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Radiohören mit Publikum

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FERNSEHREPORTER BRINKLEY dürfte seine Erkenntnisse über den Österreicher, die er in seiner Reportage verbreitete, möglicherweise aus einem Besuch des „Frühschoppen” abgeleitet haben, den der Österreichische Rundfunk in den Sommermonaten zusammen mit der Wiener Stadthalle veranstaltet. Dort, wo hin und wieder von der Gemeinde Wien subventioniert und mit mehr Freikarten beziehenden als zahlenden Besuchern beschickte Orchesterkonzerte stattfinden, wo die Wiener Eisrevue Farbenpracht und grazilen Charme verbreitet und sogar manchmal auch heilige Messen gefeiert werden, lassen sich jeden Sommersonntag an die 9000 Wiener nieder, um dem „Frühschoppen” mit Schmatzen, Schlürfen und Johlen den gewohnten Rahmen zu geben. „Wir wissen, daß der Frühschoppen1 keine kulturell wertvolle Sendung ist!” versicherte Programmdirektor Prof. Dr. Übelhör. „Aber die Sendung erfreut sich großer Beliebtheit, was ja schon die Besucherzahlen beweisen.” Von einer, pädagogischen Aufgabe, etwa, die Hörer vom übertriebenen Alkoholgenuß abzuhalten, will Prof. Übelhör in diesem Zusammenhang nichts wissen. „Das ist eine reine Unterhaltungssendung. Der Rundfunk hat meiner Ansicht neben seiner erzieherischen Funktion auch noch die Aufgabe, zu unterhalten!” Eine Symbiose von beiden Faktoren, wie etwa bei „Autofahrer unterwegs” oder „Alle Neune!” kann sich der Programmdirektor hinsichtlich des „Frühschoppen” nicht vorstellen. So wird denn die Wiener Stadthalle auch nächstes Jahr an jedem Sonntag Riesenumsätze aus dem Backhendl- und Alkoholkonsum der Stammgäste des „Frühschoppen” erzielen können.

DER GEWIEGTE RUNDFUNKENTHUSIAST übersiedelt nach sonntagmorgendlicher Erbauung beim „Frühschoppen” gleich ins AEZ, wo punkt 13.10 Uhr die Kennmelodie von „Autofahrer unterwegs” erklingt und einer der vier Sprecher, Rosemarie Isopp, Linda Fischer, Herbert Suchanek und Walter Nies- ner sich für die Begrüßung des Publikums im „wie immer polizeilich gesperrten Festsaal und der Hörer in West und Ost, in Nord und Süd” vorbereitet. Hat der quicke Stegreifschauspieler Niesner immer „unheimlich viel vor und stürzen wir uns darum gleich hinein mit einem zündenden Marsch!”, so plaudert Frau Isopp, die sich mittlerweile die anfänglich an ihr stark kritisierten „schmalzigen Töne” fast ganz abgewöhnt hat, meistens über das Wetter, während die beiden übrigen ihren Dienst zumeist mit der trockenen Eloquenz von Nachrichtensprechern versehen. „Unsere Sendung ist zwar vor allem zur Information der Autofahrer da, aber immer wieder bekommen wir Briefe von Fußgängern, die uns um Hilfe bitten!” Damit schneidet Walter Niesner ein Problem an, das ihn schon immer in Gewissensqualen gestürzt hat. „Was sollen wir tun, wenn da ein altes Ehepaar zu uns kommt, dem die Katze entlaufen ist, und uns unter Tränen bittet, das Tier wiederzufinden?” In den meisten dieser Fälle kommt es dann zu Niesners eindringlichen Appellen, die der Sendung den Ruf eines „Schmailzhäfens” des Rundfunks eingetragen haben.

„Die Sendung gehört zu unseren beliebtesten, und das seit 1957!” konstatiert Professor Übelhör mit erstauntem Kopfschütteln. Im März 1957 als Werbesendung einer Radiofirma gestartet, kam „Autofahrer unterwegs” in die Hände Walter Niesners, nachdem die Firma bereits nach vierzehn Tagen das Interesse daran verloren hatte. Rosemarie Isopp, ursprünglich lediglich Urlaubsvertretung für die inzwischen in Deutschland groß herausgekommene Louise Martini, avancierte schließlich zur Hauptsprecherin.

