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Vor dem Bildschirm

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ZEHN JAHRE ist das österreichische Fernsehen alt. 1955 zählte man bei Programmbeginn runde 500 Besitztr von Fernsehgeräten. Niemand dachte damals an diesen rasanten Aufschwung des Fernsehens. Selbst die Techniker waren der Überzeugung, daß Österreich noch viel mehr Fernsehsender und Relaisstationen benötigte, um den Großteil der Bevölkerung dem Sendenetz anzuschließen. Fachleute oder zumindest solche, die sich dafür ausgaben, waren selbst Ende der fünfziger Jahre der Meinung, daß mit rund 350.000 bis 400.000 Fernsehempfängern in Österreich der Sättigungsgrad erreicht wäre. Nun haben wir in der Mitte des Jahres 1965 bereits 650.000 angemeldete Fernsehgeräte, die man sicher mit zwei multiplizieren kann, wenn man ungefähr die Anzahl jener Menschen erfassen will, die täglich vor dem Bildschirm sitzen. Diese Multiplikation hat deshalb ihre Berechtigung, weil in sehr vielen Fällen oft 30 bis 40 Personen in Gaststätten bei den sogenannten öffentlichen Fernsehvorführun-gen anwesend sind...

DIE TATSACHE DER RASCHEN STEIGERUNG der Fernsehempfänger zog die eigenartigsten Ereignisse nach sich. Wir wollen nicht darüber richten, ob ein Bundesland wie Niederösterreich juristisch berechtigt sei, an Stelle des seit 1949 eingehobenen und 1964 abgeschafften Kulturgroschens nun einen Fernsehschilling einzuheben; darüber wird wohl oder übel neben der Bundesregierung der Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden haben. Hier sei so ganz am Rande vermerkt, daß das österreichische Fernsehen fast zu seinem Jubiläumstag sehr klar und eindeutig feststellte, daß nunmehr mit der Improvisation Schluß gemacht werden müsse und eine Fernsehstadt am Küniglberg zu entstehen habe. Wen?i man die Fernseheinnahmen bedenkt, ist dies nur ein billiges Verlangen. Wenn man aber überlegt, daß die Produktionsstätte der österreichischen Filmindustrie, die Wien-Film, stark unterbeschäftigt ist; daß etwa in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien und der deutschen Bundesrepublik jeweils zwischen den Ateliers und dem Fernsehen ein Arrangement getroffen wurde, das der zweiseitigen Nutzung der vorhandenen Einrichtung dient und somit eine enge Zusammenarbeit zwischen der filmischen Produktionsbasis und dem Fernsehen Rechnung getragen wurde, dann fragt man sich natürlich in Wien, ob eine Fernsehstadt am Küniglberg notwendig sei oder nicht. Immerhin kostet allein der Architektenwettbewerb 1,5 Millionen Schilling und die erste Bauphase der neuen Fernsehheimstätte 600 Millionen Schilling, während auf der anderen Seite ganz wenige Luftkilometer entfernt das große Wien-Film-Areal am Rosenhügel fast leer steht.

DIE HEURIGEN SOMMERMONATE bringen im österreichischen Fernsehen eine Reihe sehr attraktiver Wiederholungen. Damit ist natürlich keineswegs gesagt, daß das Fernsehen zu einem Repertoiretheater wird. Immerhin aber ' soA<- frntr mVß festgestellt werden, daß viele der Wiederholungssendungen dem Publikum weit mehr zu bieten haben als blind eingekaufte .Spielfilme oder Aufzeichnungen von Fernsehspielen. Die neuen Fernsehteilnehmer werden sich gerne anschauen, was man vor einigen Jahren gedreht hat, und die eingefleischten Bildschirmhocker haben gerade bei Wiederholungssendungen die Möglichkeit, entweder ihre Freizeit anders zu verbringen oder bei einer Zweitbetrachtung eines Fernsehspiels ihr Augenmerk auf die Leistungen der Darsteller oder der Regie zu legen bzw. sich mit dem jeweiligen Thema konkret auseinanderzusetzen.

MAN SOLLTE IM ÖSTERREICHISCHEN FERNSEHEN bzw. in der der Presse zur Verfügung gestellten Programmankündigung nur eines vermeiden: die völlig unzureichende textliche Form der Programmvorschau. Das österreichische Fernsehen hat sich daran gewöhnt, unzählige Fernsehaufzeichnungen als Komödien zu bezeichnen; daß sich diese Komödien dann als Tragikomödien, als Lustspiele oder Tragödien herausstellen, liegt meistens daran, daß die ursprüngliche Bezeichnung nach dem Namen des Autors erfolgte, von dem man im Fernsehen gar nicht annahm, daß er eben etwas anderes als Komödien schreiben könne.

NEBEN DIESER NACHLÄSSIGKEIT, die absolut vermeid-bar wäre, mutet schon eine andere wesentlich ernster an. Rundfunkgeneraldirektor Scheidl und Fernsehdirektor Freund erklärten kürzlich, daß sie keine Ahnung davon hatten, daß „Radetzkymarsch“ als österreichischer Beitrag außer Konkurrenz beim Moskauer Filmfestival gezeigt wurde. Da es sich hier um eine Gemeinschaftsproduktion mit einer bundesdeutschen Firma handelt, die noch dazu den Hauptanteil der Kosten getragen hat, ist es ohne weiteres möglich, daß von dieser deutschen Firma die Anmeldung des Films in Moskau erfolgte, ohne daß mit dem österreichischen Partner Rücksprache gepflogen wurde. Ob der Erfolg für Österreich günstig war, sei dahingestellt...

EIN ANDERES KAPITEL des österreichischen Fernsehens, über das vielerorts Klage geführt wird, ist die Sendeschlußzeit. Während an Wochentagen sehr oft ohne jedweden äußeren Anlaß, also Übertragungen durch Eurovision oder Intervision, das Programm „gestreckt“ wird und gegen Mitternacht endet, bemüht man sich zum Wochenende möglichst zeitig Schluß zu machen. Es kann nun sein, daß das Österreichische Fernsehen, durch Sonntagsüberstunden allzusehr belastet, eben zum Wochenende möglichst zeitig sein Programm beenden will. Die Fernseher allerdings haben wenig Verständnis dafür, daß sie am Abend vor einem arbeitsfreien Tag bereits um 22 Uhr ihr Gerät abstellen sollen, während sie vor einem Arbeitstag oft bis Mitternacht vor dem Bildschirm sitzen könnten.

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