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Was tut das Theater für die Kinder?

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Auf den Spielplänen der großen Wiener Theater ist, abgesehen von einer bestimmten Anzahl von Nachmittagsvorstellungen für das Theater der Jugend, keine Veranstaltung zu finden, die den Kindern gewidmet ist. Es ist dies ein großes Versäumnis, und es scheint mir an der Zeit, sich über die Folgen dieses Versäumnisses ernsthaft Gedanken zu machen. Die Kinder von heute sind unser Publikum von morgen.

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Auf den Spielplänen der großen Wiener Theater ist, abgesehen von einer bestimmten Anzahl von Nachmittagsvorstellungen für das Theater der Jugend, keine Veranstaltung zu finden, die den Kindern gewidmet ist. Es ist dies ein großes Versäumnis, und es scheint mir an der Zeit, sich über die Folgen dieses Versäumnisses ernsthaft Gedanken zu machen. Die Kinder von heute sind unser Publikum von morgen.

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Aber werden sie auch ein gutes Publikum sein, wie wir Schauspieler es uns wünschen? Ein Publikum, das wach, aufmerksam, unterscheidungsfähig ist, das schnell und klug reagiert, mit einem Wort das „mitgeht“? Leider gehört heute das geistig träge, nur auf grobe Reize reagierende, das nicht differenzierende Publikum zum Theater- Alltag. Die wechselseitige Anregung, Aufregung und die daraus resultierende Leistungssteigerung, sowohl beim Darbietenden als auch beim Aufnehmenden, bilden die Voraussetzung eines guten Theaterabends; daß dieses „Theaterfest“, das glückhafte sich gegenseitige „Erkennen“ so oft ausbleibt, ist die Schuld des Schauspielers beziehungsweise dessen Theaters: Wir haben das Publikum, das wir verdienen!

Man sollte sich hüten, den jahrelangen guten oder schlechten Einfluß von der Bühne herab auf Geist und Geschmack der Zuhörer und Zuschauer zu unterschätzen. Das Phänomen der Wirksamkeit einer „Ansprache vom Podest“ ist so alt wie die Menschheitsgeschichte. Die „Güte“ des Publikums wird durch die Qualität des Gebotenen bestimmt. Seien wir ehrlich: zu geistigen und künstlerischen „Höhenflügen“ haben wir unser Wiener Publikum in den letzten Jahren sehr selten getragen. Aber klagen wir nicht: was vorbei ist, ist vorbei, und nützen wir diese Erkenntnis und vor allem dieses Podium, um die Kinder, unser Publikum von morgen, zu Theaterbesuchern mit Qualitätsgefühl zu erziehen. Autor, Schauspieler und Publikum: diese drei Faktoren sind Voraussetzung, daß ein Vorhang überhaupt hochgehen kann. Pflegen wir uns also gegenseitig! Versuchen wir, durch entsprechende Darbietungen den Geist der Kinder zu schärfen, ihren Geschmack zu bilden, ihr kritisches und differenzierendes Denken zu fördern, auf daß diese einmal selbständig beurteilen können, was gut und was schlecht an einer Theateraufführung ist.

Der erste Schritt dahin wäre, darüber nachzudenken, wie für Kinder, denen ein Theaterbesuch ermöglicht wird, diese erste Begegnung zu einer gelungenen und glücklichen werden kann. Es ist sicher, daß für Kinder der erste Theaterbesuch einen bleibenden — positiven oder negativen — Eindruck, der für die Zukunft richtunggebend sein kann, hinterläßt.

Ein erster Vorschlag wäre, den in anderen Theaterstädten geübten Brauch auch bei uns wiederaufzunehmen, und zur Advent- und Weihnachtszeit ein Märchen für die Jüngsten zu inszenieren. Ich meine damit nicht eine beiläufige Aufführung von „Peter- chens Mondfahrt“ oder „Schneewittchen“. Ganz besonderes Gewicht sollte auf Niveau, Art und Form dieser Darbietung gelegt werden, damit das Kind von heute in einer Weise angesprochen wird, die wegführt von den ohnehin allabendlich durch Radio und Fernsehen ins Haus gelieferten Gute-Nacht- und Sandmännchen- Unterhaltungen.

Von einer klassischen Märchenvorlage ausgehend, könnten die vielfältigen neuen und wohlaus- probierten Darstellungsformen, unterstützt durch Musik, Licht,

Farben, Tanz und Gesang zu einem Ganzen gefügt werden. Voraussetzung für das Gelingen einer solchen Vorlage sind zwei Dinge: ein erstklassiger Autor und ein ausgezeichneter Regisseur. Sicher wäre ein phantasiebegabter Autor zu finden, welcher an einer solchen Aufgabe Freude hätte. Auch in Wien! Ein mittelmäßiger Regisseur, wie er üblicherweise für Märchenaufführungen eingesetzt wird, wäre das Ende dieses schönen Traumes. Man stelle sich eine Märcheninszenierung von Zeffirelli vor. Welch eine Freude für jung und alt!

Es scheint mir zu der unbedingten Pflicht der Wiener Theater zu gehören, sich um das Geistes- und Geschmacksniveau der jungen Generation zu kümmern. Es sollte eine ihrer Aufgaben sein, die Jugend von den immer banaler und oberflächlicher werdenden Unterhaltungseinflüssen des Fernsehens, der Illustrierten und Comic-strjp- Literatur wegzuführen. Zurückzuführen zu einer Unterhaltung, die ihre ohnehin spärlich und einseitig genährte Phantasie neu anregt. Ihre Neugierde und Auf- nahmebereitschaft zu wecken für die schönen und unveräußerlich bleibenden Werte ihres Lebens. Die intakte, blühende Phantasie eines Kindes, niemals durch materielle Grenzen beengt, ist zudem die beste Waffe gegen Gefahren der Langeweile, Überdrüssigkeit und Geistesträgheit, die Folge der Versäumnisse sind, die wir in der Vergangenheit auf dem Gewissen haben. Versuchen wir doch, in der Zukunft anders zu handeln, und fangen wir damit bei den Kleinsten an.

PS DER REDAKTION: Autoren, denen wir Zutrauen, ein gutes Stück für Kinder schreiben zu können, sind etwa Peter von Tramin, Peter Marginter, Richard Bietschacher, György Sebestyen übrigens alles glückliche Kindesväter). Es gibt aber auch Schriftstellerinnen, die dieses Genre vielleicht reizen könnte, zum Beispiel Jeannie Ebner, Christine Busta, Vera Ferra-Mikura und Barbara Frischmuth, um nur einige zu nennen.

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