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Was die Fachleute meinen

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DER BUND DER THEATERGEMEINDEN, eine Organisation christlicher Prägung, die ihren Sitz in Bonn hat, veranstaltet jedes Jahr in einer anderen Stadt eine Tagung, bei der in Referaten und Diskussionen ein bestimmtes Thema behandelt wird. Heuer fand die Tagung in Würzburg, im ehemaligen Gesandtenbau der Residenz, statt. Das Thema war provokativ gestellt, es lautete: „Abschied vom christlichen Theater?“ Die Frage zwingt sich in einer Zeit auf, da in der Kirche Erneuerungsbestrebungen sichtbar werden, da sich vollends in den Gestaltungsprinzipien der Dramatik ein erstaunlicher Bruch vollzogen hat, der sich in vielen Stücken auswirkt.

NUN BESTEHT DIE GEFAHR bei Tagungen darin, im Allgemeinen, im Theoretischen hängen zu bleiben. Das schien zunächst auch diesmal der Fall zu sein. Da anfangs erörtert wurde, wie sich das Auch-Christliche vom Essentiell-Christlichen scheiden lasse, mochte der Eindruck entstehen, als untersuche man ein im Hinblick auf das Theater müßiges theologisches Problem. Das ist es aber keineswegs, denn es mußte bei der Beantwortung von vornherein jedwede Dramatik ausgeschieden werden, die auch von anderen Weltanschauungen für sich reklamiert werden kann. Vor allem gilt dies für ethische Postulate, die etwa das Ordnungsgefüge eines Stückes bilden. Doch zeigte es sich, daß das Essentiell-Christliche bei der Vielzahl christlicher Glaubensformen nicht scharf abgegrenzt werden konnte, obwohl als Kriterien von Christus als Gottessohn und von einem persönlichen Du-Verhältnis zu Gott gesprochen wurde. Keinesfalls sind etwa Gestalten wie die Grusche im „Kaukasischen Kreide-kreis“ von Brecht oder die stumme Katrin in der „Mutter Courage“ als christlich zu bezeichnen.

FASST MAN CHRISTLICHES THEATER als ein Theater christlicher Stoffe auf, wie dies Dr. Joachim Kramarz, Berlin, in seinem Referat „Die Sache mit dem christlichen Theater“ formulierte, gehören hierzu die Passion Christi und Heiligenlegenden. Die Mysterienspiele wertete er ab, sie bilden, meinte er, einen Ubergang von der Liturgie zum Requisit. Christliche Tragik aber sei nicht möglich, da das Ausweglose fehle, denn jedem, der sich als Christ bekenne, bleibe die Hoffnung. Man könnte hinzufügen, daß Stücke von Rang der letzten Jahrzehnte, die man als christlich zu bezeichnen gewohnt ist — Claudels „Seidener Schuh“, „Mord im Dom“ von Eliot, „Die begnadete Angst“ von Bemanos — einer Zeit angehören, da in der Kirche noch wenig Erneuerungsimpulse aufsprangen, sie also nicht mehr voll unserer heutigen Situation entsprechen. Die Initialzündung für neue Stücke muß aber stets von einem Gegenwartsproblem ausgehen, selbst in der Verkleidung der Historie. Was den Menschen unmittelbar angeht, übt die stärkste Wirkung auch von der Bühne aus.

DIESE GENERELLEN FESTSTELLUNGEN schienen die Möglichkeit einer Erneuerung christlicher Dramatik weitgehend zu negieren. Doch ist die gestellte Frage solcherart allgemein wohl gar nicht zu beantworten. Die Voraussetzung, daß sich Probleme und Stoffe für den Dramatiker anbieten, ist das Vorhandensein von Gegensätzen, für die ein persönlicher Einsatz welcher Art immer geleistet wird. Solche Gegensätze sind aber besonders in letzter Zeit aufgebrochen, seit die Kirche durch das Konzil sowie durch die Enzykliken des Papstes in so vielen Fragen ihren statischen Zustand verlassen hat, dynamisch wurde, seit — schon vordem — in weiten Teilen der Erde der Atheismus staatlich gefördert wird. Es mußte nun Aufgabe der Tagung sein, in diesen Bereichen allergische Stellen aufzuzeigen, die dem Dramatiker Ansatzmöglichkeiten bieten können. Auch ohne Bühnenautor zu sein, läßt sich sagen, wo es heute in diesem Sinn keimkräftige Themen gibt. Sind sie in entsprechender Zahl aufzuweisen, beantwortet sich die Frage „Abschied vom christlichen Theater?“ von selbst. Darüber hätte man so konkret als möglich sprechen müssen. Das war aber keineswegs der Fall. Nur Dr. Demier, Freistadt, verwies auf katholische Postulate wie der Zölibat, die Unauflösbarkeit der Ehe, als Vorwürfe. Daß mit dem Aufzeigen keimkräftiger Themenbereiche nicht auch schon das faktische Erstehen solcher Bühnendichtung gewährleistet wäre, versteht sich von selbst, doch ließe sich die Möglichkeit hierfür nicht mehr negieren.

DER DIPLOMPSYCHOLOGE ALOIS SCHARDT, München, stellte in seinem Referat „Christliche Wahrheit und gesellschaftliche Wirklichkeit“ fest, daß die Kirche die Welt heute nicht mehr filtere, sie schweige zu vielen Problemen, wodurch sich der einzelne, statt Teilnehmer zu sein, in den Intimbereich zurückziehe. Vielleicht ist er aber gerade dadurch, daß er mehr als früher auf die eigene Gewissensentscheidung gestellt ist — sofern er das Gewissen nicht erstickt —, für den Dramatiker ergiebiger. Um solche Probleme zu diskutieren, wäre die Teilnahme von Dramatikern bei der Tagung durchaus erwünscht gewesen. Diese Teilnahme hätte in besonders günstigen Fällen aus der Diskussion heraus vielleicht auch Rückwirkungen auf ihr Schaffen hervorrufen können.

DIE FRAGE NACH DEM PUBLIKUM — für wen man eigentlich spiele —, wurde zwar aufgebrochen, aber nicht durchgesprochen. Soll christliches Theater nur auf den gläubigen Christen oder soll es auch auf den Indifferenten, den Glaubenslosen, den Materialisten, den Atheisten wirken? Das Theater zur Zeit Calderons hatte ausgeprägt katholische Zuschauer als Publikum. DU war für christliche Themen — man denke an die Autos — eine Empfangsbereitschaft vorhanden, die es heute allgemein nicht mehr gibt. Ein Getto-Theater kann aber keineswegs im Sinn der Christen liegen. Betrachtet man die Gesamtsituation der heutigen Menschheit, so läßt sich eine materialistische Einstellung weit über den Bereich der marxistischen Staaten hinaus feststellen, der Konsumations- und Massenmensch kennzeichnet den seelischen Tiefstand unserer Zeit, seine Entfremdung zu überwinden, in ihm die inneren Quellen zu wecken, das ist die drängendste Aufgabe. Das aber vermag ein generell religiöses Theater viel eher als ein essentiell-christliches. In diesem Sinn waren wohl auch die Ausführungen von Kramarz aufzufassen. Wenn in der Diskussion gesagt wurde, der Theaterbesuch sei ein gesellschaftliches Erlebnis, ein Gemeinschaftserlebnis, so ist das zweifellos richtig, es geht aber bei diesem Erlebnis entscheidend noch um Tieferreichendes, um den Nachvollzug. In ihm kann zeitnahes religiöses Theater auch im Areligiösen den Aufbruch eines religiösen Erlebnisses erreichen.

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