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Problematik und Grundlagen eines christlichen Theaters

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Die Entwicklung, die die Kunst unserer Tage nimmt, weist heute schon deutlich erkennbare Bezüge zum Kultischen auf; es vollzieht sich also eine Wandlung aus den Krisen der letzten Jahrzehnte zum Religiösen hin, und dies auf dem gesamten Gebiet der Kunst, sowohl in der Form wie auch in der Themenwahl. Von hier aus ergibt sich die Möglichkeit eines christlichen Theaters, dessen Aufgabe es ist, diese schwebenden Tendenzen aus anonymen Ansätzen in christliche Bahnen zu lenken. Das Theater begibt sich dabei — so seltsam es klingen mag — auf Neuland, denn was seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis etwa zum ersten Weltkrieg an christlicher Dramatik entstanden ist, kann nur sehr bedingt, selbst wo es sich um christliche Themen handelt, als christliches Theater angesprochen werden; dies liegt teils an der Behandlung der Themen, teils an fehlender innerer, christlicher Wahrhaftigkeit. Die Möglichkeiten des christlichen Theaters sind nun weit größere, als gemeinhin angenommen wird, und seine Reichweite ist verblüffend.

Für die Gestaltung dieses Theaters erscheint gleich wichtig das richtig gewählte Stüde und die ihm entsprechende Aufführung. Die Stücke wieder, die diese Möglichkeit in sich tragen, können wir in drei Gruppen zusammenfassen: Stücke mit offenem, verdecktem und unbeabsichtigtem christlichen Gehalt. Die erste Gruppe ist die einfachste, die Tendenz ihrer Stücke liegt — aufdringlich oder dezent — klar vor; als Beispiel seien Emmet Laverys „Erste Legion“ und „Monsignores große Stunde" erwähnt. Die zweite Gruppe, Stücke mit verdecktem Gehalt, ist nicht sofort erkennbar und ihr Gehalt kann auch durch nichtentsprechende theatralische Darstellung (Inszenierung und Spiel) völlig verdeckt bleiben. So ist es zum Beispiel nicht leicht, den christlichen Gehalt der „Mittagswende“ von Paul Claudel herauszufinden, noch schwerer, ihn auf der Bühne sichtbar werden zu lassen. Dieser christliche Gehalt findet sich bei allen Dramatikern, die sich als Menschen um Christsein bemüht haben, er findet sich stark bei Grillparzer (der Schluß der „Medea“ ist unantik und ausgesprochen christlich) bis herauf zu Georg Kaiser und Thornton Wilder. So gibt es weit mehr christliche Dramatiker, als allgemein angenommen wird. Freilich darf man dabei nicht in den Fehler verfallen, alles Anonyme, nicht Unchristliche schon in den Bereich des christlichen Theaters zu stellen. Daß die zweite Gruppe, Stücke mit verdecktem christlichem Gehalt, weit größer ist als diejenige mit offener „Tendenz", erklärt sich aus der Tatsache, daß Stücke der ersten Gruppe der Gefahr der bloßen Tendenz ohne tiefkörnigen Gehalt selten aus dem Wege gehen und oft primär Tendenz und nur wenig inneren Gehalt aufweisen. (In der ersten Gruppe überwiegen denn auch die Schriftsteller und Stückeschreiber weit gegenüber den Dichtern, die stets eine Scheu vor jeder Art der Etikettierung haben.) Zur Klarstellung ist es also notwendig, bei Stücken der ersten Gruppe (offener Gehalt) genau zwischen billiger, weil zu sehr beabsichtigter Tendenz und echtem Gehalt zu unterscheiden, bei Stücken der zweiten Gruppe (verdeckter Gehalt) über das nicht Unmoralische und nicht Unchristliche hinaus den positiv christlichen Gehalt herauszuspüren (Th. Wilders „Die kleine Stadt").

Die Zurechnung zur dritten Gruppe — Stücke mit unbeabsichtigt christlichem Gebalt — ist die gefahrvollste, denn sie verleitet zu unrealen und allzu subjektiven Spekulationen und Tendenzunterschiebungen. Dennoch ist dieser unbeabsichtigte, immanent christliche Gehalt in jeder Epoche unserer Kultur zu finden, von Shakespeare („Hamlet", „König Richard der Zweite") bis herauf zu den Dramatikern der Modem .

