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HILFT DAS BILD DER DICHTUNG?

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Schon zu einer Zeit, da die Dramaturgie des Films in den gleichen Kinderschuhen steckte wie heute das entsprechende Forschungsbemühen um das Massenmedium „Fernsehen“, waren mutige Regisseure und Produzenten darangegangen, Werke klassischer, aber auch zeitgenössischer Dramatik in die Bildsprache des Films zu übersetzen. So entstand im Jahre 1920 auf deutschem Boden einer der ersten „Hamlet“-Filme, für dessen Inszenierung man sich des aus dem skandinavischen Norden kommenden Regisseurs Sven Gade versicherte. Und es zieht sich über Moliėres „Tartuffe“, den Friedrich Wilhelm Murnau 1925 ebenfalls in Deutschland formte, über Zuckmayers „Schinderhannes“ in der filmischen Version von Kurt Bernhardt bis zu der 1957 erfolgten Verfilmung von Maxim Gorkis „Nachtasyl“ durch den Japaner Akira Kurosawa eine ununterbrochene Kette von Versuchen, die siebente Kunst aus dem bewährten und erprobten Vorbild der Literatur heraus zu befruchten, ja vielleicht sogar zu veredeln. Gerade jetzt erlebten wir anläßlich des Silbernen Jubiläums der Filmfestspiele in Venedig das von starker poetischer Inspiration durchsetzte Unterfangen des Russen Grigori Kozintsev, den „Hamlet“ Shakespeares aus der Sicht des heutigen Menschen zu erleben.

Das Fernsehen hat nun eigentlich ohne genaue Kenntnis der in ihm schlummernden Wirkungsprinzipien den gleichen Weg eingeschlagen. Ein Weg, der sich aber hier in zwei Varianten manifestiert. Denn neben dem im eigenen Studio und nach den mehr instinktiv als geistig erfaßten Gesetzen geformten Fernsehspiel, steht die direkte Übernahme dichterisch-dramatischer Werke aus dem Theater. Für die letzteren Sendungen vermag das Fernsehen nur die notwendige technische Perfektion und Präzision sowie die entsprechende Bildwahl nach künstlerisch-optischen Gesichtspunkten beizusteuern. Die Ingerenz auf Aussage und Formung bleibt ihm dabei versagt. Hier ist das Fernsehen mehr oder weniger nur automatischer Vermittler dessen, was eigentlich für eine ganz andere Sphäre und andere Voraussetzungen, nämlich für die des Theaters und der Bünne, erdacht worden ist.

Wer einmal der Vorbereitung und Durchführung einer iolchen Fernsehübertragung aus dem Theater beigewohnt hat, für den ist die Problematik solcher Veranstaltungen schnell ersichtlich. Zumeist beginnt sie mit der Lichtführung. Aus stimulierenden Gründen und auch zur optischen Unterstreichung der dichterischen Aussage läßt der Theaterregisseur die Spielfläche in magisches Dunkel hüllen. Was das Auge des Zuschauers trotzdem wahrzunehmen vermag, ist der Optik der Fernsehkamera nicht so ohne weiteres „sichtbar“. Oft sind hier Aufhellungen durch Scheinwerfer notwendig, deren Effekt die Absichten des Theaterregisseurs wesentlich umdeutet. Man muß sich jedoch zu solchen Not- und Zwischenlösungen entschließen, denn es ist dem Fern seher nicht zuzumuten, daß er anderseits eine Szene lang vor einem fast dunklen Bildschirm hockt, auf dem sich nur schemenhafte Umrisse bewegen.

Zum anderen sind das Wort und seine Nuancierungen wesentlicher Bestandteil einer Dichtung, ohne die sie nicht leben kann. Das Fernsehen aber bezieht im Urgründe eine Berechtigung einzig und allein aus der bildmäßigen

Aufschlüsselung und Wiedergabe eines Ereignisses. Immer wieder stoßen wir auf die Feststellung, daß die aktuelle Reportage, die Live-Sendung, die es ermöglicht, hautnaher Zeuge erregender Vorgänge zu sein, mag es sich nun um die Übertragung eines olympischen Wettkampfes, den Abschuß eines Weltraumfahrers oder die Ermordung einer politischen Persönlichkeit von weltumspannender Geltung handeln, das ureigenste Element und die wirkliche Wesensart darstellen. Ist die Kluft, die sich zwischen der so um- rissenen Plattform des Fernsehens und der ihr ebenfalls zugemuteten Wiedergabe eines dichterischen Werkes auftut, nun unüberbrückbar?

In unserer immer hektischer sich gebärdenden Zeit Und ihren fortschreitenden Vermassungstendenzen, über die wir nicht hinwegkommen, ob sie uns gefallen oder nicht, wird der Mensch auch für die Ideen und Maximen, die aus dichterischen Schöpfungen quellen, um ihn und seine Anschauungen zu lenken, mit den Visionen seiner Umwelt zu konfrontieren, nur mehr durch die Vermittlung der Massenmedien ansprechbar sein. Sind nicht heute schon jene Menschen, die sich wirklich voller Ernst und Eifer in ein literarisches Werk vertiefen, mit der Laterne zu suchen? Die Mehrzahl kommt doch über die Lektüre eines Kriminalromans oder das Verschlingen illustrierter Tatsachenberichte nicht hinaus. Von hier beziehen sie ihre Anregungen und konfektionierten Neigungen.

Dagegen aber kann das Fernsehen mit seiner Gestaltung oder Übertragung dramatischer Werke aus allen Epochen sich als unschätzbares Regulativ einschalten. Auch wenn wir dessen künstlerische Grenzen und die ihm innewohnende Problematik klar erkennen. Ist es nicht besser, daß trotz augenscheinlicher Mängel der ewige Atem der Dichtung wenigstens auf diesem Wege immer wieder den Menschen entgegenweht, als daß sicher mehr als die Hälfte von ihnen nur mit Kolportage gefüttert werden?

Gerade die in diesem Jahr abgehaltene Internationale Pilmwissenschaftliche Woche ln Wien, die unter dem Motto „Dichtung in Film und Fernsehen“ stand, brachte die klare Erkenntnis, daß sie Literaturwissenschaftler von den Medien „Film“ und „Fernsehen“ so gut wie gar nichts wissen und oft nicht einmal die geringsten Beziehungen zu ihnen haben. Ganz offen bekannte der Bonner Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Grenzmann, daß „Film“ und „Fernsehen“ für ihn forschungsmäßig ein absolutes Neuland seien, von denen er jedoch den Eindruck gewonnen habe, daß er sich auch als Literaturwissenschaftler fortan mit ihnen intensiver beschäftigen müsse. So wird sich allrhählich auch die wissenschaftliche Durchleuchtung der Beziehungen zwischen

Dichtung und Fernsehen intensivieren und vielleicht zu dramaturgischen und künstlerischen Erkenntnissen führen, die geeignet sind, die jetzt noch vorhandenen Schwierigkeiten und Fehler bei der Wiedergabe dichterischer Schöpfungen zu verringern oder ganz auszumerzen. Bis dahin aber wird das Fernsehen weiterhin die große Aufgabe haben, geistige und kulturelle Schätze, die nur zu leicht Eigentum einer kleinen Schicht bleiben könnten, als Mittel einer seelischen und weltanschaulichen Entwicklung an eine größere Anzahl von Menschen heranzutragen.

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