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Filmselien und Filmbeurteilen

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“Wie kommt es, daß ein und derselbe Film von Kinobesuchern ebenso abfällig wie großartig beurteilt werden kann? Um das zu verstehen, muß man sich vor Augen hüten, daß nicht jedermann dasselbe im Film sucht. Meist wird der Film der Unterhaltung halber aufgesucht. Die Unterhaltungswerte selbst sind jedoch sehr verschiedenartig. Fern von dir Frage, wieweit eine Film k u n s t möglich ist, steht fest, daß eine ganze Anzahl künstlerischer Elemente im Film vorhanden ist.

Zunächst ist es die B i 1 d w i r k u n g, das Photographische, das typisch in schönen Landschaftsaufnahmen zur Geltung kommt. Oft ist es der Kameramann, der dem Film die künstlerische Note verleiht. Jeder erinnert sich noch an die Filme von Luis Tren-ker, die dafür beispielhaft geworden sind. Im Zusammenhang damit steht die Darstellung. Besonders die Großaufnahme, in der das Mienenspiel, die Nahaufnahme, in der die Gesten der Schauspieler in einer “Weise sichtbar werden, wie sie die Bühnendarstellung niemals erreichen kann. Tatsächlich hat der Film dadurch nachhaltigen Einfluß auf die Schauspielkunst genommen. Der Starkult ist keineswegs erst durch den Film entstanden. Josef Kaihz' und* Alexander' Girardi sind ebenso „Stars“ gewesen, wie Paul Hörbiger oder Paula Wessely. Viele Leute gehen aber nur in einen Film, um ihren Hans Albers zu sehen — oder nicht in den Film, um ihn nicht zu sehen, weil sie ihn für unausstehlich finden. Und haben nidit unsere Großeltern das Burgtheater aufgesucht, um die “Wolters oder den Mitter-wurzer zu sehen? Nur hat das Kino den Starkult in weiteste Kreise getragen oder genauer gesagt: die einzelnen hervorragenden Darsteller über den immerhin begrenzten Kreis der Theaterbesucher hinaus populär gemacht.

Besonders beim amerikanischen Film, der im Geldaufwand am wenigsten beschränkt ist, werden schauspielerisch wichtige Szenen bis zu zwanzigmal gedreht, um zur Herstellung der endgültigen Negative die besten Aufnahmen heraussuchen zu können. Dies ist um so wichtiger, als Filme großer Verbreitung mehrere Negative erfordern, um die nötige Anzahl guter Kopien zu erzielen. Mehr als hundert Kopien verträgt ein Film-negativ, kaum, fünfhundert Kopien ist für. Hollywood jedoch keine Seltenheit. Dies ist ein Beispiel dafür, wie die Technik des Filmes auch die künstlerische Vollendung befruchten kann.

Es ist eine Tatsache, daß mancher begeisterte Filmbesucher grundsätzlich nur, sagen wir, amerikanische Filme besudit, weil er in ihnen die größte Vollendung der nur filmeigenen “Wirkungen sehen kann, wie sie sich im guten Drehbuch und im Schnitt auswirken. Der Filmschnitt, das heißt die Art, wie die einzelnen Szenen und in welcher Länge sie aufeinander folgen, vermag tat-sädilich über die Wirkung eines Filmes zu entscheiden. Man hört oft das Urteil: Dieser Film war schön,' aber zu lang. “Wir ziehen meist den kürzeren Film, die nicht allzulang ausgespielten Szenen vor, während die Engländer, Amerikaner und Russen ein besonderes Gefallen an breiten Schilderungen finden. Vor 1938 war es keine Seltenheit, daß ein ausländischer Film auf weniger als Zweidrittel seiner Länge gestutzt wurde, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, weil die deutsche Bearbeitung der Kopie um so billiger wurde, sondern vor allem, um dem Geschmack des Publikums entgegenzukommen.