Das Interesse an der Sendung wuchs zusehends. „Wir bekamen immer mehr Zuschriften von Hörern, die dabei sein wollten, wie unsere Sendung entsteht”, erzählt Walter Niesner. „Darauf lud ich drei Hörer zu mir ins Studio, um ihnen zu zeigen, daß wir tatsächlich ohne Manuskript sprechen und daß alles improvisiert wird. Nun waren wiederum die anderen Hörer nicht mehr zu halten. Alle wollten zu uns kommen.” „Ich sehe in diesem Interesse der Hörer ein Zeichen dafür”, meint Professor Übelhör, „daß das .Wunder des Rundfunks’ noch nicht vorbei ist. In den Anfängen des Hörfunks waren die Leute fasziniert, wenn sie aus ihrem .Kasten’ nur einen Ton herausbrachten. Mit der technischen Perfektionierung verlor das Radio an Faszination. Doch noch immer gibt es Hörer, die hinter die Kulissen schauen wollen, die den Ablauf einer Sendung mitverfolgen wollen. Wir entschlossen uns daher, mit unseren Sendungen in die Öffentlichkeit zu gehen. Wir suchten nun einen Saal, den wir den ganzen Tag zur Verfügung hatten, weil die Sendungen ja auch geprobt werden müssen. Der Sendesaal bei uns im Funkhaus ist total überbelegt.” So kam das Großkaufhaus an der Landstraßer Brücke mit Hilfe des finanziell ohnedies auf wackeligen Beinen stehenden Rundfunks zu einem Riesengeschäft, das aus kostenloser Werbung (in den Sendungen wird zumindest zweimal, nämlich bei der Anfangsconference und bei der Absage der Name des Kaufhauses genannt), dem Umsatz aus der Konsumation des 500 Personen fassenden Festsaals und der Miete, die die Herren vom Rundfunk zu allem Überfluß zahlen, besteht. „Wenn wir aus dem Mozartisaal übertragen, würden wir ja auch den Namen des Veranstaltungsortes nennen. Und wenn wir ihn für eigene Sendungen mieten, müssen wir auch dafür bezahlen!” ist die nicht ganz schlüssige Argumentation des Programmdirektors.

TAG FÜR TAG FINDET IN DEM vielstöckigen Kaufhaus zumindest eine öffentliche Sendung des österreichischen Rundfunks statt. Daß diese Kontaktsendungen in letzter Zeit von uns stark forciert werden, geht nicht zuletzt auf meine Initiative zurück”, berichtet Professor Übelhör. „Wir wollen unseren Hörern Gelegenheit geben, au uns zu kommen. 1963 haben wir etwa 500.000 Personen bei unseren öffentlichen Sendungen gezählt!” Die Reaktivierung des Hörerinteresses wird vom Rundfunk aus derselben Erkenntnis heraus betrieben, wie man etwa in unseren Schulen oder Jugendbewegungen Ehrenämter an die Jugendlichen verteilt: Einer, der „dazu gehört”, sieht ein Unternehmen in weit verständnisvollerem Licht als der teilnahmslose Außenstehende.

Doch die Forcierung der Kontaktsendungen durch den Österreichischen Rundfunk hat noch einen zweiten, wohl gewichtigeren Grund: „Wir müssen der werbetreibenden Wirtschaft ein interessantes Werbefeld bieten!” gesteht Programmdirektor Übelhör. „Natürlich müssen wir uns verkaufen. Aber die Einnahmen aus dem Werbefunk betrugen im Vorjahr 67 Millionen Schilling, die Einnahmen durch Teilnehmergebühren 140 Millionen. Wir brauchen das Geld!” Aus diesem Grund hat man auch die Beliebtheit der Sendung „Autofahrer unterwegs” einer gefährlichen Zerreißprobe ausgesetzt, indem man sie zugunsten von Werbeeinschaltungen — für zehn Sekunden erhält der Rundfunk 4500 Schilling — um eine Viertelstunde verlängert hat. Chef Walter Niesner registrierte diese Entwicklung nur mit einem tiefen Seufzer. Das Publikum im Saal, abgelenkt durch das Geschehen auf der Bühne, durch das Aufleuchten diverser Lämpchen und unter anderem auch durch das zwischendurch hinuntergeschlungene Mittagessen, ist auch mit dieser Entwicklung einverstanden. Es hat sich auch hier zu einer apathisch reagierenden, auf Zeichen applaudierenden und vor allem unkritischen Geräuschkulisse abrichten ‘assen.

WEITAUS TEMPERAMENTVOLLER GEHT ES bei der „österreichischen Hitparade” am Samstagnachmittag zu. Nicht nur, wenn die „Beatles” auf dem Plattenteller kreisen, sondern auch dann, wenn eine Platte von Kaplan Flury gespielt wurde, der wochenlang mit seinem Lied „Ich komm aus der Ferne” den ersten Platz im Rennen der „Schlagerpferdchen” belegte. Eva Maria Kaiser, Österreichs „Schlagerpferdchen” Nr. 1, verbrachte stets eine Viertelstunde vor Beginn der Sendung mit Beschwich- tigungsmanövern und Toleranzappellen an das in seltsamer Übereinstimmung gegen den zur Gitarre singenden Geistlichen aufgebrachte Publikum. Die Hitparadenteenager vermuteten hinter der Beliebtheit von Flury gelenkte Aktionen von Seiten etwa der Klosterschulen.

