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EINE NEUE KUNST-FORM?

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Als — vor gar nicht allzulanger Zeit — das Kino zu einer alle Bevölkerungsschichten ansprechenden Einrichtung zu werden begann, wurde oft genug prophezeit, daß damit das Ende des Theaters gekommen sei. Die Entwicklung hat diese Prophezeiungen widerlegt. Es war zu erwarten (und ist auch eingetreten), daß ähnliche Befürchtungen — und zwar bezüglich der Lebensfähigkeit des Theaters und des Kinos —, laut würden, als das Fernsehen in den Blickpunkt der Allgemeinheit rückte. Es bedarf kaum mehr eines Analogschlusses, daß auch diese Voraussagen daneben gehen; die Entwicklung zeichnet sich hier schon deutlich genug ab.

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Was den Film betrifft, so wird derzeit zwar sehr häufig das Wort „Krise“ gebraucht, und die Ursachen für diese Krise werden zum Teil beim Fernsehen gesucht; man wird aber gut daran tun, die Dinge von einem höheren Blickpunkt aus zu betrachten, wobei man von den Krisenursachen, die der Film selbst schafft, ruhig absehen kann.

Es steht außer Zweifel, daß heute viele Menschen weniger ins Kino gehen als früher und dafür viele Stunden vor dem Fernsehapparat verbringen, wozu ihnen noch vor wenigen Jahren überhaupt die Möglichkeit fehlte. Diese beiden Tatsachen stehen aber nur sehr bedingt in einem ursächlichen Zusammenhang miteinander; sie sind vielmehr nur zwei von den vielen Erscheinungen, durch die jene gewaltige Umwälzung ihren Ausdruck findet, die sich auf dem Gebiet der Freizeit und der Freizeitgestaltung angebahnt hat.

Daß die Vermehrung der durchschnittlich zur Verfügung stehenden Freizeit mit einer Vergrößerung des Angebots an „Freizeitverbrauchern“ einigermaßen parallel geht, ist eine in der allgemeinen Entwicklung selbst begründete und auch durchaus notwendige Erscheinung. Daß heute dem einzelnen mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen, seine Freizeit auszufüllen, oder besser gesagt zu verbrauchen, als die ohnehin stetig ansteigende Freizeit zuläßt, entspricht dem ständigen Wechselspiel jeder Entwicklung. Wenn sich heute dem einzelnen so viele neue Wege zur Freizeitgestaltung anbieten (man denke nur an die Motorisierung, an Camping, Fernsehen, Photographieren usw.), so ist es doch naheliegend, daß der Bedarf an den früher allein zur Verfügung stehenden „Freizeitverbrauchern“ zurückgeht.

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So gesehen, scheint das Fernsehen in mancher Beziehung dem Theater näher zu stehen als dem Film. Und es ist sicher kein Zufall, daß Kinofilme sehr selten, Theaterübertragungen aber in den allermeisten Fällen auf dem Bildschirm zu entsprechender Wirkung kommen.

Eine Betrachtung der Wechselbeziehungen zwischen Theater und Fernsehen kann von zwei grundlegend verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen: Der eine basiert auf den Eigenschaften des Fernsehens als Übertragungsmittel und Informationsmedium. Man macht sich selten eine rechte Vorstellung davon, in welchem Maße das Fernsehen bis jetzt schon zur Verbreitung der Kenntnis der klassischen und modernen Bühnenliteratur beigetragen hat. Das betrifft sowohl den literarisch Ambitionierten als auch weite Teile jener Schichten, die dem Theater früher überhaupt fernstanden und nun nolens volens mit ihm konfrontiert werden.

So ist mit Rücksicht auf die große Zahl der Zuschauer, die vom Fernsehen erfaßt wird, eigentlich zu erwarten — zum Teil wurde es bereits nachgewiesen —, daß auf diese Weise gerade durch das Frensehen auch das Interesse am Theater wächst und damit der Theaterbesuch insgesamt zunimmt.

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Der zweite Gesichtspunkt geht von der Tatsache aus, daß das Fernsehen auf dem Gebiet der darstellenden Kunst eine eigenständige Form hervorgebracht hat, deren Entwicklung zweifellos erst am Anfang steht: das Fernsehspiel.

Hier kann das Fernsehen eine neue Literaturgattung schaffen

und unter Ausnützung seiner ihm eigenen Mittel eine eigene darstellerische Form entwickeln, die den Zuschauer in einer ähnlichen Sphäre anspricht wie das Theater; Beweise dafür hat es schon erbracht. Hier erwächst dem Theater eine echte Konkurrenz. Daß dadurch das Theater vielleicht veranlaßt wird, sich auf sein ureigenstes Wesen und die diesem Wesen entsprechenden Möglichkeiten wesentlich stärker zu besinnen als bisher, kann durchaus als Vorteil gewertet werden.

Wo die jeweils eigenen spezifischen Möglichkeiten und Aufgaben von Theater und Fernsehen liegen, wird von beiden Seiten noch näher zu untersuchen sein. (Daß die Gestaltungsund Stilmittel des Fernsehens, wie auch die des Films, einen deutlichen Einfluß auf das Theater haben, ist längst bekannt.) Alle Aspekte aufzuzeigen, ist hier nicht der Platz. Nur wenige können angedeutet werden.

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Auf den persönlichen Kontakt zwischen Schauspieler und Zuschauer beim Theater und den Vorteil der Bequemlichkeit für den Zuschauer beim Fernsehen wie auf den Unterschied zwischen Massen- und Einzelerlebnis wurde schon oft genug hingewiesen. Beim Fernsehen zeichnen sich aber zwei weitere spezifische Entwicklungstendenzen ab, die geeignet sind, seine konkurrenzierende Position dem Theater gegenüber zu betonen.

Einmal ist es das Fernsehen — und das scheint in seinem Wesen begründet —, das sich in stärkerem Maße mit dem Menschen unserer Zeit und mit seinen Alltagsproblemen und -sorgen in realster Foim befaßt. Zum anderen hat das Fernsehen die Möglichkeit einer typenmäßigen Idealbesetzung, wie sie eine Bühne kaum jemals haben kann. Und gerade von dieser Möglichkeit hat das Fernsehen schon bisher ausgiebig und mit großem Erfolg Gebrauch gemacht.

Konsequenzen liegen auf der Hand. Aber auch wenn Theater und Fernsehen ihre Bereiche gegeneinander abgrenzen, oder vielleicht gerade dann, wird eine zunehmende gegenseitige Befruchtung eintreten zum Wohle beider und als Gewinn für den Zuschauer, der das Erleben vor dem Bildschirm und das vor der Bühne in seiner jeweils ganz spezifischen Eigenart schätzen wird.

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