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Wieder beginnt in ganz Österreich eine neue Theatersaison, und wie immer bietet die FURCHE einen kritischen Ausblick auf die wichtigsten Produktionen und Themen der kommenden Spielzeit in Wien wie in den Bundesländern. Und natürlich auf die einschneidenden Veränderungen in der Theaterszene: die neuen Intendanzen am Theater in der Josefstadt (Gespräch mit Herbert Föttinger auf Seit 22), am Schauspielhaus Graz und am Linzer Landestheater sowie die ersten Auswirkungen der Wiener Theaterreform. Redaktion: Cornelius Hell

Wer selbst keine Kinder hat, dem ist das Kinder-und Jugendtheater in der Regel eine Terra incognita. Im günstigsten Fall kennt er oder sie es noch aus der eigenen Kindheit. Aber selbst dann entspricht die Erinnerung daran wohl oft nur noch vage dem, was das Kinder-und Jugendtheater moderner Ausprägung heute ist. Denn längst hat es sich vom Märchenspiel und Kasperltheater zu einem Theater mit zeitgenössischen Inhalten und experimentellen ästhetischen Formen entwickelt.

Für Kinder oder mit Kindern?

Unter dem Begriff Kinder-bzw. Jugendtheater müssen zunächst zwei Dinge unterschieden werden. Zum einen meint er Theater mit Kindern und Jugendlichen, wobei das praktische Kennenlernen des Mediums, das gemeinsame szenische Erarbeiten eines Themas oder das Schreiben eines Stückes, das Improvisieren, der Spaß am Rollenspiel und Ähnliches im Vordergrund stehen. Zum anderen bezeichnet der Begriff Kinder-und Jugendtheater ein Theater für Kinder und Jugendliche. Beides umfasst eine ganze Vielfalt theatralischer Formen: vom Figuren-oder Objekttheater über Schauspiel-, Musik-und Tanztheater bis hin zum intermedialen Performancetheater.

Erstaunlicherweise hat das Kinder-und Jugendtheater im deutschsprachigen Raum immer noch ein Imageproblem. Selbst innerhalb der Theatergemeinde wird, was - auch jenseits des Laienbereichs - unter dem Label "Theater für Kinder" läuft, vor allem künstlerisch noch immer nicht richtig ernst genommen.

Das hat mehrere Ursachen: Einerseits ist die Kinder-und Jugendtheaterszene eben sehr heterogen, auch was die Auswahl der Stücke und Stoffe betrifft und was den Zugang bei der szenischen Umsetzung angeht. Es steht - zugegeben in vielen Fällen nicht ganz zu Unrecht - im Ruf, vor allem pädagogisch, und das heißt konservativ weil narrativ zu sein. Nicht wenige verwechseln "pädagogisch wertvolles Theater" mit der Vernachlässigung der ästhetischen Form. Anders gesagt, wird oft allein dem Inhalt eines Stückes vertraut, statt dem Potenzial, das in der theatralen Situation steckt. Das führt zu einem großen qualitativen Gefälle, was wiederum ein Grund des mangelnden Interesses am Kindertheater sein dürfte.

Andererseits aber vermag das Kindertheater nur zu belächeln, wer es nicht kennt. Denn gutes Kindertheater ist längst nicht mehr "nur" pädagogisches Theater, sondern Kunst und setzt auch auf die unverwechselbare ästhetische Erfahrung, die nur Theater möglich macht. Es geht hier darum, jenen Rätselcharakter der Kunst erfahrbar zu machen, der Resonanzräume öffnet, Echos im Betrachter zulässt.

In diesem emphatischen Sinne ist gutes Theater für Kinder ein Ort der Phantasie, ermöglicht erst durch das, was es als Form nicht abschließt, sondern freilässt. Es ist dieses Freibleibende, das so wichtig ist, um etwas anderes für möglich zu halten.

Österreich hat viel zu bieten

Es gibt landauf landab einige Möglichkeiten, sich von den erreichten Standards des modernen Kinder-und Jugendtheaterschaffens ein Bild zu machen. Es ist um das Kinder-und Jugendtheater in Österreich so schlecht nämlich nicht bestellt.

Neben einer unübersehbaren Anzahl von Initiativen im Laientheaterbereich - Schultheater, in Vereinen organisierte private Theatergruppen oder auch halbprofessionelle freie Gruppen - gibt es auch eine Handvoll Bühnen, die sich ausschließlich und auf mitunter hohem künstlerischen Niveau dem Theater für die Jungen verschrieben haben.

Fast alle Landestheater haben, über das Weihnachtsmärchen hinaus, regelmäßig Kinder-und Jugendstücke im Programm oder betreiben gar eigene Theater mit einem umfangreichen Repertoire für jüngere Zuschauer. Das Next Liberty in Graz beispielsweise, das nach eigener Beschreibung "kluge Stücke für junge Leute" anbietet, produziert pro Saison zwischen sieben und neun Produktionen und bringt es dabei auf durchschnittlich 180 Vorstellungen im Jahr. Auch das Landestheater Linz verfügt mit dem u/hof über ein eigenes, sehr renommiertes Theater für junges Publikum.