Auch die Hitparade ist für den österreichischen Rundfunk ein starker Aktivposten im Budget. Der Österreichische Plattenkarteliver- band, der auch die Platten aussucht, die in den Wettbewerb steigen dürfen, ist der zahlungskräftige Veranstalter, zudem bringen auch noch zahlreiche, von Frau Kaiser sehr verschämt verlesene, von den Jugendlichen gelangweilt hingenommenen Werbesprüche Geld. „Einerseits bin ich ja über die Einschaltungen froh, weil mir die werbenden Firmen immer kleine Sachpreise für die Saalwettbawerbe zur Verfügung stellen, anderseits ”, lautet die etwas unschlüssig abgegebene Stellungnahme von Frau Kaiser, die selbst alles andere als ein Schlagerfan ist. Mit einiger Besorgnis registrieren die Veranstalter der Hitparade den Schwund von Einsendungen, der seit der Verlegung der Sendung auf den Nachmittag (dazu Professor Übelhör: „Für den Samstagabend ist mir die Sendung zu wenig gewichtig!”) besonders groß ist. Erzieherische Absichten hinter der Hitparade suchen zu wollen, wäre ziemlich sinnlos. „Die Hitparade ist wie die ganze Schlagerproduktion reine Geschäftssache!” meint Frau Kaiser dazu, und Professor Übelhör: „Der Rundfunk hat nur geringe Einspruchsmöglichkeiten bei dieser Sendung.”

Das Wunder der Technik voll auskosten, will Ing. Hilger mit der von ihm geleiteten Mittwochabendsendung „Alle Neune”, die an drei Orten gleichzeitig abrollt. „Wir haben die Leute mobilisiert!” frohlockt der 44 jährige blonde, ehemalige Techniker, und: „Ich möchte den Leuten zeigen, wie schön die Welt ist. Das kann man am besten in

Quizform, weil hier das Prinzip der Identifizierung gegeben ist und so das Interesse geweckt wird!”

ÜBER VOR- UND NACHTEILE DER öffentlichen Sendungen sind sich ihre Gestalter ziemlich einig. „Studioarbeit ist natürlich weitaus intimer, und oft weitaus weniger nervenaufreibend!” meint Eva Maria Kaiser. Und Walter Niesner fügt hinzu: „Das anwesende Publikum will nicht nur hören, sondern auch sehen, sie erwarten sich gewissermaßen .Theater’. Darin besteht nun eine gewisse Diskrepanz, weil das Hauptgewicht einer Rundfunksendung ja doch das Akustische sein muß.” „Die Gefahr besteht, daß man nur die Leute, die vor einem sitzen anspricht, also daß man nicht in die Weite spricht!” gibt Rosemarie Isopp zu bedenken. Und Ing. Hilger führt einen entscheidenden Vorteil für den Sprecher in einer öffentlichen Sendung an: „Man ist nicht auf sich allein angewiesen, man kann sich nach der Reaktion des Publikums richten.”

Um die von den Fachleuten mit Erstaunen verzeichnete steigende Beliebtheit des „Radiosehens” erklären zu können, muß man sich unter die Menschen mischen, die tagtäglich, viele mit einer gewissen Kontinuität, den Rundfunksaal im dritten Bezirk füllen. Das Publikum setzt sich größtenteils aus Jugendlichen und älteren Leuten zusammen; das mit dem Terminkalender kämpfende „Mittelalter” ist nur sehr spärlich vertreten. Erstaunlich sind die Reaktionen des bei jeder Sendung natürlich andersgearteten Zuschauhörers: Als Walter Niesner in „Autofahrer unterwegs” eine Durchsage an ein Hochzeitspaar, das aus der Provinz nach Wien gekommen war, verlas, kamen der Braut Tränen in die Augen. Daß man während der Sendung, die ja bekanntlich um die Mittagszeit abgewickelt wird, auch ein Menü verzehren kann, ist selbst Rosemarie Isopp ein unerklärliches Phänomen. Dabei ist „Autofahrer unterwegs” nach Auskunft des Chefkellners die „konsumationsträchtigste” aller Direktsendungen. Danach rangieren das „Konzertcafe” und die „Hitparade”.

Die Erklärung der Beliebtheit der öffentlichen Sendungen bei den Hörern an den Empfangsgeräten ist wohl in der Bequemlichkeit des Menschen von heute begründet. Man dreht das Radio an und ist zu Hause ausgegangen. In der Zeit unseres „unterentwickelten” Fernsehprogramms errechnet man sich beim Hörfunk aus dieser Tatsache reelle Chancen, ergrimmte Hörerstimmen zum Schweigen zu bringen.

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