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Künstler-Schwund

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Denk ans Frühstück!" Das riet Billy Wilder Greta Garbo, als sie nicht wußte, wie sie bei einer langen Filmsequenz Tragik in ihr Gesicht bringen könnte. Dabei nimmt ihr der Zuseher diese Aufgabe ohnehin ab. „Das Publikum soll die Geschichte machen", bestätigt Peter Mayer, der die Klasse für die Produzenten an der Filmakademie leitet. Seine Studenten werden einmal Kunst für ein breiteres Publikum produzieren. „Haben wir Glück, dann ist es Kunst. Dann kann ich nur noch in die Kirche gehen und sagen: Danke, lieber Gott!"

Seit dreißig Jahren bemüht sich der Hochschülprofessor herauszufinden, was die Kunst im Kino ausmacht, doch Definition gibt es keine. Marktmechanismen spielen natürlich wie in der Werbung eine wesentliche Rolle. Jedes Segment, vom Kommerz übers Programmkino hat seine Wün-. sehe. „Der einzelne ist ein Trottel, die Masse des Publikums ein Genie", um mit Billy Wilder zu sprechen. Immerhin gehen nach der letzten Media Analyse 1,7 Millionen Österreicher mehr oder weniger regelmäßig ins Kino. 593.000 finden sich alle vier Wochen vor der Leinwand, 11.000 frequentieren das Kino mehrmals wöchentlich, 293.000 gehen zumindest vierzehntäglich ins Lichtspieltheater. Vor allem Schüler und Studenten zwischen 14 und 29 Jahren, meist ohne Familienanschluß, frönen dem Film.

Das Publikum vor dem Fernseher ist da schon älter. 58 Prozent der „Treffpunkt Kultur"-Seher sind über 50 Jahre alt, die restlichen 42 Prozent fallen in die Gruppe der 12- bis 49jährigen. Genauso hoch ist der Prozentsatz an männlichen Fernsehkulturkonsumenten, die Frauen sind mit 58 Prozent in der Überzahl. Spitzenreiter im Kultursegment ist in der Publikumsgunst das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Wer die heiß umkämpften Karten im Wiener Musikvereinssaal ergattert, kann sich mit Becht zur creme de la creme der Wiener zählen. Er teilt aber sein Hörvergnügen mit 1,2 Millionen Österreichern, die teils noch im Pyjama, das Kaffeehäferl in der Hand, streßlos, ohne Parkplatzsuche und Garderobenproblemen, dem Kunstgenuß vor dem Bildschirm frönen. Die Exklusivität des Lifeereignisses, macht die Fernsehübertragung zur meistgesehenen Kunstsendung. Selbst „Vera" erreicht „nur" um etwa 200.000 Seher mehr. 18,5 Prozent Reichweite bringt das Neujahrskonzert dem ORF. „Treffpunkt Kultur" kommt nur noch auf eine Reichweite von 3,5 Prozent, was 229.000 Sehern entspricht. Die sind allerdings bis 22 Uhr 30 aufgeblieben, um das Neueste am Kultursektor zu erfahren.

„Elektronische Medien können Interesse erwecken und Lust auf Kultur machen. Das Wichtigste dabei ist, den Menschen klar zu machen, daß es sich um eine Bereicherung ihres eigenen Lebens handelt und nicht um die Erfüllung einer bildungsbürgerlich tradierten Pflicht", meint OBF-Kultur-chef Wolfgang Lorenz. „Die Grenzen liegen bei unseren Zusehern. Wir können nur anbieten, ein kulturelles Ersatzleben über die Medien gibt es nicht." Und sind die Wiener Philharmoniker zweifellos ein wesentlicher Kulturbeitrag, läßt sich schon bei den folgenden Plätzen auf der Quotenliste streiten: „Im weißen Bößl", „Land des Lächelns", „Die Fledermaus" oder „Eine Nacht in Venedig" entsprechen eher einem volkstümlichen Geschmack.

„Erreichen wollen wir so viele Leute wie möglich, und wer das mit Quotengeilheit verwechselt, versteht nichts vom Geschäft eines Publizisten. Am erfolgreichsten sind wir da, wo die Kultur als stinknormales Fernsehen auftritt. Sendungen, die zehn Meilen gegen den Wind nach Kultur riechen, werden mehrheitlich gemieden. Die Kultur im Fernsehen populär zu machen, heißt ja nicht zwingend, zu banalisieren oder zu triviali-sieren." Außerdem sieht Lorenz Ba-dio und Fernsehen als Spiegel der Gesellschaft: „Transporteur, Animateur, aber nicht Künstler."

Dieses Selbstverständnis trifft auch auf das Badio zu. Es geht über die reine Information hinaus. Öl kommt in Wien mit einer Reichweite von fast 10 Prozent bei ausgewogenem Geschlechterverhältnis auf einen guten Wert. Der Sender nimmt seine Möglichkeiten zur Kulturvermittlung sehr aufklärerisch wahr. Dabei ist nach und nach eine Verjüngung gelungen, die weder die alten, noch die jüngeren Hörer abschalten läßt. Ein Erneuerungsprozeß, ohne daß Elemente wie Sprache oder klassische Musik verlorengegangen sind.

„Fast gratis ermöglichen wir den Zugang zu fast allen Dingen. Und nachdem wir nicht nur Datenmaterial, sondern aufbereitete Information bieten, können wir die Schwellenängste vor dem Einstieg in neue Bereiche nehmen", meint Bobert Bi-lek, Bedakteur in der Abteilung „aktuelle Kunst". Musikalische Werke, die in Konzertsälen nicht genügend Publikum finden, können bei Öl auf

Sendung, zeitgenössische Komponisten zu einem Auftrag kommen. Dazu gibt es noch die traditionellen Radiokunstformen, wie Hörspiele oder Kunstradio.

Der Jugendsender FM4, eine „dringende Notwendigkeit", steht als ganzes an der Schwelle zum Kunstprodukt. „Das hören auch ältere Menschen", ist sich Robert Bilek sicher.

Das allerneuerste am Mediensektor ist das Internet. Hier wird ernsthaft versucht, eigenständige Kunst zu machen. Und das stellt in einem Medium der Interaktion sowohl Künstler als auch Publikum vor ganz neue Probleme. Gerfried Stocker vom Ars Electronica Center in Linz kennt sich aus im vielzitierten Globalen Dorf, in dessen virtueller Gemeinschaft andere Gesetze herrschen: „Objekte sind hier keine einzigartigen Originale mehr, der Begriff Künstler schwindet", erklärt er. In den neuen öffentlichen Bäumen ohne Sperrzeiten in diesem Medium sind die Künstler vor existentielle Probleme gestellt. Allein die Tatsachen, daß das Urheberrecht im Internet de facto außer Kraft gesetzt ist und daß jeder Konsument ins Kunstwerk eingreifen kann, stellt diejenigen, die sich künstlerisch im Internet betätigen, vor ganz neue, spannende Fragestellungen.

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