großen Ensembles kostet Geld, viel Geld.

Die Frage ist aber, ob es richtig investiert, genauer: ob das vorhandene Potential vernünftig und sachkundig eingesetzt wird.

Und hier sehen wir, was das Angebot betrifft, eine künstlerische Marktlücke, und was die rationelle Ausnützung des vorhandenen Potentials betrifft, eine geradezu sträfliche Fahrlässigkeit. Nicht erst seit gestern und vorgestern, sondern mindestens seit 195.5, nach Wiedereröffnung des großen Hauses am Ring. Etwa 40 Millionen Schilling bekamen während der letzten fünf Jahre nicht- oder unterbeschäftigte Sänger, deren Höchstgagen (die Spitzenhonorare liegen derzeit bei 100.000 Schilling pro Abend) eine Dunkelziffer sind.

Das Aschenbrödel, das zur rettenden Fee werden könnte, heißt „Ballett“. Und warum das so ist, will ich Ihnen jetzt zu erklären versuchen. Nicht weniger als 124 Tänzerinnen und Tänzer — 84 der Staatsoper und 40 der Volksoper — mit Monatsgagen zwischen sieben und 15.000 Schilling (Solisten bringen es auf etwa 25.000.—) gehen zwar nicht spazieren, sondern trainieren fleißig. Aber wie oft sieht man sie im Jahr? In der abgelaufenen Spielzeit an insgesamt 29 Abenden — neben 268 sündteuren Opernabenden.

Und damit kommen wir zum Kern der Sache. Ballettproduktionen sind nämlich, auch wenn man sich ab und zu einen attraktiven Gast engagieren muß, ausgesprochen billig: Das gesamte Corps samt Solotänzer steht jederzeit zur Verfügung. Oft braucht man überhaupt keine Kulissen und Kostüme (das sind oft die besten Stücke, in der Fachsprache „Ballet blanc“ genannt,also in Trainingsanzügen oder einfachen Tricots vor dunklem Vorhang getanzt). Aber auch wenn man einmal ein Handlungsballett gibt, so kann dies in bescheidenen Kostümen und Kulissen geschehen, da prunkvolle Gewänder die Bewegungsfreiheit hemmen, solid gebaute Architektur zu viel Raum beansprucht. Doch das weiß jeder Fachmann, und der Laie wird's uns glauben ...

Warum also diese geradezu sträfliche Vernachlässigung des Balletts, mit dessen häufigerem Einsatz man Millionen sparen könnte? Etwa weil das Publikum es nicht mag? Aber weit gefehlt. Laut Statistik der Bundestheater (Bericht 1974/75) ist die „Auslastung“ des Hauses an Ballettabenden nur um etwa 10 Prozent geringer als bei Opern. Und warum dies? Weil man dem Wiener Publikum seit mindestens zwei Jahrzehnten zu wenig Ballett angeboten hat. Denn gerade hier gilt, daß der Appetit beim Essen kommt. Das ist am Beispiel zahlreicher — besonders deutscher — Städte bewiesen worden, und dafür bieten sowohl Paris wie Brüssel und Amsterdam geradezu umwerfende Exempel.

Nein, der Grund liegt nicht nur bei den Abonnenten, sondern ganz woanders: Keiner der Operndirektoren seit 1945, kein einziger, hatte ein „Herz“ fürs Ballett, keiner auch nur die notwendige Ubersicht über die internationale Tanzszene. Ich weiß sehr genau, wie Milloss nicht nur um jeden Abend, sondern auch um jede Vorsprache kämpfen mußte. Und daher unsere Empfehlung für die nächsten Jahre:

Das Staatsopernballett hat einen neuen Direktor, Gerhard Brunner, bisher Musik- und Ballettkritiker beim „Kurier“. Er besitzt ohne Zweifel das nötige Wissen, ist jung, hat guten Willen und Ehrgeiz. Er wünscht sich einschließlich der Volksoper, deren Abonnementsystem elastischer ist, etwa 70 Abende pro Jahr. Recht hat er — und unsere guten Wünsche dazu. Aber, wer wird ihm diese Anzahl von Abenden geben? Kein Operndirektor, soweit wir die Szene überblicken. Und da Herr Minister Sinowatz vor kurzem versprochen hat, sich persönlich um dieses Mammutdefizit — wir haben heute nur von der Spitze des Eisbergs gesprochen — zu kümmern, empfehlen wir ihm hiermit, denjenigen, die das Programm der nächsten Spielzeit zu bestimmen haben, nicht als Empfehlung, sondern als Auftrag: einen angemessenen Einsatz des Staatsopernballetts vorzuschreiben.

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