Die Mehrzahl unserer Kinobesucher zieht nach wie vor den deutschsprachigen Film vor. Es braucht nicht begründet zu werden, daß weder deutsche Untertitel, noch auch die Nachsynchronisation eines fremdsprachig gedrehten Filmes ein voller Ersatz für einen deutschsprachigen Originalfilm sein kann. Besonders dann nämlich, wenn der Filmbesucher im Lesen der Untertitel nicht sehr geübt ist. Aber selbst ein Schnelleser wird dadurch, daß sein Auge vom Bild immer wieder abgelenkt wird, eines wesentlichen Genusses beraubt. Ja sogar für den, der die Sprache des Filmes mühelos versteht, bedeuten die Filmtitel, die er nicht liest, eine merkliche Minderung des Genusses, wie man leicht feststellen kann, wenn man den gleichen Film einmal mit und einmal ohne die störenden Fußtitel sehen kann.

Auch die Gestaltung der Dialoge kann eine, wesentliche Rolle spielen. Hans Moser, vor die Kamera gestellt, beginnt zu dichten und daher kommt es, daß man in jedem neuen Moserfilm eigentlich schon Szene für Szene im voraus sagen kann, was und wie Moser etwas bringt. Mancher mag das, mancher nicht. Ebenso zieht der eine schwere Musik zur Untermalung einer typischen Filmmusik vor, der andere will nur Schlager hören, wie sie Heesters oder Marika Rökk singen. Übrigens bildet die Geräuschkulisse ein bezeichnendes Merkmal für die künstlerischen und technisdien Qualitäten eines Fi'mes. Durchgehende Filmmusik, wie sie ein Überrest aus der Zeit des „Klaviertigers“ der Stummfilmperiode ist, wirkt meist weniger, als die Vielfalt von Musik, Gespräch und Lied, Geräusch und spannende Stille.

Filmgags — meist lustige Einfälle des Drehbuchautors oder des Filmregisseurs — formen oft den sprödesten Stoff so weit, daß er verdaulich erscheint. Besonders der amerikanische Film ist reich an ihnen („Ich suche meinen Mörder“ und „Der “Weg zum Glück“ sind typisdie Beispiele für soldien Einfallsreichtum).

Um alle diese Gestaltungseinzelheiten eines Filmes richtig zu beurteilen und sie richtig genießen zu können, dazu bedarf es einer gründlichen Schulung im Filmsehen. Jede Gemäldegalerie sorgt durch Führungen dafür, daß ihr Bilderschatz auch richtig gewertet werden kann. Es ist keine Seltenheit, daß eine Stunde für ein einziges Bild aufgewendet werden muß und dann noch nicht zu viel über den künstlerischen “Wert gesagt werden kann. Auch der Film erfordert oft zum gründlichen Verständnis eine reiche Diskussion. Soweit es sich nun um Gestaltungs-prob'eme handelt — und das „Wie“ ist das einzige, das die Filmleute interessiert —, sind Filmfadileute, wenn sdion nicht das breite Publikum, ziemlich einig in ihrer Kritik. Viele werden sich ntch an den Fiim „Ekst? “e“ erinnern: seine künstlerische Vollendung hat einrr.u ige Zur-t mniung gefunden. Und d-ich hat dieser Fi'in sine weitreichende Dlskuss.on ausgelöst über das „Was“, den Stoff. Nicht jeder hält den Vergleich zwischen der Brunst der Pferde mit der des Menschen als durchaus gleichwert.g zulässig. Der nur Filmkunst* ler'sch Interessierte betrachtete dies als einen interessanten Einfall, dessen filmische Lösr“;-er als wunderbar durchgeführt betrachtete. Der weltanrdie.ulich gebildete Zuseher wunderte sich, daß nicht einmal eine „Sublimie-rung“ der Triebe im Sinne der Psychoanalyse Freuds zu sehen war und war der Meinung, daß die offenbare Gleichsetzung tierischer und menschlicher Triebe falsch ist. Und hier, im Stofflichen, gehen die Meinungen am weitesten auseinander.