Georg Kaiser etwa — abgesehen von seinem Christusstück „Noli me tangere“ — kommt in „Gas“ zu einem Menschenbild, das nur aus seiner Verankerung im Metaphysischen erfaßt werden kann. Die Zahl der Beispiele ließe sich beliebig vergrößern.

Der weit schwierigere Teil der Arbeit, die Möglichkeiten des christlichen Theaters auszuschöpfen, liegt in der Darstellung. Hier stecken die christlichen Elemente noch sehr in den Anfängen, sie sind nicht von vorne- herein gegeben, und sie-auszuformen, ist noch wenig versudft worden. Am weitesten ist die Bühnenbildgestaltung fortgeschritten, wenngleich hier häufig die Gefahr eines unpräzisen Symbolismus auftaucht. (Die Bühnenbilder zu Wilders „Wir sind noch einmal davongekommen“ ließen das bei vielen präzisen und wirklich transparenten Stellen offenbar werden.) Wie in der Literatur, so ist auch im Bühnenbild der Symbolismus überholt und steht im Begriffe, von einem Realismus abgelöst zu werden, der, mehr noch als das Symbol, unnaturalistisch ist; es wurde nämlich endlich erkannt, daß die Realität weit mehr Transzendentes sichtbar machen kann, wenn sie richtig, das heißt ihrem Seinsgehalt entsprechend, dargestellt und eingesetzt wird, als das Symbol. Der Film hat diesen Weg bereits erfolgreich beschritten („Der Gehetzte“, teilweise „Wozzek“), aber auch auf der Bühne sind bedeutende Ansätze vorhanden (Bild der Wachau in Horvaths „G’schichten aus dem Wienerwald“, Kostüme zu Claudels „Verkündigung"). Demgegenüber fällt die Regie oft noch stark zurück. Ein interessantes Beispiel: In Hofmannsthals „Der Turm" (Burgtheater, Frühjahr 1948) hat die Regie den starken christlichen Gehalt des Stückes fast ganz verdeckt gelassen. Dieser Sigismund ist ein Mensch auf dem Wege der Heiligkeit, der fehlt, indem er rein weltliche und darüber hinaus gottfeindliche Mittel anwendet, um seine Mission zu erfüllen; die Regie aber stellte ihn als Revolutionär dar, der fehlt, weil er, zur Macht gekommen, die gleichen verwerflichen Mittel seiner Vorgänger benutzt ... Hier haben wir einen typischen Fall vor uns, wie der im Zentrum des Kunstwerkes stehende, verdeckte christliche Gehalt durch nicht entsprechende Darstellung verdeckt bleibt und so dem Stück seinen wesentlichen Sinn nimmt.

Die schauspielerische Darstellung liegt am weitesten zurück. Der Grund dürfte zum Teil an einer Schauspielergeneration liegen, die noch nicht befähigt ist, christliche Essenz mit der Existenz des Schauspielers zu verbinden, zum Teil liegt es an den Regisseuren, die noch keine Wege, Möglichkeiten und darstellerische Mittel für diese Verbindung gefunden haben. Hier ergibt sich für den Bühnenkünstler noch ein reiches Arbeitsfeld.

Die Möglichkeiten des christlichen Theaters sind also weit größere, als bisher erkannt oder auch nur zugegeben, geschweige denn realisiert werden. Freilich müssen alle Versuche, wie die vorliegenden tristen Exempel zeigen, scheitern und im Äußerlichen st ckenbleiben, wenn sie nicht von der Realität eines christlichen Lebens und damit eines christlichen Künstlertums getragen werden. Man glaube nicht, daß mit dieser Forderung der Künstler in seiner Schaffensfreiheit beschränkt, gelenkt oder etikettiert werde. Jedes echte künstlerische Schaffen entspringt der Kraft einer Persönlichkeit und wächst mit dieser und nur mit dieser — ein christliches Theater ist also nur denkbar, wenn es geführt urid getragen wird von christlichen Regisseuren, Bühnenbildnern und Schauspielern.

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