Wie es fast zum Standard aller Kinder-und Jugendtheater geworden ist, bietet das u/hof zu allen Inszenierungen verschiedenste theaterpädagogische Begleitprogramme an, die von Probenbesuchen über Gespräche mit den Regisseuren, den Dramaturgen oder den Schauspielern bis hin zu speziell an Lehrerinnen und Lehrer gerichtete Workshops reichen. Die meisten Theater stellen zudem zu ihren Produktionen Sekundärmaterial zum Download zur Verfügung.

Bunte Wiener Szene

Vergleichsweise üppig ist die Situation in der Bundeshauptstadt. Wien leistet sich seit zwei Jahren gleich zwei große Häuser, die sich - was mit Blick auf die Kulturpolitik wohl eher ein Produkt des Zufalls denn das weitsichtiger Planung sein dürfte - auf geradezu ideale Weise ergänzen. Das Flaggschiff der Szene ist das Renaissancetheater/Theater der Jugend im 7. Wiener Gemeindebezirk. Es verfügt über ein eigenes Ensemble und ist mit über 600 Plätzen das größte Haus seiner Art in Europa. Daneben betreibt es im Theater im Zentrum eine zweite Spielstätte, die noch einmal 270 Zuschauern Platz bietet.

Seit Oktober 2004 gibt es mit dem Dschungel Wien ein zweites fixes Theaterhaus für junges Publikum. Das im Museumsquartier beheimatete Haus, verfügt über zwei technisch gut ausgestattete Spielräume, die wegen ihrer Variabilität experimentelleren, interdisziplinären Theaterformen sehr entgegen kommen. Der Dschungel Wien bietet als Gastspieltheater nicht nur der freien Kinder-und Jugendtheaterszene ein Forum, sondern steht auch ausländischen Gruppen offen. So manch hoch stehende Produktion aus dem Ausland hat seither (nicht nur) die Kinderherzen höher schlagen lassen. Die hier geschaffene Möglichkeit zum Anschauungsunterricht, zum Kontakt und Dialog sind darüber hinaus wichtiges Instrument zur Standortbestimmung und Weiterentwicklung und haben der heimischen Szene auch unübersehbare Impulse verliehen.

Ergänzt wird dieses Angebot durch verschiedene Kinder-und Jugendtheaterfestivals von internationaler Strahlkraft. Am 2. Juli ist in Linz das Jugendtheaterfestival Schäxpir zu Ende gegangen. Das biennale Treffen versammelte heuer 46 Produktionen aus acht Ländern und brachte es in elf Tagen auf unglaubliche 218 Veranstaltungen. Ebenfalls ein fester Platz im Festivalkalender hat das jährlich in Wien stattfindende szene bunte wähne TanzFestival. Vom 15.-25. Februar 2007 wird es bereits zum zehnten Mal über die Bühne gehen.

Kinder sind anspruchsvoll

Kindertheatermacher stehen heute vor enormen Herausforderungen. Denn kein Publikum ist so anspruchsvoll wie das der Kinder. Es wird aber immer schwieriger, ein ,Zielgruppentheater' zu machen, weil auch die Gruppe der Kinder immer heterogener wird, da die persönlichen Erfahrungen, medialen Gewohnheiten, die Wahrnehmungs-und Sehweisen, die Moden, denen Jugendliche in stärkerem Maße ausgesetzt sind, sowie die Erwartungshaltungen stark schwanken.

Für kein anderes Theater gilt aber so wenig, was Heiner Müller einst beklagt hat: dass die Stücke mehr für das Theater als für das Publikum gemacht werden. Schon wegen der Konkurrenz der wirkmächtigen elektronischen Unterhaltungsmedien kann es sich das Theater gar nicht leisten, an den Bedürfnissen seines jungen Publikums vorbei zu produzieren.

Im Gegensatz zu diesen ist aber das Theater kein eskapistisches Medium. Das wird schon daran deutlich, dass gutes Kinder-und Jugendtheater kaum noch die Probleme "behübschen" will, sondern aufklärt.

Kinder klären ihre Welt

In diesem Sinne ist es auch ein Ort der kollektiven Selbstverständigung, ein Ratgeber für Lebenslagen oder auch ein Ort des Aufbegehrens. Im glücklichsten Fall hilft es vielleicht durch sprachliche Vermittlung, im Schutz des symbolischen Scheins die Prozesse des Lebens ein wenig besser zu durchschauen. Denn wie wir mit Brecht wissen, sagt eine Fotografie der Realität so gut wie nichts über diese aus.

Die Kindertheater wehren sich, wenn ihnen die Aufgabe zugeschrieben wird, den Theaterbesucher von morgen zu bilden. Denn das unterminiert ihren Anspruch, für das Heute wirksam zu sein. In einem etwas weiteren Sinne glauben wir allerdings an die Wirkung im Morgen, wenn man den Kindern nur die Chance gibt, dass das Theater etwas mit ihnen anstellt.

Informationen:

www.theater-graz.com/nextliberty

www.uhof.at

www.dschungelwien.at

www.sbw.at/

www.tdj.at

www.schaexpir.at

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