Verhältnismäßig einfach ist es noch, Filme nach ihrem Stoff in Bauernstücke, Liebesdramen oder Lustspiele einzuteilen. Schon hier sucht sich jeder das ihm Zusagende heraus. Mancher mag die Hansi-Knotek-Filme nach Ludwig Ganghofer, andere halten sie für hoffnungslos kitschig. Auch hier spielt weitestgehend der Geschmack in der Auswahl mit. “Werden aber wirklich weltanschauliche Grundlagen behandelt, zum Beispiel Kriegsoder Antikriegsfilme, kann es zu wirklichen Zusammenstößen in der Filmbeurteilung kommen.

Wenn wir also vom eigentlichen Lehrfilm absehen, geht die durchschnittliche Frage über den “Wert eines Filmes in “Wirklichkeit nach dem Unterhai tungswert, der je nach Bildung und Geschmack des Kinobesuchers von vorneherein festgelegt werden kann. Soweit er die künstlerischen Komponenten eines Filmes betrifft, kann der Filmbesucher sehr weitgehend ausgebildet werden. Das Urteil „Dieser Film ist gut“ bedeutet also für den einzelnen meist nidits anderes als: Ich habe mich gut unterhalten, der Film kam meinem Wunschtraum entgegen. Der stoffliche Wert eines Filmes ist jedoch davon nicht abhängig. Der Unterhaltungswert eines Filmes kann für die einzelnen Gruppen der Kinogänger verhältnismäßig leicht von einem einigermaßen geschulten Filmbesucher bewertet werden und die übliche Filmkritik kommt diesem Zweck meist nach, soweit sie unabhängig ist. (Man kann natürlich in diesem Sinn keine objektive Filmkritik erwarten, wenn eine Zeitung, die, nehmen wir an, etwa der Paramount nahesteht, einen Paramount-film zu kritisieren hätte.)

Bei der weltanschaulichen und kulturellen Zersplitterung der Gegenwart ist der wesentlichste Gesichtspunkt jedoch nicht die bloße Feststellung, daß ein Metro-Goldwyn-Mayer-Film stets eine erstklassige Ausstattung hat, daß ein Film mit Raimu wegen seiner Darstellungskunst sehenswert ist, wenn schon sonst nicht („Gräfin Chabert“), daß die russischen Filme uns einen Einblick in die dortigen sozialen Verhältnisse gewähren. Der wesentlichste Ges;chtspunkt ist, ob die steff-lidie Nachwirkung eines Filmes vom Standpunkt des Beurteilers erwünscht oder unerwünscht ist. Und dies ist bei weitem die schwierigste Aufgabe im Filmbeurteilen, da die Gestaltung eines Filmes leicht durch eine der Mehrheit der an einem Film beteiligten Filmschaffenden entsprechenden Mehrheit von Fachleuten in Musik, Literatur, Geschichte, Schauspielkunst und was alles noch mit hereinspielen mag, objektiv festgestellt werden kann, während alle diese Fachleute heutzutage über die weltanschaulichen Grundlagen eines Filmes auseinandergehende Urteile hiben können. Aue', hier jedoch mit sicherer Hind zu führen, muß eine der vornehmsten Aufgaben der Filmkritik sein.

Die Gesellschaft der Filmfreunde österr.-ichs veranstaltet eine zwölf Abende umfassende Vortragsreihe „Wir lernen Filmsehen“ von Professor Dr. Adolf Hübl, mit Lichtbildern, Filmbeispielen und einem Atelierbesuch, beginnend am 9. September 1946. Anmeldung nur für Mitglieder bei der Gesellschaft der Filmfreunde Österreichs in Wien, VII., Kirchengasse 19. Teilnehmerzabl beschränkt.

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