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Arme Ware Theater

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Was immer Theater sonst noch sein mag — Theater ist auch eine Ware, die verkauft werden muß. Und das Theater wird eine Ware bleiben, solange Theaterkarten verkauft werden, ja vielleicht selbst dann, wenn der Versuch unternommen werden sollte, durch die Einführung eines Nulltarifs das Theater seines Warencharakters zu entkleiden. Auch dann noch wird es nötig sein, Leute zum Theaterbesuch zu veranlassen, so von selber nicht genügend viele hinkommen.

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Was immer Theater sonst noch sein mag — Theater ist auch eine Ware, die verkauft werden muß. Und das Theater wird eine Ware bleiben, solange Theaterkarten verkauft werden, ja vielleicht selbst dann, wenn der Versuch unternommen werden sollte, durch die Einführung eines Nulltarifs das Theater seines Warencharakters zu entkleiden. Auch dann noch wird es nötig sein, Leute zum Theaterbesuch zu veranlassen, so von selber nicht genügend viele hinkommen.

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Denn es wäre vielleicht denkbar, wenn auch nicht wahrscheinlich und vielleicht nicht einmal klug, daß die öffentliche Hand zumindest dort, wo sie schon jetzt den 'größten Teil der Kosten für die Erhaltung eines Theaters trägt, diese ganz übernimmt und den Eintrittspreis abschafft — aber nicht, daß sie trotz Nulltarifes leerstehende Theater ad infinitum weiter finanziert.

Der Besucherschwund ist zwar nicht so dramatisch, wie er gerne dargestellt wird, aber ein langsames

Abbröckeln des traditionellen Besucherstockes und ein überaus zögerndes Nachtströmen neuer Besucherschichten ist evident. Die Kultur-kassandren aller Schattierungen beklagen diesen Umstand als Symptom für den nun doch, wenn auch nur im geistigen Bereich, näherrückenden Untergang des Abendlandes. Die — angeblich! — primitivste Dimension dieses Vorganges namens Besucherschwund, die Dimension des Kaufens und Verkaufens einer Ware, wird dabei hartnäckig ausgeklammert.

Vom Standpunkt des reinen, ach so kulturlosen, ach so materialistischen Verkaufens betrachtet ist das Theater eine arme, eine ganz arme Ware — arm, weil vernachlässigt, arm, weil nichts geschieht, ihre Stellung auf dem Markt zu verbessern oder wenigstens zu halten. Natürlich, es wird geredet und geschrieben. Alles Reden und alles Schreiben bleibt ganz entre nous, unter denen, die ohnehin ins Theater gehen. Die nicht ins Theater gehen, lesen nur in sehr seltenen Fällen die Kulturseiten.

Jeder Professionist des Verkaufens weiß, daß es ein reiches, aber nicht unbeschränktes Arsenal von Hilfsmitteln gibt, um potentielle Käufer eines Produktes zu erreichen und zum Kaufentschluß zu veranlassen. Und daß ein Produkt auf lange

Sicht verloren ist, wenn sich jene, die für sein Uberleben auf dem Markt verantwortlich sind, voll und ganz auf jene verlassen, die dieses Produkt ohnehin schon konsumieren. Vor allem, wenn der Wettbewerb auf einem bereits schrumpfenden Markt stattfindet.

Die rettenden Engel sind immer dieselben, im wesentlichen Marktforschung, Werbung, Verkaufsförderung. Das Theater war sich bislang im deutschen Sprachraum fast überall zu fein, um die Hilfe dieser rettenden Engel in Anspruch zu nehmen. So betrachtet, gleicht das Theater, angesichts der noch immer großen Zahl von regelmäßigen Theaterbesuchern, einer Ware, die so gut ist, daß sie lange Zeit am Leben bleiben kann, obwohl ihr Produzent nichts tut, um ihr Überleben sicherzustellen, und das heißt angesichts der harten Konkurrenz auf allen, auch auf den Unterhaltungs-, Införmations- und Bildungsmärkten: alles, um sie umzubringen. Das Theater ist ein Produkt, für das kaum geworben, kaum Marktforschung betrieben, kaum Verkaufsförderung gemacht wird.

Besser gesagt: So war es. Erste Anzeichen eines vernünftigeren, das heißt eines wirtschaftlichen Denkens machen sich bemerkbar. Zweierlei ist geschehen. Eine in verschiedenen Städten Deutschlands durchgeführte Motivanalyse erbrachte Aufschlüsse über Motivationsdynamik des Theaterbesuches bei Besuchern und interessierten Nichtbesuchern, über das Image des Theaters, über die Bevölkerungsmeinung zu Theaterpreisen, Subventionen und Abonnementsystem, über die Gründe, die dazu führen, daß das Interesse für das Theater größer ist als die Häufigkeit des Theaterbesuches. Und: Die Basler Theater nehmen neuerdings eine Werbeagentur in Anspruch.

Hier einige Schlüsselpunkte aus den Ergebnissen erwähnter Untersuchung:

Die Motive zum Theaterbesuch werden im Theater selbst stark und intensiv, aber nur für die Zeit des Theaterbesuches und kurz danach wirksam, im Alltag sind sie es zuwenig.

