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Perforation macht noch keinen Film

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An den Langfilmen lag es nicht, daß das Programm der Filmtage nur im Laufschritt zu bewältigen war. Für Bewegung sorgte das wuchernde Angebot an Kurzfilmen und Videos.

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An den Langfilmen lag es nicht, daß das Programm der Filmtage nur im Laufschritt zu bewältigen war. Für Bewegung sorgte das wuchernde Angebot an Kurzfilmen und Videos.

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Seit 1984 existiert in Österreich wiederum eine Leistungsschau des heimischen Film- und Videoschaffens. Reinhard Pyrkers „FilmBüro“ ist es zu verdanken, daß sich Fachleuten und einem interessierten Publikum ein Medienpanorama eröffnet, das in dieser Dichte hierzulande nicht mehr anzutreffen ist.

Was wollen die Filmtage? Zunächst versteht sich dieses Treffen von Regisseuren, Cineasten und Journalisten als ein Forum der Präsentation und der Diskussion.

Beides ist in einem Land mit überwiegender Theatertradition und einem geringen Filmbewußtsein mehr als notwendig. Anstrengungen in Richtung Filmförderung können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der heimische Film um Identität und Absatz ringt.

So schwankt dieses „oberösterreichische Festival“ zwischen Hoffnung und Resignation. Hoffnung: An die zweihundert Filme waren zu sehen, in der Hauptsache Kurzfilme und Videos. Sie blühen, gedeihen, ja wuchern. Fast stellt sich inflationäres Bildgefühl ein.

Die Frage drängt sich auf: Muß denn alles, was Perforation besitzt, „Film“ heißen? Zahlreiche Streifen kommen über pubertäre Amateurwerkehen nicht hinaus. Eine strengere Selektion in Richtung Qualität — wie schon bei Video geschehen — wäre in Zukunft wünschenswert.

Resignation: Die wenigen Lang-. filme zeigen, daß eine Filmwirtschaft im herkömmlichen Sinne nicht existiert; daß die Förderungsgelder der diversen Stellen Feigenblattfunktion erfüllen, wenn auch im besten Willen und durch sogenannte Sachzwänge diktiert. Daher der stete Unmut der Filmschaffenden bei Diskussionen zum Thema „Bundesländer, Co-Produktionen, Filmpubhzistik“.

Das Fernsehen entpuppt sich zunehmend als unentbehrlicher Partner, die Boulevardzeitungen favorisieren in populistischer Weise die Hollywood-Ästhetik, und die für Film zuständigen Amtsstellen verweisen stereotyp auf die generelle Kürzung des Kulturetats.

Bleiben letztlich die Gettos der Filmpuristen, die auf abenteuerliche Weise den Avantgarde Status zu erhalten trachten und Produkte liefern, die sich ohne fulminante Vorkenntnisse kaum rezipieren lassen. Fachkunst für Fachleute, in sich kochende Experimentalsuppen, die wohl mehr den Wahrnehmungspsychologen interessieren als jene, die sich „Geschichten“ erwarten.

Wer für eine Woche nach Wels kam, mußte sich auf den Laufschritt einstellen. In vier Kinos gleichzeitig („Greif“, „Zentral“, „Traunparkcenter“ 1 und 2) liefen Spiel- und Trickfilme, Dokumen-= tationen und Retrospektiven. Südtirol, der Wiener Film im Dritten Reich, Videowerkstätten. Auch das Rahmenprogramm kam üppig: vom Journalistenfrühstück und Nachtgespräch zur elektronischen Videoinstallation: 150 Programmstunden.

Was war zu sehen? Sind sogenannte Trends in Inhalt und Form erkennbar geworden? Bei der Fülle des Angebotenen lassen sich in grober Rasterung doch einige Linien skizzieren. Da sind bei Langfilmen vor allem die Bestrebungen sichtbar geworden, internationales „Kino“ zu machen: „Echo Park“ von Robert Dornhelm etwa. Cops-Filme ä la americana auf deutsch: Peter Keglevichs „Der Bulle und das Mädchen“. Biedere, anspruchslose, auch fragwürdige Unterhaltung wie Alfred Ninaus „Seifenblasen“, ein Film aus dem Filmermilieu, wobei die Anmerkung gestattet sei, daß sich mediale Selbstbespiegelungen jüngst größter Beliebtheit erfreuen („Tiger-Frühling“ von Peter Patzak, „Hollywood“ von F. P. Ebner u. v. a.).

