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Ein drittes Opernhaus für Wien?

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.,In einem halben Jahrhundert werden die Theaterereignisse von morgen Geschichte sein und als Tradition, die angeblich verpflichtet, reklamiert werden. Heute aber ist alles offen. Und das bedeutet Verantwortung.” Mit diesen Sätzen schließt unser Bericht über den Wiederaufbau des Theaters an der Wien, der im Frühsommer 1962, vor Beginn der Wiener Junifestwochen, beendet sein soll. Dann wird ein neues Kapitel in der Geschichte dieses Theaters geschrieben werden. Was wird man einst auf diesen Seiten lesen?

Man weiß, daß die Erhaltung dieses schönen, von außen so bescheiden wirkenden Theaters ein wirkliches „Anliegen” verschiedener Kulturstellen und traditionsbewußter Einzelner war, vor allem des Kulturamtes der Stadt Wien und seines Leiters. Aber zur Verwirklichung kamen diese Pläne erst, als man auch die Notwendigkeit eines unabhängigen Wiener Festwochentheaters sowie einer zentral gelegenen Wiener Sommerbühne immer deutlicher spürte. Wenn die im Freien geplanten Theater- und Opernaufführungen nämlich von Schlechtwetter bedroht oder gestört werden, gibt es keinen entsprechenden Raum, in den man ausweichen könnte. Und den ganzen Sommer über, besonders in den Monaten Juli und August, ist Wien überschwemmt von Fremden, die, neben den jetzt reichlich gebotenen Palais- und Rathäuskonzerten, auch gerne eine szenische Aufführung besuchen möchten. Das Schönbrunner Schloßtheater war ein Notbehelf, und der Redoutensaal ist op-, tisch und akustisch leider recht ungünstig. Hier wird also das renovierte Theater an der Wien wirklich eine Lücke schließen.

Aber was soll während der übrigen zehn Monate des Jahres in diesem Haus geschehen? Wien besitzt bekanntlich eine genügende Anzahl von Sprechbühnen und zwei Opernhäuser. Wird man versuchen, ein drittes Opernhaus in Betrieb zu nehmen? Zweifellos gäbe es auch hier Möglichkeiten und Chancen. Aber da käme es sehr auf den Spielplan an, den man sich zurechtlegt. Sinnlos wäre etwa eine dritte „Zauberflöte” oder ein dritter „Troubadour”, ja auch schon eine zweite „Carmen”. Sinnvoller erschiene uns, die Repertoirelücken beider staatlicher Opernhäuser aufzuspüren und sich jener Werke anzunehmen, die dort vernachlässigt werden. Das sind vor allem neuere Opern internationaler Provenienz, die sich andernorts bereits bewährt haben, und Stücke zeitgenössischer österreichischer Autoren, die überhaupt noch nicht zur Diskussion gestellt wurden und von denen wir zu einem späteren Zeitpunkt einige vorschlagen werden.

Vor allem aber könnte das Theater an der Wien eine Heimstatt für das Ballett werden, und zwar sowohl für auswärtige Bällettgastspiele als auch für das Staatsopernballett. Während der letzten eineinhalb Jahrzehnte hat nämlich das Wiener Staatsopernballett im eigenen Haus ein wahres Mauerblümchendasein geführt. Ein Jour fix für das Ballett ist ernsthaft nie geplant worden, und der vor einigen Jahren angekündigte Ballettmonat (November) hat sich ebenfalls nicht durchgesetzt, das heißt, es kam gar nicht zur Bewährungsprobe. Für den Typus des kombinierten Opern- und Balletttheaters gibt es aus letzter Zeit ein ermutigendes Beispiel. Das Theatre Royal de la Monnaie in Brüssel war als Operntheater so heruntergewirtschaftet, daß sich zu den letzten Aufführungen vor seiner Liquidierung nur noch einige Dutzend Interessenten eingefunden hatten. Unter neuer Leitung und mit erneuertem Repertoire — mit Opemstagione und modernen Ballettabenden, die unter der Leitung von Maurice Bejart stehen — hat das Brüsseler Theater eine unerwartete und glänzende Renaissance erlebt. Die Änderungen gegenüber früher sind: man spielt nicht an allen Tagen (aber freilich nur mit erstklassigen Kräften), und zweitens werden nur hochwertige neue und neueste musikalische Werke Choreographien, so daß das Brüsseler Ensemble, das im November des vergangenen Jahres auch in Wien gastierte, den Titel • „Ballett des 20. Jahrhunderts” durchaus zu Recht führt.

Etwas Ähnliches sollte man im Theater an der Wien versuchen. Das Wiener

Staatsopernballett wurde von internationalen Experten als ambitioniert und leistungsfähig bezeichnet. Unter guten Gastchoreographen könnte es Hervor ragendes leisten. Hierfür würde ein kleines Ensemble von 12 bis 20 Tänzern genügen. Es sollten weder bürokratische noch prestigemäßige Schwierigkeiten gemacht werden, wenn der Versuch unternommen würde, dem Repertoire des Theaters an der Wien ein eigenes Gesicht und Wien ein Ballettheater zu geben.

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