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KAMERAS UND AMBITIONEN

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Der Mann, der „lebende Bilder' aufnehmen ging, war bereits „Filmgestalter“ im praktischen Sinn dieses etwas anspruchsvollen, elegant geprägten Wortes. Schnurrbärtig, mit Melone und steifem Kragen, den Kurbelkasten auf der Schulter, gefolgt von neugierigen Gassenbuben, so wanderte er hinaus und drehte allerlei Szenen. Die einzige Sensation bestand vorerst darin, daß man dann im „Biographen-Theater“ vor dem ratternden Projektionsapparat sah, daß Menschen mit zappelnden Hampelmann- , bewegungen über die Leinwand glitten. Der Herr mit der Melone war „Operateur“ (also Kameramann) und Regisseur in einer Person und besorgte überdies noch selbst die Ausarbeitung, indem er in seiner Photographendunkelkammer den belichteten Film über eine von der Decke herabhängende Nähspule in die Entwicklerschale laufen ließ.

Als der Kintopp Drei- und Fünfminutenfilmchen mit richtiger Handlung verlangte, dachte er sich muntere Geschichten aus und setzte sie mit den Herrschaften vom lokalen Theaterverein in Szene. — Souveräne Filmgestalter, die der künstlerischen und der technischen Seite ihres Metiers die gleiche Aufmerksamkeit widmeten und sich obendrein um organisatorische Fragen kümmerten, waren die namhaften Stummfilmregisseure, vom umstrittenen „Großrequisitor“ und Komparsengeneral Fritz Lang bis zu Meister F. W. Murnau, der jahrelang mit einer Handvoll Leute in der Südsee saß und „Tabu“ drehte. Damals war es selbstverständlich, daß der Regisseur auch selbst als Cutter am Schneidetisch arbeitete. (,.Fin Film, den der Regisseur nicht selbst schneidet, ist nicht sein Film.“ Murnau.)

Weniger von des Gedankens Blässe angekränkelt als vielmehr gründlich in der Praxis des Flimmerbildes bewandert, so waren sie. Der große Griffith („Birth of a Nation“, 1915) stiefelte mit Cowboybut und Ledergamaschen über das Aufnahmegelände, er sah aus wie ein wetterharter kalifornischer Landvermesser. Seine europäischen Kollegen glichen in Exterieur und Mentalität irgendwie den Kavalierssportlern ihrer Zeit, jenen Männern, die aus Passion die technischen Möglichkeiten des Autos und der Fliegerei erprobten. Und die Filmleute waren ja auch Pioniere; die innere Verwandtschaft zwischen beiden Sphären gleichlaufender Entwicklung ist wohl unbestreitbar und fand ihren deutlichsten Ausdruck in der Person Sascha Kolowrats, des „Filmgrafen“, der ein ebenso begeisterter Automobilist war.

Die Laufbahn alter Filmhasen begann nicht selten damit, daß sie für den Mann auf dem Regiestuhl Kaffee holten. Dann bekamen sie vielleicht einmal eine Kassette in die Hand und lernten das Filmeinlegen. Alles, was sie für ihren Beruf an Kenntnissen und Fertigkeiten brauchten, eigneten sie sich in der Unmittelbarkeit des Ateliers an, auf du und du mit Beleuchtern und Bühnenarbeitern. Die Hypertrophie der Produktionsstäbe mit ihrer hohen Spezialisierung in den einzelnen Sparten und der organisatorischen Verästelung bis zu den Assistenten und Assistentenassistenten kam erst mit der Zeit des Tonfilms und der immer komplizierteren Farbfilmverfahren. Doch auch in unserer spezialistenseligen Zeit weiß man den vielseitigen, theoretisch vorgebildeten und praktisch versierten „Filmgestalter“ zu schätzen, den filmischen Allroundman, um ein bezaubernd scheußliches Wort zu gebrauchen. Deshalb haben die jungen Leute, die den dreijährigen Lehrgang des Film- und Fernsehseminars der Akademie für Musik und darstellende Kunst absolvieren, bei Produktionsgesellschaften und im Fernsehatelier immer Chancen.

