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Christliches Drama heute?

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Vor einigen Jahren stand eine Tagung der bundesdeutschen Theatergemeinden unter der provokati-ven Fragestellung „Abschied vom christlichen Theater?“. Die Vorträge und Diskussionen zeigten, daß man heute kaum noch von einem christlichen Theater sprechen kann. Nimmt man hinzu, daß kürzlich ein junger argentinischer Regisseur in Frankfurt aus dem Schauspiel „Das Leben ein Traum“ des katholischen Dichters Calderön den Katholizismus „herausoperierte“, wie es in einer Besprechung hieß, so drängt sich tatsächlich die Frage auf, wie die Situation des Christlichen, des Religiösen in der heutigen Dramatik zu beurteilen ist.

Da kommt ein Buch von Heinz Gerstinger, dem Chefdramaturgen des Wiener Volkstheaters, zurecht, das unter dem Titel „Theater und Religion heute“ seine Vorträge und Aufsätze über dieses Thema aus der Zeit zwischen 1955 und 1970 zusammenfaßt. Dabei fällt auf, daß Gerstinger noch Mitte der fünfziger Jahre berechtigt von einer immer stärkeren Durchdringung der Kunst mit religiösem Gehalt spricht, wobei er auf die Stücke von Claudel, Eliot,

Bernanos, Wilder, Marcel bis Fry verweist, von denen manche erhebliche Aufführungsserien erreichten. Man konnte damals — Gerstinger zitiert Ernst Jünger — durch den Vorstoß in metaphysische Bereiche den Anfang eines neuen religiösen Zeitalters ankündigen. In späteren Aufsätzen aber stellte er fest, daß diese Stücke auf fast keinem Spielplan mehr zu finden waren.

Gerstinger wendet sich gegen das idealistische, moralistische Theater von gestern, gegen religiöse Pathe-tik, gegen hymnische Dramatik von erbaulicher Wirkung, gegen szenische Lobgesänge. Er erklärt, daß die Werke von Brecht, Sartre, Camus, Ionesco, für das Christentum wesentlicher seien als die dramatischen Schöpfungen konservativ protestantischer oder katholischer Autoren. Brechts „Kaukasischen Kreidekreis“ hält er für christlicher als den Salzburger „Jedermann“, gegen den immer wieder berechtigte Einwände aus ethischer Sicht erhoben werden.

Die Unzulänglichkeiten des Menschen bezeichnet Gerstinger als die Einfallstore des Göttlichen. Es sei nicht der Heilige, sondern der sündhafte Mensch vorzuführen, es sei der uralte christliche Weg der tiefsten Not und Verzweiflung aufzuzeigen, es bedürfe der rücksichtslosen Konfrontation mit dem Schrecken. Ja, er spricht das gewagte Wort aus, das Absurde müsse als Wille Gottes erkannt werden. So nur könne die Akzeption den Menschen wieder vor seiner Vereinsamung im Kollektivdasein retten.

Nun leben wir in einer Zeit hypertropher Rationalität, wodurch der innere Mensch mehr und mehr verschüttet wurde. In der Philosophie hat man den Begriff Entfremdung geprägt, es wäre also vom Gefühl her eine Verbindung mit den Mächtigen außerhalb uns selbst spürbar zu machen. Aber die Skepsis gegen alles Gefühl im Gefolge der Massenpsychosen faschistischer und kommunistischer Art läßt Gerstinger doch ein Aufrütteln im Bereich des Intellekts als erstrebenswert erscheinen. Er fragt aber auch nach der Bedeutung, die der Flucht in Rauschzustände durch Musik, Sex und Hasch bei Hippie-Veranstaltungen zukommt, da sich der Rausch in vielen Religionen dem Kultischen zuordnet. Doch sind die Veranstaltungen der Hippies nach Gerstinger Kulte ohne Gott, allenfalls zeige sich in dieser Flucht eine neue Form der Gottsuche. Dann freilich, muß man wohl hinzufügen, eine den jungen Menschen selbst noch nicht bewußte.

In dieser Situation kann am Ende der „Aspekte“ — es kommen noch „Profile“ einzelner christlicher Dramatiker hinzu — nur die Frage bleiben, ob dies Zeichen des Untergangs oder des Aufgangs sind, ob sich aus diesen Seelenzuständen als Ansatz wieder religiöses Theater zu entwik-keln vermag. Berechtigterweise erklärt Gerstinger, Kunst setze Religion voraus. Nichts anderes meinte übrigens Schiller noch vor Hegel, als er sagte, der letzte Zweck der Kunst sei die Darstellung des Übersinnlichen.

THEATER UND RELIGION HEUTE. Von Heinz Gerstinger. Bergland-Verlag, Wien, Band 2 der österreichreihe „Im Spektrum“. 200 Seiten, S 65.—.

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