Die filmische Selbstverliebtheit zahlreicher Streifen verweist sichtlich auf Inhaltskrisen. Was kann denn einer in der Medienflut badenden Öffentlichkeit noch „gesagt“ werden? Entpuppen sich nicht die „Geschichten“ als naive Kopien, durch den Fleischwolf der Klischees gedreht? Nur wenige Gratwanderungen sind hier gelungen. Auffällig das Interesse an Großstadt, kaputten Typen, einer hirnbetonten, heillosen Welt.

Daß zwei schöne Dokumentationen über Hainburg gezeigt wurden, ließ ahnen, daß positiver Widerstand und der Wille zur Veränderung erhalten geblieben sind. Auch einige Streifen über Faschismus und Antifaschismus beweisen die Brisanz der Vergangenheit.

Wer aber von Zukunft redet, der sagt nicht selten das magische Wort: Video-Clip. Denn hier wird eine modische, exzessive, rasante Ästhetik geboten, die durch mitreißende Musik und durch angenehme Kürze (!) ihre Liebhaber findet. Ob hier nun Kritiker optischen Terror oder das neue Analphabetentum vermuten, Wels zeigte, daß auch in Österreich auf diesem Sektor gearbeitet und noch einiges zu erwarten sein wird.

Daß ein stiller Film, wie Maria Kniiiis „Lieber Karl“, ein schriller Film wie Hans Fädlers „Wiener Brut“, ein halbexperimenteller wie Valie Exports „Die Praxis der Liebe“ ihr Publikum fanden, spricht dafür, daß hier durch intensive Medienarbeit Aufmerksamkeit erzielt wurde. Dies zeigte sich bei den Welser Filmtagen selbst: geschickte PR-Arbeit ist unentbehrlich.

Da hilft auch die künstliche Kluft zwischen Kunst und Kommerz nichts, ein Thema, das an Aktualität nichts eingebüßt hat. Während das Bundesministerium vor allem Erstlingsfilme und Experimentelles fördert, unterstützt der Filmförderungsfonds nur Filmer mit Gewerbeschein.

Sehr eigenständig setzten sich die Trickfilme der Hochschule für Angewandte Kunst durch, ja zeichneten sich durch Humor und Frische aus, wie sie nur selten bei den gezeigten Kurzfilmen anzutreffen waren.

Bei den erfolgreichen Kinofilmen, wie etwa Walter Bannerts „Herzklopfen“, kam klar zu Tage wie sich technische Perfektion mit einer recht fragwürdigen Ideologie, die berechnend mit

Wunschvorstellungen und Stereotypien umzugehen weiß, zu mischen vermag.

Kritik konnte - neben der bewundernswerten Professionalität, die in Österreich selten ist — nicht ausbleiben. Wie sonst ist der witzige Aufruf des jungen Expe-rimentalfilmers Robert Quitta zu verstehen, der zum einen die ästhetische Trivialität einiger Spielfilmproduktionen ablehnt (und vor allem Kleinprojekte fordert), zum anderen aber die ewigen Finanzklagen aufs Korn nimmt: „Aufruf! Erklären wir Österreich zur spielfilmfreien Zone!“

Wie kryptisch derlei auch aufzufassen ist, die Welser Filmtage mit ihrem überbordenden Programm haben gezeigt, daß sich vieles tut, aber daß weniger mehr wäre. Freilich: Auswahlkriterien bei einer derart „offenen“ Kunst wie Film oder Video werden nicht leicht zu erstellen sein.

Dennoch: Der große Aufwand -auch wenn er sich oft bessere Filme verdient hätte—war nicht umsonst. Wels ist und bleibt ein Forum der Begegnung, und die Dauerklage nach mehr Geld kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Filmschaffenden selbst mehr Phantasie und Mut investieren sollten, um den Film endlich neben dem Theater auch in Österreich gleichrangig zu etablieren. Vieles ist getan, vieles ist zu tun.

Der Autor ist seit zehn Jahren Lehrbeauftragter für audiovisuelle Medien an der Universität Wien, Institut für Theaterwissenschaft.

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