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Man muß unterscheiden: es gibt Interessenten, die zum Film wollen, und solche, die , zan Fümm“ möchten. Die einen haben bestimmte Vorstellungen von den Möglichkeiten der Ausbildung und der Filmarbeit, die sie anstreben. Die anderen

bringen ein etwas nebuloses Wunschbild mit, nach Art dadaistischer Kollagen zusammengekleistert, aus Schlagersängerambitionen, Starlet-Klatsch, gängigen Illustriertenklischees vom süßen Leben der Prominenten und anderem mehr. Sie denken sich das so schön, mit Sonnenbrille und Peter-Kraus-Pulli im Atelier zu stehen, kurzum: „bein Fümm“ zu sein!

„Bei uns im Seminar gibt es kaum Bewerber, die nur große Rosinen im Kopf haben und glauben, Wichtigtuerei gehöre unbedingt dazu. Hier melden sich eigentlich nur junge Leute, die mit ernsten Absichten an die Sache herangehen“, meint Professor Walter Kolm-Veltee, als Kameramann und namhafter Regisseur seit Jahrzehnten mit der Filmarbeit vertraut, Sohn eines Filmgestalters im alten Sinn — siehe Einleitung dieses Artikels — und seit der Gründung des Fihn- und Fernsehseminars dort als Lehrer für künstlerische Filmgestaltung tätig. Seiner Erscheinung nach würde man den Zweiundfünfzigjährigen kaum für einen Filmmann, sondern eher für einen Gutsherrn halten: schmalköpfig, mit betont österreichischem Schnurrbart und seriösem Sportanzug. Die offizielle Bestellung zum Leiter der Lehrgänge wurde bis jetzt noch nicht ausgesprochen, doch in der Praxis führt Professor Kolm-Veltee die Agenden, in engster Fühlungnahme mit seinem Chef, Akademiepräsident Professor Doktor Hans Sittner.

Vor zehn Jahren versammelte sich im Fechtsaal des Haupthauses die erste Filmklasse der Akademie. Interessanterweise wurde dieser Sonderlehrgang — es war zunächst ja nur ein Versuch! — organisatorisch der Abteilung für Musiktheorie angeschlossen. Der Lehrplan in seiner Gesamtheit mußte erst erarbeitet werden, Filmgestaltung kann man nicht nach dem Büchel unterrichten. (Bis heute existiert kein umfassendes Werk über dieses Sachgebiet.) Professor Kolm-Veltee ging auf Studienreisen und besuchte die Filmschulen von London, Paris, Rom, New York und Moskau. Das Ergebnis war der Plan, die Schüler des Filmseminars in einem dreijährigen Kurs grundsätzlich in den drei Sparten Filmkunst, Fihntechnik und Filmadministration auszubilden. Also keine Spezialisierung, sondern gründliche1 filmische Allgemeinschulung.

Bald übersiedelte das neue Seminar aus dem Fechtsaal des Konzerthauskomplexes in die Türkenstraße bei der Votivkirche. Einige Räume im obersten Stock des alten Wasa-Gymnasiums wurden als Lehrsäle, Atelier und Dunkelkammern eingerichtet. Während einige Treppen tiefer die unregelmäßigen Verben durchgenommen werden und ein schwitzender Prüfling Gleichungen an die Tafel schreibt, flammen oben die Scheinwerfer auf, surrt der Schneidetisch, erörtert man die Gesetze der Dramaturgie.

In Form eines Abendkurses wird der 1. Jahrgang abgehalten. Mit gutem Grund. Im Verlauf dieser zwei Semester gewinnen die Lehrer ein klares Bild über die Persönlichkeit und die Anlagen jedes einzelnen Schülers Manchem wird man den wohlgemeinten Rat geben müssen: „Lassen Sie's lieber stehen, es ist doch nicht das richtige für Sie!“ Dann ist das Jahr wenigstens nicht verloren, die bisherige Berufsarbeit oder das Studium nicht unterbrochen. Thematisch stuft Professor Kolm-Veltee den 1. Jahrgang als „Einführung“ ein und verweist auf den großen Stundenplan, auf dem Vorlesungen über die Grundlagen der Filmgestaltung, der Filmtechnik, der Architektur, der Kulturgeschichte und der Filmwirtschaft verzeichnet stehen. Im Vordergrund steht vorläufig noch die Theorie.