Es gibt im Alltag Situationen, in denen die schlummernde Motivierung ziu einem Theaterbesuch aktiviert werden kann: Durch ein Gespräch, aber auch durch ein attraktives Plakat.

Solche Anstöße werden aber, angesichts des Bombardements mit Werbeanstößen für Konsumgüter, zu selten geboten.

Bildung eignet sich nicht als sel-ling appeal für Theaterwerbung, weil die meisten Befragten zwischen Bildung und Alltag zuwenig Verbindung sehen.

Die Gruppe der „interessierten Nichtbesucher“, das heißt der Leute, die gerne ins Theater gingen (oder sich verpflichtet fühlen, ins Theater zu gehen), dies aber nicht tun, hat eine besonders starke negative Einstellung gegenüber den Gegnern des Theaters.

Diese Gruppe hält ein Abonnement für eine Möglichkeit, überhaupt noch ins Theater zu kommen. Gerade sie erlebt die Diskrepanz zwischen Wunsch und Realisierung am stärksten. Sie nimmt sich den Theaterbesuch immer wieder vor — es kommt nie dazu.

Viele Theaterbesucher reagieren wenig persönlich, wenn ein Theaterbesuch ins Wasser fällt, weil es im letzten Augenblick keine Karten mehr gibt. Sie wechseln relativ leicht auf eine andere Möglichkeit der Unterhaltung über — gelegentliche Theaterbesucher zeigen sich dabei stärker engagiert als regelmäßige.

Viele Menschen glauben aber, daß der Theaterbesuch ein starkes Engagement, sprich Frische, „Form“, geistige Aufnahmefähigkeit, erfordert. Dieses Engagement wird damit zum Hindernis für einen Theaterbesuch.

Für viele Leute ist die Erinnerung an einen lang zurückliegenden oder die Vorstellung von einem Theaterbesuch befriedigender als ein wirklicher Theaterbesuch.

Das Theater nutzt gegenwärtig nur wenige Möglichkeiten, um so attraktiv zu werden, daß die Menschen ihre häusliche Ruhe verlassen, auf den Fernsehabend verzichten und ins Theater gehen.

Offensichtlich ist aber das Theater noch immer ein so starkes Produkt, daß ein Werbeanstoß mit keineswegs überwältigenden Geldmitteln bedeutende Folgen haben kann. 2 bis 3 Prozent des Gesamtbudgets für die Werbung sind fürwahr nicht überwältigend, wenn man bedenkt, daß die großen Buchverlage mit den einst üblichen 7 Prozent längst nicht mehr auskommen und heute in vielen Fäl-

;n bereits 10 Prozent ihres Um-ätzes für Werbung aufwenden. Die lasier Theater erreichten bereits mit anzen 2 bis 3 Prozent, bei gleichartiger Reduzierung der Premierenahl auf die Hälfte, daß sie keine iesucher verloren. Und da, nach der Reduzierung der Premieren, jeder Abonnent viel seltener ins Theater geht als vorher, ist das gleichbedeutend mit einem bedeutenden Zugewinn.

Der Werbeetat wurde der Schweizer Werbeagentur GGK anvertraut, die neuerdings auch in Wien vertreten ist und in der Schweiz unter anderem für die Swissair wirbt. GGK ist eine der größten Agenturen auf dem deutschen und Schweizer Markt und erarbeitete für die Basler Theater eine Konzeption, die vor allem auf knappen, Aufmerksamkeit erregenden Formulierungen beruht — die einst so beliebten Bilderlplakate treten demgegenüber, ganz im Einklang mit dem, was heute in der Werbung international üblich ist, in den Hintergrund.

Die erste Tat der Agentur GGK war es, zu ermitteln, ob die ausführlichen Spielpläne an den Plakatwänden überhaupt eine Funktion haben — eine Umfrage ergab, daß sich rund 80 Prozent der Theaterbesucher nicht mittels Spielplanplakat, sondern aus der Tageszeitung informieren. Das Spielplanplakat wurde abgeschafft.

Die Ingredienzien der neuen Basler Theaterwerbung: Papier, Hirn und ein paar Worte. So wurde für die Ankündigung vor Beginn der Spielzeit der alte, längst in die Alltagssprache übergegangene Kinoslogan „Demnächst in diesem Theater“ für selbiges heimgeholt und für Shakespeare die Form einer werblichen „Bekanntmachung: Die Basler Theater spielen jetzt was Ihr wollt. Was ihr wollt. Von William Shakespeare“ gewählt.

Da bekanntlich auch Wien eine Theaterkrise hat, sollten aus den Basler Erfahrungen hierzulande Nutzanwendungen gezogen werden. Eine Umfrage in den Bundestheatern, wie sie gegenwärtig stattfindet, in der zwar gefragt wird, wie einem der Abend gefallen habe, aber nicht einmal eine Differenzierung nach Stück und Aufführung vorgesehen ist, wird freilich wenig weiterhelfen. Es steht zu hoffen, daß die zuständigen Stellen in Wien sich nicht bereits durch das Ansinnen, Sinn oder Unsinn unseres traditionellen Spielplanplakates zu überdenken oder vielleicht gar zu testen, überfordert fühlen.

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