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Freizeithobby: Kunst

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REGELMÄSSIG UM DIE WEIHNACHTSZEIT und besonders im Fasching, oder auch immer, wenn Geld in der Gemeinschaftskasse fehlt und Spielfreude, Geltungsbedürfnis und Ehrgeiz nicht mehr zu bremsen sind, laden sie zu einem Theaterabend bei freiem Eintritt (Spenden erbeten!): die in aller Welt von lieben Verwandten so zärtlich umhegten, ansonsten aber bisher mild belächelten Amateurbühnen.

GRUNDSÄTZLICH SOLL MAN nach dem Willen der ambitionierten, nebenberuflichen Mimen genauest zwischen Amateuren, Laien und Dilettanten unterscheiden, wobei mit Dilettantismus Unfähigkeit schlechthin gemeint ist, Laien- haftigkeit den Spieler ohne handwerkliches Rüstzeug charakterisiert, und nur dem Amateur Spieler — also einem, der sich intensiv mit Theorie und Praxis der Schauspielkunst auseinandersetzt, ohne damit Geld zu verdienen — das Recht auf Anerkennung durch die Öffentlichkeit zugebilligt wird. Daß sich die Definitionsgrenzen in der Praxis des öfteren verschieben, wollen die eifrigen Amateure allerdings nicht wahrhaben. Nach wie vor schielen sie nach den Kollegen in den staatlich subventionierten Musentempeln und stellen damit ihrem Urteilsvermögen, insbesondere was die Selbsteinschätzung betrifft, nicht das beste Zeugnis aus. Kann zwar manche Aufführung in den großen Theatern dilettantisch wirken, erreicht eine Inszenierung mit Amateuren kaum den Grad des Professionellen. Das sollte niemanden entmutigen, weil dieses Kriterium für das echte Theaterererlebnis gar nicht entscheidend ist. Kunst trägt den Anspruch auf Vollendung zwar in sich, doch können auch Aufführungen, in denen Enthusiasmus und Begabung für manche Mängel entschädigen, ihr Publikum erreichen.

WAS DAS AMATEURTHEATER am meisten benötigt, um seiner zweifachen Aufgabe — den Spieltrieb der Akteure zu befriedigen und den Zuschauer zufriedenzustellen — nach beiden Seiten gerecht zu werden, ist ein in Nachsicht geübtes Publikum. So kann uns etwa ein Gottfried oder eine Marie in der von Laien ja so oft strapazierten „Armut“ durchaus ergreifen, wenn wir — zum Beispiel — überhören, daß die Dichtersprache Wildgans’ durch den dialektgefärbten Vortrag der Ausführenden ungebührlich „verfremdet“ wird. Eine Laienaufführung der „Armut“ zeigt noch eine weitere Unzulänglichkeit auf, die vom Publikum entschuldigt werden muß: da sich glücklicherweise nicht allzu viele ältere Menschen der Lächerlichkeit durch laienhafte Hilflosigkeit auf der Bühne aussetzen, müssen die Rollen des alten Fachs auch von den Jungen gespielt werden. Das dies hin und wieder glücken kann, zeigte eine Aufführung auf dem ersten Amateurtheatertreffen, das heuer in Salzburg stattgefunden hat. Die „Compagnie Theätrale Olier" aus Paris spielte „Poil de carotte“ („Der Rotschopf“). Hier hatte ein feinfühliger Regisseur mit seinen talentierten Darstellern charakteristische Eigenheiten der Erwachsenen erarbeitet und in ihrer Verwirklichung auf der Bühne durch Stilisierung die gefährliche Klippe der Outrage kühn umschifft. Für diese Aufführung hatte das vierköpfige Ensemble aber auch vier Monate geprobt. Nun erfüllt das Amateurtheater in Frankreich oder gar in Amerika aber auch eine echte Funktion: die „Compagnie Theätrale Olier“ leistet mit einer alljährlichen zweimonatigen Tournee durch Südfrankreich wesentliche kulturelle Arbeit, und im vom Broadway beherrschten New York tragen aus Amateur gruppen hervor- gangene Ensembles wie das „Living Theatre“ oder das „Open Theatre“ in revolutionärer Weise zur Diskussion um die künstlerische Wiederbelebung des im Kommerz erstickten Theaterbetriebs bei.

WENN NUN JEMAND IM theaterbesessenen Wien seiner Liebhaberbühne ähnliche Bedeutung beimißt, muß er damit rechnen, daß man ihn vorerst nicht ganz ernst nimmt. Das Wiener „Dramatische Studio“ übt, nach Meinung seiner Leiterin, Dr. Hilde Weinberger, „für bestimmte Bevölkerungsschichten in Ottakring eine Ersatzfunktion aus“. Das ist um so bedenklicher, als diese im Rahmen einer Volkshochschule geführte Amateurbühne im XVI. Wiener Gemeindebezirk mit der Aufführung von Werken wie „Was ihr wollt“ und „Ein Sommernachtstraum“ seine künstlerische und finanzielle Potenz auf jeden Fall überfordert. Nun ist es Tatsache, daß einfache Menschen, die der Pomp und die vornehme Distanziertheit unserer Theaterpaläste abschrecken, sich durch die vertraut-intime Atmosphäre, in der Amateurtheaterabende abrollen, angesprochen fühlen und dadurch zum Kunstverständnis erzogen werden können. Allerdings hat auch der künstlerisch ungebildete Mensch den gesunden Instinkt für Qualität, welche gerade etwa bei einer Aufführung von Shakespeares Meisterwerken durch ungeschulte Kräfte nicht gewährleistet werden kann.

IMMERHIN: DIE AMATEURSPIELER haben auf gehört zu glauben, daß das wichtigste an einer Theatergründung die Anschaffung eines protzigen Stempels und bedruckten Briefpapiers ist. Man arbeitet hart, und wenn auch nur manchmal an der eigenen Berechtigung. Man sieht den Problemen gefaßt ins Auge und ist diskussionsfreudig. Immer mehr Regisseure bevorzugen die Unverbrauchtheit der Amateure vor der angeblichen Manieriertheit professioneller Künstler, will heißen, daß die Laienspieler weniger Geld kosten. Dennoch bringt man, wie etwa zur Zeit der „Neuen Welle“ im deutschen Film, oft erstaunlich Gutes zustande. Der Amateurstatus hat im heutigen Kunstbetrieb immense Aufwertung erfahren. Auf die Bestätigung, daß dies zurecht geschah, warten wir noch ...

verloren gehen. Was an dieser Situation schuld ist, die Verständnislosigkeit der Theaterleiter, ihr hohes Alter (?), schrittweise finanzielle Zermürbung oder eine ebenso hinterwäldlerische Kritik, das ist schwer zu sagen. Die faule Ausrede, daß in Wien nun einmal ein konservatives Publikum zu Hause ist und auf das Neue ablehnend reagiert, zählt jedenfalls nicht. Nötigenfalls müßte man eben einen Spielplan gegen das Publikum machen. Allenfalls soll man ihm zur Kenntnis bringen, was sich in der Welt tut, es hat auf der Suche nach neuen Formen und Möglichkeiten dabei zu sein. Es hat Experimente als solche zu akzeptieren. Oder wenigstens zu diskutieren. Und es gibt auch in Wien genügend Leute, die das tun. Man darf sie natürlich nicht systematisch verjagen und dann über ihr Nichtvorhandensein jammern.

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