Der 2. Jahrgang freilich ist nicht so nebenbei zu bewältigen, da wird richtig Schule gehalten wie an anderen Lehranstalten. Vom Vortrag über Filmregie geht's zur Kamerapraxis im Atelier, wo man zwar noch nicht filmt, wohl aber das filmische Aus-

leuchten lernt und Standphotos macht. Die Fernsehtechnik ist als wichtiges Fach eingebaut, und zu den „Hilfswissenschaften“, in denen ein Filmregisseur beschlagen sein muß, gehören Kunstgeschichte und Kostümkunde. Bemerkenswert erscheint die Tatsache, daß in allen drei Jahrgängen dem Fach der Film- und Fernseharchitektur ziemlich breiter Raum gewidmet ist.

Im letzten Jahrgang wird die Erweiterung und Perfektion des bisher Erlernten angestrebt. Bei Innen- und Außenaufnahmen tritt die Schmalfilmkamera an die Stelle des Kleinbildapparates, im Atelier entstehen komplette Interieurs mit allen erforderlichen Requisiten. Als Darsteller holt man sich Reinhardt-Seminaristen, denn mit dieser Schule wird natürlich enger Kontakt gehalten Reinhardt-Seminar-Chef Dr. Helmuth Schwarz steht ja auch auf der Liste der Gastlektoren, ebenso wie Fernsehdirektor Gerhard Freund, der einige Vorträge über organisatorische und künstlerische Fragen des Fernsehens zusagte.

Für die Abschlußprüfung muß der angehende Filmgestalter nach einer eigenen Idee und selbstverfaßtem Drehbuch einen kurzen Film drehen. Doch nicht nur das: alle technischen vnd organisatorischen Einzelheiten, alle Dispositionen, Drehpläne und — nicht zuletzt — alle Angaben über Produktionskosten müssen genau schriftlich oder graphisch festgehalten werden. („Beim Film gibt es kein Überziehen des Budgets, das sollen unsere Schüler beizeiten lernen!“) Die Theoretiker bekommen eine schriftliche Arbeit über ein kulturhistorisches Thema, eine Mappe mit Kostümdarstellungen und ein in allen Details originaltreues Architekturmodell zur Begutachtung. „Wir wollen die Gewißheit haben, daß jeder unserer Absolventen mit Erfolg als Assistent an der Kamera, bei der Produktion oder der Regie einsetzbar ist.“ — Eben als Filmgestalter. Dies ist auch der Titel, den das Film- und Fernsehseminar seinen ehemaligen Schülern auf den Weg ms Berufsleben mitgibt.

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Am Anfang waren es dreißig, zur Abschlußprüfung treten nur noch sieben bis zehn an. Der Filmkuchen wird ja zusehends kleiner, und die Fernsehtorte ist noch nicht so üppig, daß allzu viele Aussicht auf ihre Schnitte hätten. Darum die strenge, sachlich und sozial motivierte Auslese. Es hätte keinen Sinn, Filmgestalter heranzubilden, die dann Waschmaschinen verkaufen oder notgedrungen irgendwo im Konjunkturhochbetrieb untertauchen. ,

Sie kommen von der Mittelschule, von der Theaterwissenschaft, aus dem Architekturstudium an der Technischen Hochschule, wie der junge Perser, der nach der Abschlußprüfung beim Fernsehen in Teheran sein Glück versuchen will, oder aus dem Firmenbüro, wie der etwas wortkarge Mann, der ernst und zielbewußt seinen Weg geht. Er denkt viel nach und macht sich's nicht leicht. Vor dem Eintritt in das Seminar arbeitete er als Buchhalter, jetzt ist er nebenbei Inspizient an Kleintheatein. Er will sich später auf Regie spezialisieren, vielleicht auch selbst Experimentalfilme produzieren. „Vor allem interessiert mich die .Neue Welle'.“ Wir wollen hoffen, daß er als frischgebackener Absolvent nicht vielleicht in bitterer Selbstverleugnung bei einem munteren Streifen für Lieschen Müller assistieren muß. Die Filmarbeit hat schon solche Tücken.

Zukunftsmusik“ sind vorläufig auch die weitgesteckten Pläne, die im Zusammenhang mit dem Film- und Fern-sehseminar in der Musikakademie erörtert werden. Präsident Dr. Sittner denkt dabei an das große neue Haus. Dort soll das Seminar mit Studios für elektronische Musik und audio-visueüe Media zu einer großen, mit allen modernen Hilfsmitteln ausgestatteten Abteilung zusammengeschlossen werden. — Bis dahin werden freilich noch viele Meter Film durch die Kameras laufen, um es stilgerecht auszudrücken.

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